Biennale in Wiesbaden

Theater zu Supermärkten

Rewe-Supermarkt im Hessischen Staatstheater in Wiesbaden, Teil der Wiesbaden Biennale vom 23.8. - 2.9.2018
Rewe-Supermarkt im Hessischen Staatstheater in Wiesbaden © Jeva Griskjane
Von Tobi Müller · 25.08.2018
Die Wiesbadener Biennale greift tief in den Stadtraum ein. Ein Rewe-Markt ist ins Foyer des Staatstheaters eingezogen. In der City Passage wird das Einkaufen zur häuslichen Horrorshow. Und auch ein Pornokino steht Besuchern offen. Die Biennale spinnt so eine brutale Vision.
Mit dem Theater in die Stadt gehen und die bildende Kunst ins Theater holen – kaum ein Haus kann darauf inzwischen noch verzichten. Weit vorne in diesem Bemühen liegt seit zwei Jahren die Biennale in Wiesbaden, ausgerichtet vom dortigen Hessischen Staatstheater. Internationale Künstler und Theaterschaffende sind dabei eingeladen, tief in den Stadtraum einzugreifen – auch jenseits der sauberen Fassaden der eleganten Kurstadt. Am Donnerstag wurde die diesjährige Ausgabe der Biennale eröffnet.
Wiesbaden, Pornokino Blue Box, Mittagspause. Das Publikum: über 60. Außer im ersten Kabuff gleich nach der Kasse. Dort läuft ein Video des niederländischen Künstlers Erik van Lieshout. Er erzählt selbstironisch von der Affäre zu seiner Assistentin. Die Nebengeräusche nimmt er bewusst in Kauf. Doch auch van Lieshout ringt mit der Moral: "Het ist goed, het ist slecht., het is goed...", erklingt das Video.

Umkehrungen im Stadtraum

Was gut ist, und was schlecht: ein zufälliger Kinderreim. "Bad News" steht über dieser Biennale, die Fahnen in Schwarzweiß wehen in der ganzen Stadt. Doch was Bad News für die einen, sind Good News für die anderen. Der Konsenskorridor ist schmal geworden. Die Wiesbaden Biennale untersucht solche Umkehrungen vor allem im Stadtraum. Im Pornokino etwa, auf der Grenze zwischen Kurstadt und Migrantenviertel. Oder, direkt daneben, in der City Passage, einer stillgelegten Einkaufswelt.
In den Schaufenstern stellen Puppen häusliche Gewalt nach bei Markus Öhrn und Arno Waschk. Das öffentliche Einkaufen wird zur häuslichen Horrorshow. Kleine Laternen erinnern an ein Dorf. Hinterland heißt das zweite Motto des Festivals. Dazu Maria Magdelena Ludewig, die mit Martin Hammer die Biennale kuratiert: "Die City Passage ist an sich schon Hinterland, weil sie so versteckt ist hinter den Fassaden und andererseits bisschen der Schandfleck von Wiesbaden ist, für den sich alle schämen", sagt sie. "Und auch so die große Investitionsbaustelle, hier soll was Neues hingebaut werden, aber gleichzeitig stehen auch rundherum sehr viele Läden leer." Auch Wiesbaden merke langsam, dass die sterbenden Innenstädte kein Luxusproblem mehr seien, sondern langsam Realität würden.
Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Hessen
Das hessisches Staatstheater Wiesbaden in alter Pracht © picture alliance/dpa/Bildagentur-online/Schickert
Im ehemaligen Drogeriemarkt im Erdgeschoss erledigen Drohnen die Arbeit, die nicht mehr zu sehen ist. Vermutlich filmen sie uns. Rabih Mroué und Dina Khouri schaffen ein apokalyptisches Szenario. Nicht stillgelegt ist derweil das Staatstheater Wiesbaden, ein schönes Barockhaus unter der Intendanz von Uwe Eric Laufenberg, der die Biennale ausrichtet. Doch auch im Reich aus Plüsch und Stuck zieht die Realität ein.

Einkaufvergnügen

Im Gegensatz zur City Passage kann man im Foyer des Staatstheaters tatsächlich einkaufen. Ein Rewe-Markt hat Einzug gehalten, sicher der schönste im ganzen Land. Doch die Vision ist brutal: Theater zu Supermärkten. Oder Theater zu Parkhäusern gar? Eine Rampe aus Holz führt von außen auf die Bühne, wo schicke Autos und Oldtimer stehen. Auch ein Staatstheater könnte auf diese Weise praktisch "nachgenutzt" werden.
"Es ist dieses Undenkbare, kann es sein, dass so ein Gebäude, so eine Institution zu einem Parkhaus umgewandelt wird", sagt der Ko-Kurator Martin Hammer. "Und dann… Für uns ist es auch eine Selbstprovokation, die zu einer Bestärkung wieder führen kann. Man kann sich auch dafür entscheiden, für eine Institution. Es ist nicht etwas Gegebenes, wo man sagt, na ja, da fließen jetzt die Steuergelder hin, man kann auch sagen: Das ist etwas, was man will als Stadtgesellschaft."

Grenzen sichtbar machen

Doch auch wenn diese starke Biennale weniger mit Theater als mit Bildender Kunst und Performance punktet, geht es den Kuratoren mit der Umwidmung des Stadttheaters nicht um platte Kritik an der Institution. "Manchmal muss man etwas verlieren, um es wieder zu gewinnen", sagt Ludewig und Hammer ergänzt: "Genau, vielleicht muss man mal spüren, wie es wäre, wenn etwas nicht da wäre, um zu sagen: Es fehlt etwas."
Um Grenzen zu überschreiten, muss man sie erst sichtbar machen. Zum Beispiel mit einem Traktor. Der Künstler Santiago Serra stellt eine 333 Meter lange Mauer auf, die sich aus einem Container entrollt. Mitten durch den Park vor dem Hauptbahnhof. Sehr sichtbar, wie vieles dieser Biennale. Und wenn man durch den uringeschwängerten Tunnel der City Passage auf der Straße steht, sieht man tatsächlich manches anders. Weniger selbstverständlich.
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