Beziehungskisten

Absturz eines Mannes

Paar im Sonnenuntergang am Strand (dpa / picture alliance / Zhang Jie)
Eine Geschichte in groben Zügen erzählt Tommy Wieringa in groben Zügen und kolumnistischer Schreibe. © dpa / picture alliance / Zhang Jie
Von Katharina Borchardt |
Der Niederländer Tommy Wieringa erzählt in "Eine schöne junge Frau" von einem erfolgreichen Virologen, der sich in eine Studentin verliebt. Die Schwierigkeiten beginnen, als sie ein Schreibaby bekommen.
Jedes Jahr im März findet in den Niederlanden die "Nationale Boekenweek" statt, eine Woche voller Lesungen, Podien und Feste. Das vieldiskutierte Highlight der Bücherwoche ist das alljährliche Boekenweekgeschenk: ein etwa 100-seitiger Kurzroman, der eigens für diesen Anlass geschrieben und in allen Buchhandlungen des Landes verschenkt wird. An einem Tag in dieser Woche gilt das Buch sogar als Zugfahrschein im ganzen Land. Letztes Jahr war es der bekannte niederländische Autor Tommy Wieringa, der beauftragt wurde, den heißbegehrten Gratisroman zu verfassen. Er heißt "Eine schöne junge Frau" und liegt nun – im Vorfeld der diesjährigen Boekenweek – auch auf Deutsch vor.
Vom erfolgreichen Wissenschaftler zum Loser
Darin erzählt Wieringa von dem 42-jährigen Edward, der sich in die 15 Jahre jüngere Ruth verliebt. Während sich Edward längst als Virologe einen Namen gemacht hat, müht sich Ruth noch mit ihrem Soziologiestudium ab. Trotzdem kommen die beiden zusammen, heiraten und bekommen einen Sohn. Ein Schreibaby. Weil Ruth findet, er mache das gemeinsame Kind krank, komplimentiert sie Edward aus dem gemeinsamen Schlafzimmer hinaus. Edward zieht zunächst in sein Büro und kriecht am Ende bei Ruths Bruder unter, der auf einem Campingplatz in Utrecht haust. Da Edward kurz zuvor noch eine Affäre mit einer Chemielaborantin aus seinem Institut hatte, steht auch sein Job auf dem Spiel. Soweit der Plot in groben Zügen, der vom Absturz eines Mannes im Lauf von sieben Jahren erzählt.
Von der Studentin zur Xanthippe
Der Roman hätte ein intensives Kammerspiel über Liebe, Vergänglichkeit und Verlust werden können, hätte Wieringa die Beziehung zwischen Edward und Ruth in Nahaufnahme gezeigt. Stattdessen fasst er ihre Geschichte meist in großen Zügen zusammen und gönnt ihnen wenig gemeinsames Handeln und auch kaum Dialoge. Der allwissende Erzähler befasst sich darüber hinaus fast ausschließlich mit Edward, sodass Ruth keinerlei charakterliche Kontur gewinnt. Ihre Wandlung von der liebenswerten Studentin zur unverträglichen Xanthippe bleibt deshalb völlig unbegreiflich.
Exkurse zu AIDS und Vogelgrippe
Doch auch wenn es um Edward geht, vermeidet der Text psychologische Tiefe und bietet stattdessen lange Exkurse zur Geschichte von AIDS, Vogelgrippe und anderen Vireninfektionen, mit denen sich Edward beruflich befasst. Zwar sieht man mit etwas gutem Willen Edwards persönliches Schicksal in seiner Forschung gespiegelt – er bekämpft Viren, fordert die Aussonderung hochinfektiöser Menschen und wird selbst von Ruth als "die Krankheit ihres Kindes" aus dem Haus getrieben –, doch bleibt dies vor allem ein Gedankenspiel.
Zu viel Stoff
So krankt der Kurzroman an mangelnder Tiefe einerseits und an inhaltlicher Überfrachtung andererseits – auch etliche, biographisch kompliziert angelegte Nebenfiguren. Zu viel Stoff für die hundert vorgegeben Seiten.
Wieringas Sprache verschärft dieses Manko leider noch. Zwar gelingen ihm prägnante Beobachtungen wie etwa jene Szene, in der Ruth Edward von sich wegschiebend küsst. Ansonsten erliegt der Autor aber allzu häufig einer kolumnistischen Schreibe, die zwar schnittig wirkt, aber oft zu unpräzisen und der Wucht des Themas unangemessenen flotten Beschreibungen führt.
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