Auch Vollpfosten haben Grundrechte
Die "Bild"-Zeitung hat angeblich ihr Herz für Flüchtlinge entdeckt. Sie stellt rechte Facebook-Hetzer an einen "Pranger der Schande" - und veröffentlicht Zitate mit Klarnamen und Fotos. Eine seltsame Kehrtwende des Blattes um 180 Grad, findet Bettina Schmieding.
Manchmal denke ich, es gibt vielleicht zwei "Bild"-Zeitungen. Oder zwei "Bild"-Chefredakteure. Kai Diekmann muss zumindest eine multiple Persönlichkeit haben, anders ist das alles nicht zu erklären. Zurzeit hat der Kai Diekmann Dienst, der sein Herz für Flüchtlinge entdeckt hat. Zwei ganze Seiten räumt er frei für einen "Pranger der Schande", ja, das steht da wirklich, falls Sie die Ausgabe von 80 Cent für Deutschlands größtes Boulevardblatt heute Morgen gescheut haben.
"Bild" zitiert Waldemar und Adrian, Verena und Gerd, Axel und Benny und wie sie alle heißen, die ganz großen Helden aus Dunkeldeutschland. Wie sie in all ihrem spießigen Hass den "Bimbo" zurück in den Busch wünschen, unseren Innenminister "eine alte Ratte" nennen und für die "Asylanten" schon mal die Öfen heizen. "Bild" nennt sie beim Namen und ordnet ihnen gleich auch noch ihr Facebook Profilfoto zu.
Kürzlich äußerte sich "Bild"-Chef Diekmann noch ganz anders
Wie schlecht muss es eigentlich um unser Land bestellt sein, wenn sich die "Bild"-Zeitung zum Beschützer der Schutzlosen aufschwingen kann? Ausgerechnet Kai Diekmanns Blatt, das noch vor kurzem meinte, seine Leser darüber aufklären zu müssen, dass junge Ausländer viel gewalttätiger seien als junge Deutsche, um daraus flugs eine Serie zu machen. Womit wir wieder beim Chefredakteur mit der multiplen Persönlichkeit wären. Der ließ noch vor kurzem einen Kollegen mit dem Satz "Mich stört die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle" ins Blatt und berechnete, "wie viel ein Therapieplatz für kriminelle Ausländer" kostet.
Und jetzt die Nummer mit dem Pranger für Facebook-Hetzer? Ist mir irgendwie peinlich, aber ich muss es sagen: Auch Vollpfosten haben Grundrechte. Was serviert uns "Bild" als nächstes? Adressen und Telefonnummern? Wahrscheinlich je nachdem, welcher Kai Diekmann gerade in der Redaktion ist. Zurzeit scheint es, als könnten sich die Flüchtlinge noch eine Weile auf ihn verlassen. Denn er hat eine Demütigung aus dem September zu überwinden, und die erklärt vielleicht auch seine derzeitige Pro-Flüchtlinge-Phase.
Vor vier Wochen nämlich wagten es Fußballfans landauf landab, sich gegen eine der berüchtigten Diekmann-Ideen zu wehren. Die Vereine wollten sich nicht vor den Karren der Wir-Helfen-Flüchtlingen-Kampagne der "Bild"-Zeitung spannen lassen. Und schon gleich gar nicht, als Kai Diekmann sie daraufhin bei Twitter der Flüchtlingsfeindlichkeit zieh. Wer lässt sich schon gerne von der "Bild" instrumentalisieren? Oder um es mit dem Plakat in einer Fankurve zu sagen: "Die Hetzer von gestern sind die Helfer von heute."