"Die Kunst hat gesiegt"
Es gab heftige Debatten um Antisemitismus und die antiisraelische "BDS"-Bewegung. Dann aber rückte die Kunst in den Mittelpunkt der Ruhrtriennale - mit spektakulären Höhepunkten. Ganz sicher ist die Zukunft von Intendanten Stefanie Carp aber noch nicht.
Um die 80 Prozent Auslastung, über 27.000 verkaufte Karten: Die wirtschaftliche Bilanz der Ruhrtriennale 2018 kann sich sehen lassen. Stolz ließ Intendantin Stefanie Carp die Aufführungen ihrer ersten Spielzeit noch einmal kurz Revue passieren – und nur in einem Satz klang an, dass es schon vor Beginn des Festivals einen politischen Skandal gab, der weite Kreise zog. Und sogar dazu führte, dass einige Politiker der CDU und FDP die Abberufung der Intendantin forderten.
Stefanie Carp: "hysterisch" diskutiert
Es ging um die schottische Band "Young Fathers", die sich zur Israel-Boykott-Bewegung "BDS" bekennt und erst ein-, dann aus- und nach Protesten anderer Künstler wieder eingeladen wurde. Nach der Pressekonferenz erzählte Stefanie Carp, dass die Heftigkeit der Debatte schon Unsicherheit ausgelöst hat:
"Ich hatte 'ne Weile Angst, dass die Kunst sich gar nicht mehr dagegen durchsetzen kann, dass immer nur über 'BDS' – letztendlich ging es ja nur darum, dass eine Band wieder eingeladen worden ist. Ich meine, wenn man die Wirklichkeit davon ansieht, ist das ja irgendwie lächerlich, aber dass eben nur noch darüber hysterisch diskutiert wird und die Kunst nicht wahrgenommen wird. Aber dann ist schon mit der William-Kentridge-Premiere klar gewesen, dass die Kunst gesiegt hat."
Erster Triumph der Ruhrtriennale: "The Head and the Load"
Die Aufführung "The Head and the Load" des südafrikanischen Theatermachers war ein wichtiger, erster Triumph der Ruhrtriennale, dem noch einige folgen sollten. Christoph Marthalers Bespielung der kompletten Bochumer Jahrhunderthalle mit Musik von Charles Ives und einem hinreißend skurrilen Ensemble war ein unvergessliches Ereignis.
Weil Marthaler zeigte, dass auch in den riesigen Räumen Bilder und Szenen von minimalistischer Zartheit funktionieren. Und auch das Stück "Diamante" des Argentiniers Mariano Pensotti war ein Höhepunkt. Er ließ in die Duisburger Kraftzentrale eine kleine Stadt bauen, in der sich die Besucher von Haus zu Haus bewegten und einem kapitalistischen Paradies beim Zerfall zusahen.
Debatten hatten wirtschaftlich keine negativen Folgen
Künstlerisch erlebte die Ruhrtriennale eine hervorragende Saison. Vera Battis-Reese, die Geschäftsführerin der Kultur Ruhr GmbH, berichtet, dass die Debatten auch wirtschaftlich keine Folgen hatten:
"Wir haben, als die Diskussionen liefen, weder Bemerkungen nach oben noch nach unten im Vorverkauf verzeichnen können. Und es ist auch so, dass wir mit den Förderern und Sponsoren in einem sehr engen und stetigen Austausch waren, so dass es da auch schon sehr unterschiedliche Reaktionen gab. Aber die Unterstützung auch gerade bei diesen Leuten ist ungebrochen."
Politisches Programm mit Konfliktpotenzial
Stefanie Carp kann heute den Diskussionen aus heutiger Sicht sogar Positives abgewinnen: "Ich hab' dann manchmal sogar gedacht: Ja, wenn man ein politisches Programm macht, gehört so ein Konfliktpotenzial eben auch dazu. Kann ich das eine haben und das andere vermeiden? Es hilft dann vielleicht sogar zu verstehen, was mit so einem Programm gemeint ist."
Natürlich sind nicht alle Aufführungen gelungen. Die Tanzperformance "Black Privilege" blieb zu hermetisch und rätselhaft, Schorsch Kameruns Dortmunder Projekt "Nordstadt-Phantasien" versackte in beliebigen Bildern und manchmal etwas peinlichen Songs.
Aber bei einem Festival, das sich was traut, liegen zwei, drei Flops im normalen Toleranzbereich. Die Ruhrtriennale hat ihr Thema Migration und Postkolonialismus mit großer Vielstimmigkeit und interessanten Impulsen überzeugend behandelt.
2019 dann ein kritischer Blick der Europäer auf sich selbst
Stefanie Carp kündigt an, dass es im nächsten Jahr im Kern um einen kritischen Blick der Europäer auf sich selbst gehen wird. Christoph Marthaler will ein Stück über den Demokratieverlust entwickeln, Jan Lauwers und die Needcompany werden sich mit einem ähnlichen Thema beschäftigen. Die großen Projekte stehen also.
Aber ganz folgenlos sind die Debatten und auch die zunächst nicht besonders glückliche Reaktion Stefanie Carps auf die Vorwürfe nicht geblieben. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der die Ruhrtriennale nicht besucht hat, gab zwar die Entscheidung über eine eventuelle Abberufung der Intendantin an die Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Pönsgen ab. Und die zeigte sich bisher kritisch, aber konstruktiv. Aber eine für Dezember geplante Aufsichtsratssitzung der Kultur Ruhr GmbH, die die Ruhrtriennale veranstaltet, ist auf Oktober vorgezogen worden.
"Ich könnte mir vorstellen, dass das der Grund der vorgezogenen Aufsichtsratssitzung ist, weil wahrscheinlich Teile der FDP und der CDU Druck auf Frau Pfeiffer-Pönsgen machen", sagt Stefanie Carp. Das Land Nordrhein-Westfalen ist neben dem Regionalverband Ruhrgebiet der wichtigste Geldgeber der Ruhrtriennale. Es könnte noch einmal eng werden für Stefanie Carp. Sorgen macht sie sich nicht und stellt die Frage, was nach einem eventuellen Rausschmiss passieren würde:
Gelassener Blick in die Zukunft
"Wie sollte dann jemand anderes überhaupt so schnell ein Programm machen? Also mit Sicherheit kann man sagen, dass Christoph Marthaler und Kornél Mundruczó und die von mir genannten Künstler zum größten Teil nicht mehr zur Verfügung stehen würden. Das wäre ja auch eine Beschädigung der Ruhrtriennale, ne?"