Warum sich ein Besuch auch für Kunstbanausen lohnt
Die 60. Kunstbiennale in Venedig hat eröffnet. 88 Nationen präsentieren sich auf der Ausstellung, die als wichtigste neben der Documenta gilt. Vier Gründe, warum man sie sich ansehen sollte, auch wenn man sonst nichts mit Kunst zu tun hat.
Inhaltsübersicht
1. Die politische Dimension der Kunst
Wenn man nicht mehr durchblickt durch die aktuelle Weltlage, dann bekommt man auf der Venedig Biennale einen sehr guten Überblick. So bleibt der israelische Pavillon auf Entscheidung der Künstlerin Ruth Patir und der Kuratorinnen geschlossen. Zumindest bis es eine Waffenruhe gibt und die Geiseln freigelassen werden.
Die Künstlerin drückte sich auf ihrem Instagram-Account so aus, dass die Situation "so viel größer" als sie sei. Für die junge Künstlerin wäre es eine große Chance gewesen, ihre Kunst einem internationalen Fachpublikum zu präsentieren, das bisher wohl noch nicht viel von ihr gehört hatte. Jetzt ist sie die Künstlerin, deren Pavillon geschlossen bleibt und deren Name damit und nicht mit ihrer Kunst verknüpft ist.
Doch ein bisschen was von ihrer Kunst sieht man trotzdem: Durch die Glasscheibe des Pavillons kann man ein Video sehen, in dem eine durch Computeranimationen zum Leben erweckte Armee von antiken weiblichen Tonfiguren durch die Straßen einer Großstadt zieht. Die Arbeit hat Patir im Nachhall des 7. Oktober angefertigt.
Kriegskaraoke aus der Ukraine
Gleichzeitig ist im polnischen Pavillon eine Videoinstallation des ukrainischen Kollektivs „Open Group“ zu sehen. Darin wird man zu einer Art „Kriegskaraoke“ eingeladen. Geflüchtete aus der Ostukraine machen dort in Videos die Geräusche der verschiedenen Sirenenalarme nach.
Auf der anderen Seite ist der Zuschauer eingeladen, die Geräusche selbst nachzumachen. Das kann man auch so interpretieren, dass in einem Krieg die Sprache verschwindet und lediglich durch Signale ersetzt wird.
Die Videoinstallation zeigt auch, wie sehr sich die polnische Perspektive verschoben hat: Vor dem Regierungswechsel in Polen war noch geplant, die Bilder eines nationalistischen Malers zu zeigen, dessen Bilder beispielsweise Merkel und Putin zeigen, wie sie gemeinsam ein brennendes Hakenkreuz halten. Dass diese Bilder nicht im Pavillon hängen dürfen, hat den Künstler nicht davon abgehalten, seine Bilder nach Venedig zu bringen. Er hat jetzt an einem privaten Ort hinter dem offiziellen Biennale-Gelände seine Show „Polonia Uncensored“ eröffnet.
2. Der deutsche Pavillon
In den Giardini haben viele Länder ihre eigenen Länderpavillons. Der deutsche Pavillon wurde 1938 unter Herrschaft der Nationalsozialisten umgebaut. Über dem Eingang prangt der Schriftzug „Germania“. Man kann sich nicht nicht damit auseinandersetzen, wenn man als Künstler diesen Pavillon bespielt.
Der Künstler Hans Haacke hat 1993 den gesamten Boden des Pavillons herausgerissen. Er lag dort wie ein Eismeer der Geschichte. 2017 hat Anne Imhof einen Glasboden eingezogen, um den Boden gar nicht erst zu berühren. In diesem Jahr wurde ein neuer Boden eingezogen: Fischgrätparkett aus einem Kulturhaus in Brandenburg, das schon bessere Zeiten gesehen hat, durchzieht den Pavillon.
Bespielt wird er von dem Theatermacher Ersan Mondtag und der israelischen Künstlerin Yael Bartana. Mondtags Installation heißt „Monument eines unbekannten Menschen“. Es geht um seinen Großvater, der als türkischer Gastarbeiter nach Deutschland kam, in einer Eternit-Fabrik gearbeitet hat und an den Folgen des giftigen Staubes starb.
Er verbindet hier die Geschichte der Arbeiter aus der ehemaligen DDR mit der Geschichte der türkischen Gastarbeiter. Beides deutsche Realitäten, die immer noch zu wenig Beachtung finden. Es ist eine theatrale Installation mit verschiedenen Schauspielern, die den dreistöckigen Turm beleben, den Mondtag in den deutschen Pavillon gebaut hat.
Bessere Welt für Juden im All
Neben Mondtag zeigt die israelische Künstlerin Yael Bartana ihr Werk „Light to the Nations“. Es ist eine Sci-Fi Utopie, die auch eine Dystopie sein könnte. So genau legt sie sich da nicht fest.
Es ist ein Raumschiff, das vor allem das jüdische Volk von der Erde in eine bessere Welt bringen soll. Man kann den Flug durchs Raumschiff selbst erleben, wenn man sich auf eines der Kissen legt und an die Decke schaut.
Doch es geht noch weiter: Der deutsche Pavillon erstreckt sich auch auf La Certosa. Eine Insel, die man in zehn Minuten mit dem Boot von den Giardini aus erreichen kann. Das Gelände der Biennale ist staubig und die Wege voller Kies.
Und so bemerkt man tatsächlich erst, wenn man die Insel betritt, wie ausgehungert man nach Natur ist. In der Idylle der Insel kann man die Installationen von vier Soundkünstlerinnen hören, die die Umgebung der Insel durch Klangwellen erfahrbar machen.
Eine Fahrt lohnt sich auch, wenn man einfach mal wieder einen Baum sehen möchte, denn Venedig ist (bei aller Schönheit) eine fast baumlose Stadt. Dann kann man das Treiben der Stadt aus gesicherter Entfernung beobachten und fühlt sich ganz weit weg vom Getümmel.
3. Der olfaktorische Faktor
In diesem Jahr kann man erkennen, dass der Trend zum olfaktorischen Faktor geht. Viele Pavillons, darunter der koreanische und der französische, setzen auf Duftnoten. Die koreanische Künstlerin Koo Jeon A hat Menschen aus Nord - und Südkorea gefragt, an welchen Geruch sie denken, wenn sie an Korea denken und 600 Beschreibungen bekommen. Daraus hat sie 16 Parfums entwickelt, die man jetzt in dem ansonsten leeren Pavillon erriechen kann.
Man muss sich also keine abstrakten Bilder oder verdrehten Skulpturen ansehen. Es reicht, zu schnuppern. Der Geruch ist warm und holzig und man kann die Verbindung des Geruchs zu dem Gefühl von Heimat verstehen.
Auch im französischen Pavillon kann man schnuppern, dort riecht es nach Lavendel, man sieht aber auch die Skulpturen von Julien Creuzet und einen Soundtrack, den er eigens geschaffen hat. Man könnte also auch sagen, dass es auf dieser Biennale immer der Nase nach geht.
4. Venedig!
Wenn einen die Kunst überhaupt nicht interessiert, dann ist man immer noch in Venedig. Dann kann man all die Kunst, all den Trubel und die Diskurse, die sich da aufspannen, einfach ignorieren und sich durch die Stadt treiben lassen.
Am besten verläuft man sich in den vielen, engen Gassen, denn egal wo man ankommt, hinter jeder Ecke lauert eine der schönsten und verwunderlichsten Städte der Welt, für deren Existenz, obwohl sie ständig bedroht ist, man dankbar sein und sich von ihrer Schönheit gefangen nehmen lassen muss.