Beim TuS Haltern ist die Zukunft baskisch
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Höher, schneller, weiter - das war einmal. Dabei ist Athletico Bilbao ein Vorbild: Der westfälische Oberliga-Verein TuS Haltern eifert dem baskischen Vorbild nach. Zum Saisonauftakt will er sozialer, nachhaltiger und vor allem regionaler werden.
Sonntagnachmittag, kurz vor drei. Die "Stausee-Kampfbahn", das minimalistische Fußballstadion am Rande der westfälischen Seestadt. Letzte Saison haben sie hier noch Regionalliga gespielt, gegen namhafte Gegner wie Köln II, Rot-Weiß Essen und Alemannia Aachen. Gleich heißt der Gegner "TuS Erndtebrück".
"Wir wollen das kleine Bilbao sein. Mehrere Tausend Kilometer entfernt in Deutschland. Das heißt, dass wir auf unsere Jugendspieler setzen, auf die Heimat setzen, dass wir auf lokale Talente setzen." An Sendungsbewusstsein mangelt es Raphael Brinkert nicht. Er ist Marketingchef vom "TuS Haltern" aus der Oberliga Westfalen.
Einstige Kaderschmiede für Bundesligaspieler
Oberliga statt Regionalliga West: Der Verein wollte das so. Den freiwilligen Abstieg, um den Weg für das "Bilbao-Prinzip" frei zu machen. Ab dieser Saison muss die Hälfte aller Spieler der ersten Männermannschaft aus Haltern kommen, ab 2021/22 sogar 75 Prozent.
"Uns war klar, dass der Bilbao-Weg schon radikaler ist", sagt Brinkert. "Insbesondere für einen Verein, der in den letzten Jahren mehrfach aufgestiegen ist und wo es eigentlich nur um höher, schneller, weiter ging. Jetzt geht es um sozialer, gerechter, lokaler. Das ist natürlich ein radikaler Turnaround. Den Weg wollten wir gehen, weil wir ein Interesse an der Langfristigkeit des Vereins haben. Auch an einer seriösen finanziellen und wirtschaftlichen Infrastruktur."
Brinkert hat sich an den Spielfeldrand gestellt. Seit seinen Kindertagen ist der Mann im schwarzen Trainingsanzug dem Klub verbunden. Er hat erlebt, wie sich der TuS von der Bezirksliga in die Regionalliga West hocharbeitete und zu einer Art Kaderschmiede künftiger Bundesliga- und Nationalspieler wurde: Fußball-Weltmeister Benedikt Höwedes hat hier in der Jugend gekickt, der Deutsch-Portugiese Sergio Pinto, Christoph Metzelder.
Der Marketingchef schaut hoch. Metzelder, das ist kein gutes Thema. Der Ex-Nationalspieler sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert, in denen es um die Verbreitung von Kinderpornografie geht.
"Möchte ich mich jetzt gar nicht zu äußern. Tatsächlich: Wir haben gesagt, dass wir gar nichts zu der Person sagen", wiegelt der Marketing-Mann ab. Bekanntlich gilt bis zu einem möglichen Urteil die Unschuldsvermutung.
Auch die Coronakrise zwingt zu neuen Wegen
Viel lieber redet Brinkert davon, wie sie im "Strategie-Stab" auf die Idee mit dem "Bilbao-Prinzip" kamen, er und Benedikt Höwedes. Eine Idee, die die Corona-Krise nur bestärkte.
"Die Coronakrise ist eine Zäsur, glaube ich, im gesamten deutschen Sport, insbesondere auch im Amateurfußball. Den Weg wollen wir aktiv angehen. Nicht auf Fördermittel angewiesen sein, sondern unseren eigenen Weg gehen. Der eigene Weg heißt: Förderung der Talente, um vernünftig ambitionierten Amateurfußball in Haltern am See anbieten zu können."
"Bilbao ist etwas, das passt", ergänzt Sportdirektor Sascha Kopschina. "Es wird letztendlich viel mehr in die Jugendarbeit investiert. Es wird in Infrastruktur investiert. Das heißt, das Thema Tribünen, Überdachung, Flutlichtsystem auf dem Hauptplatz. Mehr Spielfelder für die Jugend."
Mehr Geld für die Jugendarbeit statt für horrende Ablösesummen: Bei den Fans kommt das gut an.
"Selbstverständlich, als gebürtiger Halteraner", gibt einer zu Protokoll. "Nicht schlecht", "ganz gut", so andere. Und "datt die Leute, die hier aus der Region kommen, 'ne Chance haben, sich zu beweisen."
Höher, schneller, weiter: Die Zeiten sind fürs Erste in der Stausee-Kampfbahn vorbei. Es ist später Nachmittag, das Spiel ist vorbei. Der TuS Haltern hat 1:0 gewonnen. Und Torschütze Patrick Brinkert? Ist happy über seinen Siegtreffer – und das "Bilbao-Prinzip":
"Ich glaube, das ist bis jetzt ganz gut umgesetzt worden. Da gibt's jetzt auch für Leute, beispielsweise meine Person, die jetzt im Oberligakader stehen, ganz neue Chancen. Dementsprechend find ich’s echt super."