Biennale in Venedig

Eurozentrisch und überschätzt

Der künstlerische Leiter Okwui Enwezor (l) und der Biennale-Präsident Paolo Baratta posieren am 5.5.2015 auf der 56. Kunstbiennale, die vom 9.5. bis 22.1.2015 in Venedig stattfindet.
56. Kunstbiennale in Venedig: Der künstlerische Leiter Okwui Enwezor (l) und der Biennale-Präsident Paolo Baratta posieren für die Fotografen. © picture-alliance / dpa / Andrea Merola
Von Ingo Arend |
Gern wird die Biennale von Venedig als "Mutter aller Biennalen" gefeiert. Für den Kunstkritiker Ingo Arend ist sie jedoch nur noch eine unter vielen - und mehr ein Fall von Standortmarketing als von hehrer Kunst.
"Mutter aller Biennalen". So werden die Kunstfreunde die Biennale von Venedig auch in diesem Jahr wieder rühmen. Doch die Formel führt auf glitschiges Terrain. Natürlich markiert die 1895 gegründete Schau eine Art Ur-Szene des ausufernden Biennale-Betriebs heutiger Tage.
Doch das Mutterbild provoziert unweigerlich die Frage: Wer sind die Väter der weltweit 200 Biennalen heute? So viele Kinder sind selbst für eine robuste Mutter zu viel. Und überhaupt: Wer Kultur biologisch erklärt, will sich gegen Kritik immunisieren: Mütter sind bekanntlich sakrosankt.
Von Anfang an dem Geist der Event-Ökonomie verpflichtet
Naturwüchsige Ehrerbietung passt aber weder zur Kunst, noch sollte man sie einer Biennale erweisen, die sich dem berüchtigten Standortmarketing verdankt. Ende des 19. Jahrhunderts wollte Venedigs Bürgermeister Riccardo Selvatico den Tourismus ankurbeln und den Kunstmarkt-Konkurrenten "München" aus dem Feld schlagen.
Das Schaulaufen milliardenschwerer Oligarchen und das Dickicht spektakulärer "Eventi Collaterali", die die Kunstschau heute bis zu Unkenntlichkeit umwuchern, führen den Geist dieser frühen Event-Ökonomie nur fort, der die Biennale entstammt. Der rührige Bürgermeister wollte mit seiner Biennale zwar, wie er damals schrieb, die "brüderliche Verständigung aller Völker" fördern. In Venedig auszustellen, ist heute aber eine Sache des nationalen Prestiges. Wie sich an der stetig wachsenden Zahl "nationaler Pavillons" sehen lässt, die jedes Jahr in den Palazzi der sterbenden Stadt eingerichtet werden.
Mehr noch als die fragwürdigen Gehäuse selbst ist diese Haltung anachronistisch in Zeiten der Globalisierung. Die Biennale ist dadurch zwar internationaler geworden. Sie schreibt aber die fatale Idee des 19. Jahrhunderts fest, die Kunst verkörpere nationale Identität. Viel zu selten trauen Kuratoren sich, sie zu unterlaufen. Vor zwei Jahren tauschten Deutschland und Frankreich die Pavillons.
Gefangen zwischen universalem Anspruch und nationalem Gehäuse
Spätestens seit 1989 führt der Weg von der transatlantischen Moderne zur polyzentrischen Globalkunst des 21. Jahrhunderts, strebt das Biennale-System zur Peripherie. In Berlin fällt die Mauer. In Paris stellt der Kunsthistoriker Jean-Hubert Martin in seiner Schau "Magiciens de la terre" hundert Künstler aus allen Kontinenten gleichberechtigt nebeneinander.
Aber Venedig sitzt immer noch in der Falle zwischen universalem Anspruch und nationalem Gehäuse.
Die neuen Biennalen, die seitdem entstanden, zeugen weniger von der Strahlkraft eines großen Vorbildes. Sie verdanken sich dem explodierenden Repräsentationsbedürfnis außerhalb der euroamerikanischen Moderne.
Das stand schon hinter der 1946 gegründeten Biennale von Sao Paulo. Das belegt der Erfolg der kleinen Newcomer-Biennale von Kochi-Muziris in Indien in diesem Frühjahr. Das gilt selbst für die gute, alte Documenta. Kurator Adam Szymczyk will sie 2017 bekanntlich zu einer Nord-Süd-Achse "Kassel-Athen" umbauen.
"Puppenstuben eines überholten Weltgeistes"
Nicht zufällig findet man so oft das Wort "beyond" in den Mottos der neuen Biennalen. Das unscheinbare Wort steht für die Suche nach einem Jenseits: Jenseits der Westkunst, jenseits von Kolonialismus, Nationalismus und Traditionalismus. Sie pfeifen auf Prestige und Cocktailpartys, stürzen sich ins politästhetische Cross-Over und wollen globale Probleme lokal verständlich machen.
Als Touristenattraktion und Vernissagen-Kulisse werden die Puppenstuben eines überholten Weltgeistes an der Lagune überleben. Als Gehäuse des "Post-Westernism", von dem Okwui Enwezor spricht, taugen sie auf Dauer nicht. Er mag als Kurator der ehrwürdigen Mutter Venedig in diesem Jahr ein Glanzlicht aufstecken.
Dennoch: Venedig ist nicht mehr die eine Biennale für alle, sondern eine unter vielen.
Ingo Arend, geboren in Frankfurt am Main, Politologe und Historiker, arbeitet seit 1990 als Kulturjournalist und Essayist für Bildende Kunst, Literatur und Politisches Feuilleton. Von 1996 bis 2010 Kulturredakteur der Wochenzeitung der "Freitag", zuletzt als Redaktionsleiter. Seitdem freier Autor. Er ist Mitglied des Präsidiums der neuen Gesellschaft bildende Kunst (nGbK) und lebt in Berlin.
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