Von der Schriftrolle bis zum Internet
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In der Bibliothek von Alexandria befindet sich ein immenser Wissensschatz. Er gibt Einblick in die Geschichte arabischen Lebens. Ein neues Projekt mit dem Titel "Gedächtnis der Araber" soll das kulturelle Erbe bewahren und im Internet zugänglich machen.
"Perle des Mittelmeers" nennen die Ägypter ihre Hafenstadt Alexandria. Direkt an der Küste liegt auch das literarische Juwel des Landes: die Bibliotheca Alexandrina. Eine moderne, riesige Bücherei: in runder Form gebaut, wie eine Sonnenscheibe, die aus dem Meer aufsteigt, hieß es 2002 bei der Eröffnung. Das gleichnamige Vorbild aus der Vergangenheit stand nicht weit von hier entfernt, sagt Sarah Amr vom Besucherdienst.
"Wir haben hier den Blick auf den Strand und am Ende des Strands befindet sich die Zitadelle. Sie wurde auf den Ruinen des berühmten Leuchtturms von Alexandria gebaut. Und genau dort soll auch die antike Bibliothek gestanden haben. Leider konnten wir nicht am Originalstandort bauen. Der liegt inzwischen unter dem Meeresspiegel."
Verheerender Brand zerstörte die Sammlung
Die antike Bibliotheca wurde im Jahr 288 vor Christus eröffnet. Ein griechischer Berater soll König Ptolemäus I. damals empfohlen haben, dort das "Wissen der Welt" zusammenzutragen.
"Die Bibliothek war ganz in der Nähe des Hafens. Jedes Mal, wenn ein Schiff dort einlief, mussten alle schriftlichen Dokumente, die es an Bord gab, entweder als Kopie oder direkt im Original, abgeben werden", erzählt Sarah Amr.
Rund 700.000 Schriftrollen kamen über drei Jahrhunderte zusammen. Ein verheerender Brand im Jahr 48 nach Christus zerstörte den literarischen Schatz, der bis dato Gelehrte aus aller Welt nach Alexandria gezogen hatte. Für die arabische Welt gelte das heute wieder, meint Mohamed Motosh, Sprecher der Bibliotheca Alexandrina.
"2018 hatten wir gut 1,5 Millionen Besucher, darunter Studierende und auch viele Wissenschaftler aus Ägypten, aus vielen arabischen und natürlich auch aus anderen Ländern. Fast alle wollen in den großen Lesesaal, wo sie Bücher, Computer und andere Wissensquellen nutzen können."
Der Lesesaal soll der größte der Welt sein
Der offene Lesesaal umfasst sieben Stockwerke. Er gilt als der größte der Welt. Hier ist Platz für acht Millionen sogenannte Einheiten, sprich Bücher, aber auch Karten und Videomaterial. Agyat, eine ägyptische Kunststudentin, ist hier gerade auf der Suche nach Fachliteratur:
"Das ist wirklich keine normale Bibliothek. Hier findet man alles. Hier gibt es Literatur auf Arabisch, Englisch, Französisch, die sonst nirgendwo in Ägypten zu finden ist."
So wie einst in der Antike wollen die Verantwortlichen hier jetzt einen besonderen Wissensschatz zusammentragen. Zum Jahresbeginn 2019 startete das Dokumentationsprojekt "Gedächtnis der Araber", wie Mohamed Motosh erklärt:
"Ziel des Projektes ist, dass die junge Generation das Kulturerbe ihrer Länder kennenlernen soll. Wir dokumentieren mit Hilfe eines Wissenschaftlerteams das soziale, wirtschaftliche und politische Leben in den verschiedenen arabischen Ländern früher und heute. Damit schlagen wir eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart."
Alte Dokumente werden restauriert
Das Wissenschaftsteam nutzt die Bibliothek, aber es erweitert sie auch. Die erste 180-seitige, reich bebilderte Dokumentation in arabischer Sprache ist bereits erschienen, gedruckt und auch online. Auch einige Manuskripte aus der historischen Sammlung der Bibliothek werden darin öffentlich gemacht.
Wael Mohamed ist Leiter der Restaurierungsabteilung, die sich um den Erhalt der kostbaren Schätze kümmert: "Wir berühren hier ein Stück Geschichte. Dieses Skript ist mehr als 1000 Jahre alt."
Illustriert mit prächtigen Zeichnungen beschreibt es die arabische Reitkunst zur Zeit der Mamelucken-Herrschaft im mittelalterlichen Orient.
"Das größte Problem beim Erhalt und der Restaurierung dieser Schriften ist der Erhalt der Tinte. Sie oxidiert und verschwindet nach und nach vom Skript. Aber wir wollen den Text erhalten", erklärt Wael Mohamed.
Auch seltene Bibeln befinden sich im Bestand
Zum "Gedächtnis der Araber" gehören auch wertvolle Abschriften des Koran, so Wael Mohamed.
"Hier haben wir ein Skript, das erläutert, wie der Koran auf unterschiedliche Weise auf Arabisch rezitiert werden kann. Aber wir bewahren hier in der Bibliothek von Alexandria auch seltene, Jahrhunderte alte Bibeln auf. Eines der größten unserer Restaurierungsprojekte widmet sich byzantinischen Manuskripten."
Im Lesesaal sind sich die jungen Nutzer zwar des kulturellen Erbes bewusst. Aber so wie für den Bankangestellten Mohamed ist die Bibliotheca Alexandrina viel mehr der literarische Zugang in die eigene Zukunft:
"Wir kommen hierher, um Neues zu lernen. Wir suchen gerade Informationen zur Europäischen Union. Wir nehmen hier gerade an einem Workshop in der Bibliothek teil. Ich bin stolz, dass wir so einen Ort in Alexandria haben, dass es so etwas in Ägypten gibt."