Botanik der Bibel
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Die Bibel ist voller Gleichnisse, in denen Pflanzen eine Rolle spielen. Um sie bekannt zu machen, haben viele Gemeinden „Bibelgärten“ angelegt. Ob Pfingstrose, Apfel oder Feigenbaum, hier tragen sie alle eine besondere Botschaft.
Pflanzen der Bibel, leibhaftig versammelt in einem Beet, das gab es schon 1979 in Hamburg zu sehen. Dort lud der Botanische Garten zum Rundgang durch einen Bibelgarten ein. Anlass war ein Austauschprogramm mit Jerusalem, erzählt Katrin Stückrath, Pfarrerin im nordrheinwestfälischen Lünen.
"Aber richtig bekannt wurde die Idee erst durch eine Bundesgartenschau in Cottbus 1995", so Stückrath. "Da gab es um eine Kirche herum einen kleinen Bibelgarten – und das haben viele Menschen, auch aus Kirchengemeinden, gesehen und als Idee mitgenommen."
Gärten verbinden Menschen aus allen Kulturen
Katrin Stückrath hat ihre Doktorarbeit über Bibelgärten geschrieben: Orte, die aus ihrer Sicht geradezu prädestiniert sind, Menschen aus unterschiedlichen Traditionen und Kulturen zusammen zu bringen.
"Unsere Gesellschaft ist multikultureller geworden, immer mehr mit den Jahren. Gerade Gärten haben ein ganz großes Potenzial, um niedrigschwellig was gemeinsam zu tun", sagt Stückrath.
Das Jahr 2003 wurde von der evangelischen Kirche zum offiziellen Jahr der Bibel ausgerufen. Viele Gemeinden, die nach einer praktischen Möglichkeit suchten, das Thema umzusetzen, griffen die Idee des Bibelgartens auf – besonders in Norddeutschland.
Inzwischen hat sich der Trend im gesamten deutschsprachigen Raum durchgesetzt. Auf der von Stückrath betriebenen Website "bibelgarten.info" sind mehrere hundert Bibelgärten und viele praktische Tipps zu finden. Dort gibt es auch eine ausführliche Literaturliste.
Kenntnis der Schriften und ein Händchen fürs Grüne
"Ein Standardwerk hat Michael Zuhari geschrieben, ein Botanikprofessor aus Israel", sagt KatrinStückrath. "In seinem Buch ‚Pflanzen der Bibel‘ beschreibt er 120 Pflanzen mit Porträts und Bibelstellen, daran kann man sich sehr gut orientieren und auswählen: Was können wir denn in unserem Garten mit unseren Möglichkeiten zeigen?"
Doch neben der Kenntnis der Bibel und Wissen über Garten- und Landschaftsbau brauche es noch einiges mehr, damit ein Bibelgarten funktionieren könne, meint Katrin Stückrath: "Am Ende hängt es eben doch nicht an denen, die die tollen Ideen haben, sei es Pfarrerin, Pfarrer oder Gartengestalter, sondern es hängt an denjenigen, die sich um die Pflanzen kümmern und den Garten Woche für Woche pflegen."
Blüten aus Palästina - mitten im Emsland
Verschiedenste Ideen und Kompetenzen müssen also zusammen kommen. So wie in Twist, einer Gemeinde im niedersächsischen Emsland. "Wir sind ‚auf dem Twist‘ wie man so schön sagt und befinden uns direkt neben der evangelisch-lutherischen Nazareth Kirche", erklärt Silke Hirndorf. Sie ist Biologin und hat lange in der Heilpflanzenforschung gearbeitet.
Die Frau eines Pfarrers wohnt mit ihrem Mann direkt an der Kirche, die von einem Bibelgarten umgeben ist. Manche der Pflanzen sind nicht explizit in der Bibel erwähnt, haben aber trotzdem eine religiöse Bedeutung.
"Das ist ein syrischer Arkantus, den kennt man eigentlich seltener", sagt Hirndorf. "Viele Leute kommen hier in den Garten und fragen mich: sowas habe ich noch nie gesehen." Der syrische Arkantus wächst bevorzugt in Palästina und beeindruckt vor allem durch seine Blüte.
"Das ist wirklich, wunderschön", begeistert sich die Biologin. "Wenn etwas so vollkommen symmetrisch ist, dann steht das für Gottes vollkommene Schöpfung. Und genauso ist die Pflanze eben auch gesehen worden. Sie steht in der Kirchenkunst für die Vollkommenheit der Schöpfung, für die Schönheit der Natur."
Die Heilkraft der Pfingstrose
Andere Pflanzen bekamen aufgrund ihrer Wirkung eine religiöse Bedeutung zugesprochen. "Zum Beispiel die Pfingstrose, die man immer mit Bauerngärten in Verbindung bringt", sagt Silke Hirndorf, "sie stammt aber eigentlich schon aus den Gärten der alten Perser."
Einer verbreiteten Ansicht zufolge habe die Pfingstrose ihren Namen ja daher, dass sie in der Zeit um Pfingsten blühe. Tatsächlich sei der Zusammenhang aber ein ganz anderer.
"In den Samenkapseln der Pfingstrose sind Reihen von dunklen Samenkörnern, die hat man zerstoßen, und das war bei den alten Persern ein Mittel gegen Stottern", erläutert Hirndorf.
"Und das Pfingstfest ist ja schließlich das Fest, auf dem die Jünger in 1000 Zungen sprachen und eine ungeheure Sprachgewandtheit bekamen. Und genau das gab ja im Prinzip auch die Droge Pfingstrose den stotternden Menschen. So hängt das zusammen."
Auf der Stadtbrache entstand ein Paradies
Nur wenige Kilometer weiter führt Jens Niermann durch den Bibelgarten der kleinen emsländischen Stadt Werlte. Niermann ist in der Gemeinde für Tourismus verantwortlich. Tatsächlich, sagt er, sei der Garten in den letzten Jahren ein richtiger Anziehungspunkt geworden.
"Das Ganze war hier wirklich Ödnis", erinnert sich Niermann "Hier waren Disteln, Dornen, so richtig wie man sich das Chaos vorstellt, Müll lag hier rum, kann man sich jetzt heute gar nicht mehr vorstellen, wo man die ganze Pracht hier sieht. Ja und dann wurde das zu diesem Bibelgarten entwickelt und mittlerweile gibt es einen Verein hier, der den Garten betreut."
Das Grundstück gehört der katholischen Kirchgemeinde St. Sixtus. Betrieben wird der Bibelgarten aber von einem separaten Verein. Der in verschiedene Bereiche aufgeteilte Garten beginne mit dem Paradies, erklärt Jens Niermann, während wir vor einem Feigenbaum stehen.
"An vielen Pflanzen haben wir Schilder angebracht mit den entsprechenden Bibelstellen. Hier steht zum Beispiel aus dem ersten Buch Mose 3,7: ‚Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, sie wurden gewahr, dass sie nackt waren und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.‘"
Seerosen symbolisieren die Auferstehung
Über Schottersteine, die die Wüste symbolisieren, führt der Weg zu einem weiteren Blumenparadies mit einem kleinen Teich. Die Seerose sei ein Sinnbild für die Auferstehung, erklärt Niermann: "Jetzt kann man es schon ein bisschen erkennen, dass die Blüten wieder aufgehen. - Und dann haben wir hier eine Regenbogenmaschine, ganz toll."
Vom Emsland geht es in die Hauptstadt, zur Michael-Blumenthal-Akademie des Jüdischen Museums. In den 2012 eröffneten Räumlichkeiten ist die Pädagogikabteilung des Museums untergebracht. Bis vor etwa zehn Jahren beherbergte das Gebäude den Berliner Blumengroßmarkt. Diese Stadtgeschichte wollte man nutzen, erklärt die Mitarbeiterin Tanja Petersen:
"Das ist ein Gebäude aus den Sechziger Jahren mit Oberlicht, wir sehen große, lang gestreckte metallene Plateaus, und auf diesen Plateaus wachsen unterschiedliche Pflanzen. Manche sind zehn Zentimeter hoch andere fast einen Meter fünfzig."
Granatäpfel im "Garten der Diaspora"
In der Mitte des Gebäudes ist der sogenannte "Garten der Diaspora" entstanden. Auch hier geht es darum, dem Besucher mit Hilfe von Pflanzen religiöse Vorstellungen nahe zu bringen. Der Begriff "Diaspora" sei dabei zweifach zu verstehen, sagt Tanja Petersen:
"Er meint einmal das, was jüdische Diaspora überall in der Welt mit Bräuchen, Kulturen, also der Geschichte der Diaspora ist. Und 'Diaspora', botanisch gesehen, meint die Ausbreitung der einzelnen Pflanzen. Das sind Geschichten wie die Ausläufer der Erdbeere, die Ausläufer der Wegwarte, Pflanzen wie die Pusteblume, die sich mit diesen kleinen Schirmen per Wind von A nach B ausbreitet, das ist Diaspora botanisch gesehen."
Auch hier spielt das Paradies eine Rolle. Was für ein Baum das eigentlich gewesen sei, von dem Eva die sogenannte "verbotene Frucht" nahm, stehe weder in der Bibel noch in der Thora, erklärt Petersen, "trotzdem haben wir in der ganzen christlichen Ikonographie das bekannte Bild, etwa von Dürer, mit der blond gelockten Eva, die Adam eine Frucht hinreicht - und was ist das? Keine Erdbeere, keine Banane, nein: Es ist ein Apfel, und in der christlichen Überlieferung ist es ein Apfelbaum. Die jüdische Überlieferung geht davon aus, dass es der Granatapfel ist."
Auch wenn sich das ganz ähnlich anhöre, seien es doch ganz unterschiedliche Früchte, so Petersen: "Apfel ist botanisch ‚Malus‘ und ein Rosengewächs, während der Granatapfel, der diese langen, rötlichen, kelchförmigen Blüten trägt, eine ganz andere Verwandtschaftsbeziehung hat."
Neue Perspektiven auf den Glauben
Ob im Alten oder Neuen Testament, im Juden- oder Christentum, Katrin Stückrath hat während der Recherchen für ihre Bibelgarten-Website die Erfahrung gemacht, dass die Beschäftigung mit Pflanzen eine neue, andere Perspektive auf den eigenen Glauben eröffnet:
"Ich wurde auf manche biblische Geschichte gestoßen, die ich vorher nicht beachtet habe. Und ich wurde natürlich auch ganz neu aufmerksam zu diesem Thema: Wie haben Menschen der Bibel eigentlich gelebt? Von was haben die gelebt und wie? Und das trägt natürlich auch zum Verständnis der Texte bei. Menschen zur Zeit der Bibel hatten immer auch das Thema: Wie besiegen wir den Hunger, oder wie kommen wir überhaupt an Nahrung? Diese vielen Geschichten von Jesus, die um das Thema Brot und Saat kreisen, das war nicht marginal, sondern das war auch eine Überlebensfrage für die Menschen."
Und außerdem, meint Stückrath, seien biblische Gärten eben auch schöne Orte, die man einfach gern besuche.