Biegen oder Brechen

Kluge Politik sucht den Kompromiss

Händeschütteln
Händeschütteln © picture alliance/ dpa/ Silas Stein
Von Martin Tschechne |
Schon dem Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg fiel die "Seltenheit guter Mitttelzustände" auf – also politischer Resultate, die aus Vermittlungen hervorgehen und nie bloß Ergebnis einseitiger Durchsetzung sind. Wir nennen das heute Kompromiss; häufig scheint er allerdings auch nicht zu sein, meint Martin Tschechne.
Wenn zwei Lokomotiven aufeinander losrasen, dann gibt es nur eine Lösung: die Vollbremsung. Wer in solche Situation hinein gerät, der handelt im Zustand akuter Not: blindlings, intuitiv und ohne Rücksicht auf Verluste. Wer sie gezielt herbeiführt, aus mangelnder Übersicht oder aus Imponiergehabe, der handelt nicht nur riskant, sondern kriminell dumm.
Trotzdem sind solche Konfrontationen in der Politik immer wieder zu beobachten. Wie es scheint immer häufiger. Ob es um den eskalierenden Atomkonflikt zwischen Donald Trump und seinem Alter Ego in Nordkorea geht, um die katalanischen Separatisten und die spanische Zentralregierung. Oder um das Dauer-Gezerre zwischen der CDU und ihrer kratzbürstigen Schwester, die mit ihren Forderungen nach Herdprämie, Maut und Obergrenze gerne mal auftritt, als wäre sie eine Partei mit bundespolitischem Mandat, die sich allein in Bayern legitimieren lassen muss.

Beim Wort "Kompromiss" denkt jeder sofort das Wort "faul" mit

Sie alle vertreten eine Linie des Entweder-Oder, des Jetzt-oder-Gar-nicht. Das ist, um es vorsichtig auszudrücken, der Verzicht auf planendes, gestaltendes und vorausschauendes Handeln zugunsten einer Inszenierung von Politik als Heldenepos.
Die Alternative wäre das gesichtswahrende Miteinander, das gemeinsame Nachdenken über neue, intelligentere Lösungen. Kurz: Die Alternative wäre der Kompromiss. Der aber hat ein schlechtes Image. Er ist, rein assoziativ, mit dem Beiwort "faul" belegt, weil er mühsam zu erringen ist, weil er die Moral und den intellektuellen Aufwand einer Argumentation erfordert. Und weil er deshalb am Ende immer eine Lösung liefert, die kleiner ist als das eigene Ideal. Eben: einen "faulen Kompromiss".
Aber wer, um Himmels Willen, ist auf diese Sprachregelung gekommen?
"Klug" sollte es heißen! Ein gelungener Kompromiss ist klug, weil er die Welt nicht auf ein egozentrisches Entweder-Oder reduziert, auf ein wirklichkeitsfernes Schwarz und Weiß. Er ist klug, weil er über den Tag und den Anlass hinaus führt. Und weil er damit viel komplexere Interessen der Beteiligten repräsentiert als nur die schlichte Hoffnung, bei einem Zusammenstoß der rasenden Maschinen doch bitte zu den Überlebenden zu gehören.
Genau dafür werden Politiker gewählt. Nicht, um eine Lage eskalieren zu lassen, bis nur noch zwei Optionen bleiben – das scheinbar hasenherzige Nachgeben oder die Atombombe –, sondern um genau solche Situationen zu verhindern. Das ist ihr Beruf. Wer den Brexit unterschreiben oder achselzuckend die Klimakatastrophe hinnehmen muss, der hat als Politiker keinen Sieg errungen, sondern der hat verloren.

Warum werden bevorzugt Betonköpfe gewählt?

Die Frage bleibt, wer die betonköpfigen Lokführer auf ihre Lokomotiven gesetzt hat? Und warum? Wähler delegieren ihre Interessen an eine Gruppe von Vertretern – das liegt im Wesen einer repräsentativen Demokratie. Warum aber geben immer mehr von ihnen ihr Mandat an Volksvertreter, die ihnen versprechen, niemals als erste auf die Bremse zu treten?
Zwei Antworten: Weil die Probleme einer immer enger vernetzten Welt dem nur mittelmäßig interessierten Bürger über den Kopf wachsen. Oder zweitens: Weil die Möglichkeiten zur Gestaltung von der – sagen wir mal: konventionellen – Politik in den vergangenen Jahren nicht überzeugend genutzt wurden.
So gesehen, und wenn man die Sache mal optimistisch betrachtet, könnten bei den Verhandlungen um eine Jamaika-Koalition ein paar kluge und kreative Kompromisse herauskommen. Endlich mal wieder liegen die Positionen so weit auseinander, dass dazwischen Spannung entstehen kann, und vielleicht zündende Funken sprühen.
Vorausgesetzt natürlich, es fühlt sich niemand aufgerufen, vorn auf der Lokomotive den Helden zu spielen.
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