China überwacht per App
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Im Kampf gegen die Corona-Epidemie mobilisiert China den digitalen Überwachungsapparat und erstellt per App massenhaft Bewegungs- und Gesundheitsprofile. Der Zugriff auf persönliche Dtaen ist enorm. Datenschutzrechtliche Bedenken gibt es kaum.
Ein Schreibtisch mitten auf dem Bürgersteig im Pekinger Stadtteil Sanlitun. Thermometer, Listen, ein paar Wachleute. Auf dem Schreibtisch klebt ein handgroßer QR-Code. Jede Person, die dieses Viertel betreten will, muss mit dem Handy den Code scannen. Und dazu angeben, wohin man möchte: ob zur Bank um die Ecke, in das japanische Restaurant oder in das mit der Sichuan-Küche.
Jede Spur kann so verfolgt werden, sagt Herr Zhuang, der hier für das Nachbarschaftskomitee die Aufsicht hat:
"Wenn ein Besucher in diesem Viertel anschließend Symptome hat oder nahen Kontakt mit einem bestätigten Fall, dann können wir mit diesen Informationen ganz einfach nicht nur seine Spur finden, sondern auch herausfinden, wann und wo er war. Und wir können die Menschen ausmachen, die gleichzeitig mit diesem Besucher an bestimmten Orten waren."
Zahlreiche Apps auf dem Markt
Viele chinesische Provinzen haben im Kampf gegen das Coronavirus bereits Anfang des Monats entsprechende "Big Data"-Maßnahmen angekündigt. Mit dem Ziel, die Ausbreitung des Virus mit digitaler Hilfe einzudämmen. Innerhalb von wenigen Wochen war eine Vielzahl von Apps auf dem Markt. Wang Yi ist Direktorin der Firma Linkgaia Technology in der Stadt Ningbo. Ihr Unternehmen hat das Programm entwickelt, das hier in Sanlitun bei Herrn Zhuang benutzt wird:
"Wir haben eine spezielle App zur Prävention und Kontrolle der Epidemie entwickelt. Für verschiedene Anwendungsbereiche: zum Beispiel für Unternehmen oder Fabriken, für Supermärkte, Geschäfte, Schulen, Krankenhäuser oder auch Verkehrsmittel."
Ein Ampelsystem gibt Anweisungen
Linkgaia Technology ist einer von vielen privaten Anbietern. Auch die chinesischen Internetriesen Alibaba und Tencent haben in ihren Produkten entsprechende Programme integriert, die von lokalen Regierungen ausgewertet werden.
Der Gesundheitscode von Alibaba weist jedem Nutzer eine Farbe zu: Mit Grün darf man sich frei bewegen, mit gelb soll sich die Person für sieben Tage, mit rot für zwei Wochen in Quarantäne begeben. Linkgaia Technology hat bereits über 50 Millionen Registrierungen gesammelt, erzählt Direktorin Wang.
"Die meisten unserer Kunden sind kleine und mittlere Unternehmen, die wieder produzieren müssen", erklärt Wang Yi. "Oder auch Wohnblocks. Während der Epidemie müssen manche Stadtviertel und Nachbarschaften genau wissen, wann ihre Einwohner welche Wohnblocks betreten. Dann werden diese Informationen umfassend gesammelt."
Widersetzen kann man sich kaum
Aber genau da liegt auch ein Problem: Welche Informationen werden umfassend gesammelt und was geschieht anschließend mit diesen Daten?
Murong Xuecun ist Schriftsteller und Blogger aus Peking. Weil er sich immer wieder kritisch gegenüber der chinesischen Regierung äußert, werden ihm auch immer wieder seine Konten in den sozialen Medien gesperrt. In der Coronakrise musste er bereits diverse Codes scannen und seine Daten in mehreren Gesundheits-Apps offenlegen:
"Man kann sich dem nicht widersetzen. Sonst kriegt man im Alltag verschiedene Probleme. Ich weiß, dass meine Privatsphäre damit verletzt wird, aber mir bleibt keine Alternative. Wenn ich hier leben will, muss ich mitmachen."
Die Regierung sammelt auch private Informationen
Mit Hilfe der Apps werden den Nutzern Fragen nach dem eigenen Wohlbefinden gestellt. Temperaturmessungen werden archiviert. Name und Passnummer müssen zur Registrierung angegeben werden. Es lässt sich dann genau nachverfolgen, wo sich die Bürger befinden und wohin sie gehen. Manche Programme speichern auch konkrete Reisedaten. In China muss jeder mit seiner Ausweisnummer Zug- oder Flug-Tickets buchen. Bewegungen der Bürger sind vergleichsweise einfach nachzuvollziehen.
"Es wird sicherlich dabei helfen, die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen", sagt Murong Xuecun. "Aber die chinesische Regierung nutzt diese Technologie auch, um weitere Informationen über ihre Bürger zu sammeln. Private Informationen. Die Regierung profitiert von der Fähigkeit zur allgegenwärtigen Überwachung."
Furcht vor der zweiten Infektionswelle
Die chinesischen Behörden beteuern, dass nur Regierungsstellen Zugriff auf die Daten haben. Und sie einsetzen können, um eine zweite Corona-Welle, vor der sich China momentan fürchtet, zu verhindern. Infektions-Verdachtsfälle könnten so systematisch erkannt und Kontaktpersonen ermittelt werden. Leute in Quarantäne könnten entsprechend überwacht werden. Ihre Firma würde mit den Daten sensibel umgehen, behauptet Wang Yi, Direktorin von Linkgaia Technology:
"Wir haben nicht vor, diese Informationen weiter zu speichern, wenn die Epidemie beendet ist. Es ist dann ja auch unnötig. Wir werden unseren Anwendern vorschlagen, ihre sensiblen Informationen zu löschen. Wir können von unserer Seite wirklich versichern: Unsere Firma wird diese Daten nicht offenlegen."
Digitale Willkür oder Vorsichtsmaßnahme?
Am Schreibtisch von Herrn Zhuang im Pekinger Stadtteil Sanlitun scannen die Leute bereitwillig den QR-Code und gehen dann weiter. Keiner protestiere gegen das Sammeln der Daten, behauptet Herr Zhuang. Schon gar nicht in der Coronakrise:
"Grundsätzlich ist niemand wirklich besorgt. Jeder kann das verstehen, weil wir momentan eine ganz spezielle Phase durchmachen."
Was die verschiedenen Technologien im Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus wirklich bringen oder bislang gebracht haben, ist völlig unklar. Man sieht zwar, wo Menschen waren – aber nicht was sie dort gemacht haben. Digitale Willkür und Stigmatisierung anhand von Daten, sagen Kritiker.
Für die chinesische Regierung bleibt das Ganze eine Art Labor: ein Test, ob eine Epidemie mit Big Data bekämpft werden kann.