Bildband

Prächtiges Haus für großes Ego

Von Dorothée Brill |
Manchen Künstlern genügt das eigene Schaffen nicht zur Selbstdarstellung. Sie lassen sich Gebäude bauen, in denen ihre Kunst und ihr Leben zum Ausdruck kommen. Der Bildband "Tempel des Ich" zeigt solche Gesamtkunstwerke.
"Umweht vom Hauch der Antike und doch modern, monumental, ja prunkvoll, aber ohne theatralische Gebärde - das ist das Haus, das ist der Mann, das ist der Maler!" Diese Worte Fritz von Ostinis von 1909 sind eine Art Konzentrat des Prachtbands "Im Tempel des Ich". Das Haus, von dem der Publizist hier spricht, ist die Münchener Villa Stuck und ihr Erbauer, Gestalter und Bewohner ist der Künstlerfürst Franz von Stuck. In diesem Jahr wäre er 150 Jahre alt geworden.
"Tempel des Ich" widmet sich dem Künstlerhaus als Gesamtkunstwerk zwischen 1800 und 1948. Bei den 20 ausgewählten Architekturen aus Europa und den USA handelt es sich also nicht einfach um Wohnhäuser, mittels derer man sich den Künstlern auf einer eher anekdotischen Ebene nähert. Vielmehr liegt das Augenmerk auf Häusern, die Behausung und Kunstwerk zugleich sind, raumgewordene künstlerische Konzepte, betretbare Bildwelten und vor allem Gesamtkunstwerke.
Die neoklassizistische Villa Stuck ist dabei nicht das erste seiner Art, sondern wird auf jenes Stadthaus des Londoner Architekten Sir John Soane aus dem späten 18. Jahrhundert zurückgeführt, das Wohnraum und Museum, Arbeitsstätte und Studiensammlung, sachliche Forschung und Überwältungungserfahrung verband. Randvoll mit Exponaten bot es eine "Grand Tour im Taschenformat".
Überlagerung von Malerei und Architektur
Die hier noch deutliche wissenschaftliche Strukturierung ist in der gebauten Antikenfantasie des Malers Lawrence Alma-Tademas rund hundert Jahre später zu einem Geflecht geworden, in dem jedes Teil zwar ein spezifisches kulturelles Zeugnis ablegt, sich in der Kombination jedoch zu einem pankulturellen Kosmos verbindet.
Durch die detaillierte und wunderbar bebilderte Präsentation ermöglicht das Buch eine Überprüfung von Ostinis Behauptung, es gebe eine Übereinstimmung zwischen dem Künstler, seiner Kunst und der selbstgeschaffenen Behausung. Denn den Gebäuden, deren Erbauer meist Autodidakten waren, werden ihre Gemälde zur Seite gestellt. Auf diese Weise werden die Architekturen als raumgewordene Bilder erkennbar, in denen sich der Wunsch nach der Bewohnbarkeit des Fiktionalen offenbart.
Doch Ostinis Aussage galt nicht nur der Überlagerung von Malerei und Architektur, sondern auch jener von Werk und Schöpfer. Sind diese Gesamtkunstwerke, die oft mit enormem Aufwand realisiert wurden, wie die vier New Yorker Künstlerhäuser des Malers und Glaskünstlers Tiffany, also Ausdruck einer narzisstischen Selbstbespiegelung, in der sich das Künstlerego als in den Raum aufgespannt präsentiert?
Sehnsucht nach der Zukunft
Die Antwort des Buchs ist eindeutig, aber nicht ohne Alternativen. So wird die Villa von Franz Stuck als "persönliches Pantheon" und "Inkarnation seiner selbst" zum Paradebeispiel einer solchen Selbstdarstellung. Dieser Haltung steht allerdings ein Anspruch gegenüber, den Richard Wagner und damit der berühmteste Vertreter des Gesamtkunstwerks formulierte. Er sah es gerade nicht "als die willkürliche mögliche Tat des Einzelnen, sondern als das notwendig denkbare gemeinsame Werk der Menschen der Zukunft".
In alle Bereiche der Lebenswirklichkeit eingreifend, sollte das Gesamtkunstwerk gesellschaftsbildend wirken. Dieser ganz andere Anspruch kommt vielleicht in jenen Künstlerhäusern eher zum Ausdruck, die einer Sehnsucht nach der Zukunft entspringen, nicht nach antiker Harmonie, orientalischer Fülle oder präzivilisatorischer Naturverbundenheit. Ein Beispiel hierfür ist Theo van Doesburgs Atelierhaus von 1930. Dieses in den Raum hinein erweiterte Gemälde, zeigt den Wunsch seines Schöpfers nach einer überindividuellen, kollektiven Architektur und also eher nach einem Antitempel des Ich.

Margot Th. Brandlhuber und Michael Buhrs (Hrsg.): Tempel des Ich
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2013
376 Seiten, 49,80 Euro

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