Bilanz der Sommerspiele in Tokio

"Spiele der Wahrheit"

06:34 Minuten
Die belarussische Leichtathletin Kristina Timanowskaja bei einer Pressekonferenz in Tokio.
Der Fall der belarusischen Athletin Kristina Timanowskaja zeige, wie politisch die Olympischen Spiele seien, sagt der Sportsoziologe Gunter Gebauer. © imago / Zuma Wire / Attila Husejnow
Gunter Gebauer im Gespräch mit Kirsten Lemke |
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Mit der Schlusszeremonie um 13 Uhr MEZ sind die Olympischen Sommerspiele in Tokio am 8. August zu Ende gegangen. Der Philosoph und Sportsoziologe Gunter Gebauer zieht eine gemischte Bilanz der in vielerlei Hinsicht besonderen Spiele.
Wohl noch nie wurde im Vorfeld von Olympischen Spielen so viel über das Für und Wider diskutiert wie bei den diesjährigen Sommerspielen in Tokio. Schuld daran ist Corona: Die Pandemie zeigte sehr deutlich, wie dominant die wirtschaftlichen Interessen sind. Die Spiele sollten um jeden Preis stattfinden, selbst mit coronabedingter Abwesenheit sportbegeisterter und anfeuernder Zuschauerinnen und Zuschauer im Stadion.
Der Philosoph und Sportsoziologe Gunter Gebauer hat, wie viele andere auch, die Spiele mit "gemischter Freude" verfolgt. Einerseits seien die Fernsehübertragungen teilweise sehr gut gewesen und die Wettkämpfe auf sehr hohem Niveau ebenso wie die Kommentierung. Es sei aber auch nicht zu übersehen gewesen, dass die Stadien leer waren. Bei leeren Stadien fehle einfach die Resonanz und Rückmeldung der Zuschauer, besonders bei den Mannschaftssportarten.

Warum der Sport nie frei von Politik ist

"Es fehlte die Begeisterung, es sprang kein Feuer über und die Stimmung im deutschen Olympia-Team war letzten Endes etwas gedrückt" bedauert Gebauer. "Hinzu kommt, dass die deutsche Mannschaft viel Pech gehabt hat."
Immerhin habe sich die Anzahl der Coronafälle in Grenzen gehalten, sagt Gebauer. Das liege wohl auch daran, dass die Veranstalter so viel Wert auf restriktive Kontrollen gelegt und die Teilnehmer auseinandergehalten hätten. "Sie konnten sich ja selbst im olympischen Dorf nicht frei bewegen und auch in der Mannschaft nicht immer treffen, nicht alle Wettkämpfe besuchen. "
Neben Corona gab es bei diesen Spielen noch viele andere Themen, die zumindest vordergründig nichts mit Sport zu tun hatten.

Wie die Olympischen Spiele im Gastgeberland Japan gesehen werden, darüber berichtet die Journalistin Anja Röbekamp in der Sendung Nachspiel [AUDIO] .

Dazu gehörte eine Debatte um Rassismus, ausgelöst durch den Eklat um den deutschen Radsportfunktionär Patrick Moster, eine um Judenhass, ausgelöst durch die Weigerung des algerischen Judoka Fethi Nourine gegen einen israelischen Gegner anzutreten. Eine um Sexismus wegen des Streits um Vorschriften zu knapper Kleidung von Sportlerinnen und nicht zuletzt die Fälle Kristina Timanowskaja, die belarussische Leichtathletin, die aus Angst vor einer Entführung durch eigene Sportfunktionäre um Asyl bat und es in Polen auch bekam. Schließlich sorgte noch die US-amerikanische Turnerin Simone Biles für Aufsehen, weil sie wegen mentaler Belastung auf mehrere Wettkämpfe verzichten musste.

Seit langem schwelende Themen

Diese Themen gebe es aber schon seit langem, sagt Gebauer. "Die schwelen sozusagen unter der Oberfläche, das ist nur selten richtig rausgekommen. In gewisser Hinsicht waren das jetzt 'Spiele der Wahrheit', hier ist es richtig rausgeplatzt."
Es sei immer zu befürchten gewesen, dass die politische Einflussnahme auf Olympia-Teilnehmer sehr stark sei. Und das passiere oft im Vorfeld der Spiele, so Gebauer. "In bestimmten Ländern wird genau ausgesiebt und geschaut, ob jemand überhaupt das Land verlassen darf, ob jemand das Land repräsentieren darf. Im Fall Timanowskaja ist es umgekehrt gewesen. Hier ist jemand rausgekommen und hat dann Kritik geübt, und es wurde dann versucht, sie wieder zurückzuführen."
Daran könne man sehen, wie politisch auch die Mannschaftsaufstellungen sein können. "Da kriegt man mit, was das IOC immer versucht zu verschleiern: Nämlich, dass die Spiele hochpolitisch sind. Ich fand es auch wunderbar, dass die deutschen Turnerinnen beispielsweise den Mut hatten, im Endkampf mit langen Trikots aufzutreten. Das ist ja von anderen Ländern beobachtet und sehr positiv bewertet worden.

(rjc)
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