Peter Schneider, Rosa Schamal, Manuel Süess: Altar
Verlag Edition Patrick Frey, Zürich 2018
92 Seiten, 40 Euro
Staubfänger oder liebevolle Stillleben?
Klassischerweise gehören sie in einen religiösen Kontext: Altäre. Es gibt aber auch weltliche, sehr individuelle Versionen. Der Bildband "Altar" zeigt ganz private Mini-Ausstellungen, liebevolle Arrangements aus Erinnerungsstücken.
Timo Grampes: Über die Bezeichnung "Altar" stolpert man ja ein wenig – was ist es denn genau, was die diese Sammlungen kleiner Lieblingsstücke einem Altar in der Kirche so ähnlich macht?
Gesa Ufer: Dass hier Dinge, die alle mit ideellem Wert sehr liebevoll drapiert sind und die für die Eigentümer ganz offenbar Geschichten mit Geschichten und Geschichte verbunden sind. So eine Mini-Ausstellung von Lieblingsdingen, die einem wichtig sind. Das Buch erklärt diese Faszination sehr genau. Und zwar nicht nur mithilfe vieler sehr anschaulicher Fotos, sondern es gibt auch eine schöne theoretische Einführung, die das Phänomen versucht, anthopologisch-wissenschaftlich einzukreisen. Beides sehr gut gelungen.
Grampes: Was für Altäre finden wir da vor? Sind das alles klassische Wohnzimmer-Arrangements?
Ufer: Der Altar-Begriff ist hier schon ausgesprochen weit. Einerseits sieht man genau diese kleinen Stillleben, die ja sogar Möbelläden nachbauen und kläglich dabei scheitern, weil sie eben kein Leben und keine Geschichten atmen – hier sehen wir z.B. einen Altar musikbegeisterter Menschen mit ganz vielen ordentlich aufgereihten Holz-Flöten, davor und daneben lauter Kleinkram mit Bedeutung, dann aber auch einfach drei Plastiktiere, die einen kleinen Altar auf dem Ablagetisch im Bad bilden, oder aber auch einige echte Altäre in Kirchen, oder solche mit lauter Opfergaben, wie man sie aus asiatischen Restaurans kennt.
Einen Gartenzwerg-Altar gibt´s, der einen hässlichen Brunnendeckel kaschieren soll, aber auch berührende Beispiele, wie Blumen und ewigen Lichter an einer Straßenkreuzung, dort, wo sich wahrscheinlich gerade ein dramatischer Unfall ereignet hat. Sogar eine Badehandtuch auf einem Steg, mit ordentlich drapiertem Rucksack und Ferienlektüre hat es in den Altar-Band geschafft. Die meisten Fotos spielen aber trotzdem in Wohnungen und bilden diese kleinen Sammlungen von Lieblingsgegenständen ab.
Grampes: Gerade im Frühjahr erleben wir jedes Jahr wieder einen Boom an Entschlackungs-, Ordnungs- und Wegwerfratgebern für die eigene Wohnung. Stehen solche kleinen Privataltäre mit lauter Krimskrams nicht genau für das Gegenteil? Für Staubfänger und Zehenschoner, die niemand braucht?
Ufer: Das mag auf den ersten Blick so scheinen. Der ganz große Unterschied zum "Messietum" aber ist die Haltung zu den ausgestellten Dingen. Das beschreibt Peter Schneider in dem schönen Vorwort auch: Dass zum Krankheitsbild eines Messies die sogenannte "Wertbeimessungs-Störung" gehört – heißt: Selbst der letzte Trash wird noch für kostbar und aufbewahurungswürdig gehalten. Anders der Privat-Altar-Freund. Der, so jedenfalls die These des Buches, würde zu all den Gegenständen immer auch eine gewisse ironische Distanz halten.
Grampes: Dein Resümée?
Ufer: Ich hätte mir noch ein wenig mehr Einordnung für die dargestellten Altäre selbst gewünscht. Auf dem Waschzettel zum Buch fanden sich nämlich einige Zitate von solchen Privat- Altar-Besitzern, die sehr berührend waren – zum Beispiel das Zitat einer alten Dame, die traurig ist, dass ihre Familie über die Jahre so auseinanderissen wurde – durch Krankheit, Streit, Scheidung oder Tod – und sie sagt, sie hätte eigentlich alle so gern um sich, aber auf ihrer Kommode, da währen eben alle vereint.
Ich hätte mir ein paar mehr solcher – von mir aus auch anonysierten – Zitate gewünscht, um den jeweiligen Wert, dieser kleinen Wunderkammern, über den ästhetischen hinaus noch besser zu verstehen. Oder vielleicht eine Art Quellennachweis, wo welches Foto ungefähr entstanden ist. Nichts desto trotz ist es ein Buch, das enorm Spaß macht und natürlich ein unbedingtes Plädoyer, sich schleunigst einen eigenen kleinen Hausaltar anzuschaffen.