OSTRALE - Biennale für zeitgenössische Kunst
Robotron-Kantine Dresden
Bis 3. Oktober 2021
Kunst, Konsumkritik und Klimakatastrophe
05:43 Minuten
Die Biennale "Ostrale" in Dresden lenkt den Blick auf zeitgenössische Kunst aus Osteuropa. Die in der ehemaligen Robotron-Kantine gezeigten Werke setzen sich mit den radikalen Veränderungen der Welt auseinander und zeigen neue Lebensmöglichkeiten auf.
Wellen schwappen gegen den Strand im regelmäßigen Atemrhythmus der Ozeane. Dann streicht die Kamera nah über den Rücken einer Tänzerin. Ihre Flanken heben und senken sich beim Ein- und Ausatmen. Schließlich sehen wir, wie der Wind den Sand aufwirbelt als Atem der Welt. In ihrer assoziativen Filmrecherche Porvenir folgt die kroatische Künstlerin Renata Poljak den Spuren ihres Großvaters, der von Kroatien nach Chile aufgebrochen ist, um dort sein Glück zu suchen.
Der Film erspürt die atmende Beziehung des Menschen zu den Elementen. "Atemwende", den Titel der diesjährigen Ostrale für die tastende Erkundung neuer Lebensmöglichkeiten, hat der ungarische Dichter Mátyás Dunajcsik vom Kuratorenteam in einem Band mit Gedichten von Paul Celan gefunden.
Menschlicher Raubbau an der Natur
Dunajcsik: "Alles, was Paul Celan schreibt, ist immer über eine Situation, in der die Worte fehlen für das, was passiert. Wie kann man weiterleben, wie kann man weitermachen? Und diese Situation haben wir jetzt auch, dass wir herausfinden wollen, wie geht es weiter. Das Einzige, was wir wissen, ist: es geht nicht weiter wie zuvor."
Die weitläufige Robotron-Kantine in Dresden musste nach jahrelangem Leerstand erst entmüllt werden. Jetzt bietet der Flachbau mit seinen Spuren sozialistischer Moderne ein vom Verfall gezeichnetes Domizil für diese Bestandsaufnahme zwischen Pandemie und Klimakatastrophe.
In Installationen und Filmen geht es um den Raubbau an der Natur und die Bedrohung der Arten. Im Zentrum der Halle stehen großformatige Schwarz-Weiß-Porträts eines Orang-Utans. Die Arbeit stammt von Andrea Palašti aus Novi Sad, erklärt die Kuratorin Ivana Meštrov:
"Das ist die Geschichte von Emil, der im Wiener Tiergarten Schönbrunn ein Star war. Es geht um unseren Umgang mit Tieren. Die Künstlerin hat im Archiv recherchiert und herausgefunden, dass Emil zwar sehr beliebt war, aber an Depressionen litt und jeden Kontakt zu den Menschen vermied."
Jetzt verfolgt Emils resignierter Blick die Besucher. Wenige Schritte weiter gerät das Wohnzimmer von István Csákány durch seine vollkommene Reglosigkeit zum Gefängnis. In dem engen verwinkelten Raum steht die Luft still. Csákány hat Regale, Gummibaum und Polstergarnitur aus Holz geschnitzt. Beim Betreten legt sich die Stagnation des konservierten Lebens als beklemmende Atemnot auf die Brust.
Wachstum in digitalen Zeiten
"Wenn man durch dieses kleine Häuschen geht, dann verändert man den täglichen Lebensrhythmus, den man immer hat", sagt der Kurator Krisztián Kukla. Alles hängt mit allem zusammen. Die "Atemwende" umfasst unsere gesamte Beziehung zu einer Welt, die sich rapide verändert.
Das Künstlerduo studio ASYNCHROME aus Graz reagiert auf den Ort, die Kantine des einstigen DDR-Computerherstellers Robotron, mit einer Rauminstallation zum Wachstum in digitalen Zeiten.
"Wenn wir über Wachstum nachdenken und über Wachstum durch künstliche Intelligenz, so war es 2018 das erste Mal, dass mehr Kapital mit Daten generiert wurde als mit Rohöl", sagt Marleen Leitner von studio ASYNCHROME.
Auf transparente Scheiben haben Marleen Leitner und Michael Schitnig comicartige Szenen mit den Raubrittern im Datenstrom gezeichnet. Da treten zum Beispiel die amerikanischen Brüder Koch auf, Unterstützer der Tea-Party-Bewegung, die mit Millionen Dollar digitale Netzwerke finanzieren, um den Klimawandel zu leugnen. Die Algorithmen finden über Datenspuren ihren Weg zum Empfänger.
Unsere Omnitransparenz gegenüber Konzernen
"Wir befinden uns in einer Zeit der Transparenz, eigentlich der Omnitransparenz. Wir liefern wahnsinnig viele Daten an große Konzerne und sind bereit, Kapital zu spreaden, wo wir aber eigentlich keinen Gewinn daraus erzielen", erklärt Michael Schitnig.
Fast rührend wirken dagegen die absurden Bemühungen, das menschliche Zerstörungswerk abzubremsen, die Gabriele Engelhardt in großformatigen Fotos festgehalten hat. Der Rhonegletscher im Schweizer Kanton Wallis wurde sorgfältig in Polyestervlies eingepackt, um die Schmelze zu verlangsamen. Jetzt sieht er aus wie ein Werk von Christo.
Die Ausstellung "Atemwende" hat keine einfachen Antworten. Ihre Stärke liegt darin, dass sie einlädt, in viele Richtungen zu denken. Und am Ende anders zu atmen.