Bilanz nach zehn Jahren

Hartz IV war ein Reinfall

Illustration: Auf einer magnetischen Spielzeugtafel in einem Krankenhaus in Dresden steht Hartz 4 geschrieben
Was hat Hartz IV unterm Strich gebracht? Christoph Butterwegge sieht die Reform äußerst kritisch. © picture alliance / ZB
Von Christoph Butterwegge |
Prekäre Beschäftigung, gesunkene Reallöhne und eine ausgezehrte SPD: Zehn Jahre nach der Hartz-IV-Reform ist die Bilanz verheerend, meint der Politologe Christoph Butterwegge - denn profitiert haben am Ende nur Unternehmer und Aktionäre.
Hartz IV war ein Reinfall. Was rot-grüne Reformpolitik an Wirtschaftsaufschwung und Entspannung auf dem Arbeitsmarkt bewirkte, hielt sich in Grenzen. Gemessen daran aber war der Preis viel zu hoch, den das Land und besonders seine unterprivilegierten Bewohner bis heute zahlen müssen.
In keinem anderen Industriestaat wucherte der Niedriglohnsektor so krebszellenartig wie hierzulande. Viele Berufstätige haben kein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mehr, das ihnen Schutz vor elementaren Lebensrisiken bieten würde. Wenn dieser jedoch gegeben ist, leisten sie vielfach Leiharbeit oder Zwangsteilzeit.
Das Gesamtarbeitsvolumen der Volkswirtschaft wurde seit der Jahrtausendwende nicht etwa vermehrt, sondern nur anders verteilt, genauer: aufgespalten in vielfach prekäre Beschäftigungsverhältnisse.
In sozialer Hinsicht wirkte die Reformpolitik verheerend
Da die Reallöhne vor allem im unteren Einkommensbereich zum Teil drastisch gesunken sind und die Lohnquote auf einen historischen Tiefstand gefallen ist, können sich immer mehr Familien immer weniger von dem leisten, was der Mehrheit in unserem reichen Land als normal gilt.
In der Krise behauptete sich Deutschland dann aufgrund zweier Konjunkturpakete, eines noch halbwegs intakten Kündigungsschutzes, eines zeitlich verlängerten Kurzarbeitergeldes sowie aufgrund der Arbeitszeitkonten in zahlreichen Betrieben, die es erlaubten, den konjunkturell bedingten Auftragsrückgang abzufedern. Es handelte sich hierbei im Grunde um ein zeitweiliges Außerkraftsetzen der "Agenda"-Reformen.
Dies und der lange Lohnverzicht der Arbeitnehmer haben zwar den "Standort D" weiter gestärkt. Doch das wiederum verschärfte die wirtschaftliche Unwucht zwischen der Bundesrepublik und den Ländern der südlichen EU-Peripherie (Griechenland, Spanien und Portugal) und trug entscheidend zur dortigen "Staatsschuldenkrise" bei.
In sozialer Hinsicht wirkte die Reformpolitik verheerend, weil sie zu einer bis dahin unvorstellbar krassen Verteilungsschieflage bei den Einkommen und Vermögen führte, von der perspektivisch Gefahren für den inneren Frieden und die Demokratie ausgehen.
Hartz IV war auch ein Fiasko für die SPD
Parteipolitisch war die Agenda 2010 ein totales Fiasko: Sie brach nicht bloß mit dem erfolgreichen kontinentaleuropäischen Sozialmodell, das auf Konsens, Sozialpartnerschaft und Solidarität basiert, vielmehr auch mit uralten Parteitraditionen, was die SPD die Kanzlerschaft, sechs Ministerpräsidentenposten, ein Drittel ihrer Mitglieder und die Hälfte ihrer Wählerstimmen kostete.
Interessant ist auch, was aus den führenden Reformakteuren, sicherlich nicht zufällig nur Männer, geworden ist: Gerhard Schröder suchte sein Heil in der Wirtschaft, die am meisten von seiner Regierungspolitik profitiert hatte.
Wolfgang Clement, damals als einziger Fachminister im Kabinett Schröder/Fischer sowohl an Entstehung wie an Umsetzung der Reformagenda beteiligt, übernahm den Vorsitz einer Denkfabrik der weltgrößten Leiharbeitsfirma Adecco, sitzt dem Kuratorium der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft vor und trat schließlich im Wahlkampf für die FDP auf.
Den schärfsten Karriereknick erlitt zweifellos Peter Hartz: Er verlor seinen Posten als Personalvorstand von VW und wurde wegen Untreue verurteilt, weil er für "Lustreisen" von Managern und Betriebsräten verantwortlich zeichnete.
Kurzum, es gibt anlässlich des Hartz-IV-Jubiläums keinen Grund zum Feiern, es sei denn, man gehört zu den wenigen Gewinnern des Reformprozesses, wie zum Beispiel Unternehmer und Aktionäre. Denn natürlich sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse und auf breiter Linie sinkende Löhne die Basis für steigende Profite, hohe Renditen und boomende Börsen.
Christoph Butterwegge, Jahrgang 1951, lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln - mit den Arbeitsschwerpunkten: Globalisierung und Kritik am Neoliberalismus; Sozialstaatsentwicklung und Armut; Rechtsextremismus, Rassismus, Jugend und Gewalt; Migration und Integration; demografischer Wandel. Gerade ist sein Buch "Hartz IV und die Folgen. Auf dem Weg in eine andere Republik?" (290 Seiten; 16,95 Euro) bei Beltz Juventa erschienen.
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