Biden versus Trump

Demenz als Symbol unserer Zeit

04:35 Minuten
Auf einem Bildschirm zu sehen ist ein Ausschnitt vom ersten TV-Duell zwischen US-Präsident Joe Biden und seinem Herausforderer Donald Trump am 28. Juni 2024 im CNN-Studio Atlanta, USA.
Joe Bidens Zustand schockierte die Weltöffentlichkeit. Aber auch sein Herausforderer Trump habe sich weitab mentaler Höhenflüge gezeigt, meint Astrid von Friesen. © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Artem Priakhin
Ein Standpunkt von Astrid von Friesen · 09.07.2024
Audio herunterladen
Jede Zeit hat eine für sie typische Krankheit. Wenn zwei alte Männer, Joe Biden und Donald Trump, jenseits ihrer mentalen Hochform, um die Präsidentschaft in den USA ringen, zeigt sich das Übel unserer Zeit: die Demenz.
Die „schwarze Pest“ galt als totale Bedrohung jeglicher sozialen Ordnung und beschwor Feindbilder gegen die Juden als Verursacher herauf. Tuberkulose war im 19. Jahrhunderts die Krankheit der Armen, aber mutierte zu einer Metapher für Dekadenz, wie Thomas Mann sie im „Zauberberg“ beschrieb.
Nach dem 2. Weltkrieg folgte der „Fressperiode“ eine Epidemie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und in der Gegenreaktion Magersucht, Essstörungen und nun weltweit sich ausbreitende Fettleibigkeit. Bei HIV wurde die sexuelle Revolution als Ursache identifiziert, auch wenn das vereinfachend war, und Krebserkrankungen galten zunächst ebenfalls als Folgen eines in Anführungszeichen „falsch“ gelebten Lebens.
Corona ließ sich vergleichen mit einem Hackerangriff in der globalisierten Welt, ein weltumspannender Kontrollverlust, der Kontrollwahn und mittelalterliche Verschwörungsmythen entstehen ließ. 
Und heute ringen zwei alte Männer, Joe Biden und Donald Trump, jenseits ihrer mentalen Hochform, um die Präsidentschaft in den USA. Auch das steht für ein gesellschaftliches Problem: die massiven, weltweiten Probleme der Überalterung, einschließlich Starrheit, abnehmende Selbstreflexion und künstlich provozierte, herbeigeschminkte Verjüngungsanstrengungen.

Ein Drittel der US-Senatoren über 70 Jahre

Joe Biden, der älteste Präsident der USA, verdeutlicht die Verletzbarkeit eines alten Menschen, dessen Verstand funktioniert, dessen Bewegungen jedoch seine Fragilität erkennen lassen. Was Ängste provoziert, dass er mit der Hyper-Verantwortung für diese Großmacht und der Entscheidungsgewalt über Atomschläge nicht vernunftgesteuert wird umgehen können.
Wohingegen Donald Trump den dementen Typus darstellt: Voller Wut auf alles, mit sicht- und hörbarem Orientierungs- und Realitätsverlust, unbelehrbar, scheinbar von Verfolgungswahn getrieben. Er bedient Verschwörungserzählungen aus regressiver, pubertär wirkender Angst heraus.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Gleichfalls ist ein Drittel der Mitglieder im US-Senat zwischen 70 und nahezu 100 Jahre alt. Das hat Anklänge von Größenwahn: Klassische Symptome, wenn das Über-Ich ein Leben lang gepusht wurde, weswegen sie keine eigenen Grenzen und einen würdigen Abgang akzeptieren. - Auf der anderen Seite der Welt: Wladimir Putin sublimiert scheinbar seine eigene Todesangst, indem er die untergegangene UDSSR wieder auferstehen lassen will.

Rechtzeitige Machtübergabe an Jüngere nötig

Biden und Trump sind personifizierte Warnungen, denn in zehn Jahren werden circa 100 Millionen Menschen an Demenz erkrankt sein, meist in qualvollen und unvorstellbar teuren Leidenszeiten: Demenz ist die „Pest“ des 21. Jahrhunderts! Aber auch die zerstörerische Kehrseite der medizinisch und sozialpolitisch angestrebten, von uns allen erwünschten Lebensverlängerung.
Beide signalisieren eine weitere gesellschaftliche Fehlentwicklung, denn in einer gesunden Gesellschaft findet eine rechtzeitige Übergabe von Macht und Verantwortung statt, um die Potenz der mittleren Generation zu nutzen, weil diese Veränderung als auch Stabilität garantiert. Geschieht dies nicht, nehmen Spaltungs- und Fragmentierungsprozesse zu. Dazu gehört, dass sich im Moment die akademische Jugend vielfach in Rechthabereien verstrickt und weit entfernt von lustvoller Verantwortungsübernahme erscheint, wie auch die deutsche Parteienlandschaft zeigt. Uns bleibt wohl die Gerontokratie noch länger erhalten!

Astrid v. Friesen, Diplom-Pädagogin, Gestalt-, Paar- und Trauma-Therapeutin in Dresden und Freiberg, Supervisorin, Journalistin und Publizistin, unterrichtete 20 Jahre an der TU Bergakademie Freiberg. Ihre beiden letzten Bücher mit Gerhard Wilke: „Generationen als geheime Macht -Wechsel, Erbe und Last“ (2020) sowie „Die Macht der Wiederholungen: Von quälenden Zwängen zu heilenden Ritualen“ (2021).                                                                                                      

Mehr zur US-Wahl 2024