Ellen Blumenstein, 1976 in Kassel geboren. Sie studierte Literatur-, Musik- und Medienwissenschaften und arbeitet seit über 15 Jahren international im Bereich der zeitgenössischen Kunst. Seit August 2017 ist sie für zunächst zwei Jahre Kuratorin der Hamburger HafenCity. Zwischen 2013 und 2016 war sie Chefkuratorin des KW Institute for Contemporary Art.
Starkult als Sackgasse
Das Frankfurter Städel Museum zeigt im Herbst Van Gogh: Werke weltberühmter Künstler von Da Vinci bis Bosch locken die Besuchermassen. Die Kuratorin Ellen Blumenstein hält nicht viel vom Starkult – und fordert, die Rolle der Kunst neu zu verhandeln.
Im Jahr 2017 zahlte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman die sagenhafte Summe von 450 Millionen Dollar für eine Christusdarstellung Leonardo da Vincis. Ob dieses pervers hohen Betrages könnte man versucht sein, sich zu empören, denn das Geld hätte sehr viel sinnvoller ausgegeben werden können.
Für eine wichtige institutionelle Ausstellung etwa, wie sie das Städelmuseum in Frankfurt für den Herbst dieses Jahres stolz ankündigt. Laut Pressemittelung soll es die "größte und aufwendigste Präsentation" des Hauses aller Zeiten werden, und sie kostet vermutlich nur ein Bruchteil des da Vinci-Gemäldes.
Repräsentanten einer höheren Wahrheit
Doch geht das Museum tatsächlich wesentlich anders mit Kunst um als der Scheich aus Saudi-Arabien? Zweifelsohne werden die Kuratoren höchst sorgfältig arbeiten, viele sehenswerte Werke zusammentragen und gewiss auch neue forschungsrelevante Details zum Vorschein bringen. Aber strukturell ähneln sich die Situationen doch: Für beide sind die Künstler deshalb attraktiv, weil sie zum gegenwärtigen Kanon absolut gesetzter Künstlergenies zählen.
Deshalb gehören ihre Werke zum Teuersten, was auf dem Kunstmarkt zu haben ist. Aus dem gleichen Grund sind sie als günstige Kunstdrucke, als Motive auf Kleidung oder Accessoires weit über den musealen Raum hinaus präsent. Ihre Popularität rührt daher, dass Künstlern heute ein Mehrwissen unterstellt wird, das ihre Werke zu Repräsentanten einer höheren Wahrheit macht.
Diese Erwartung treibt Besucher zur Mona Lisa in den Pariser Louvre, gilt aber genauso für bin Salman, der für sein Geld ja stattdessen auch Yachten, Autos oder Häuser hätte kaufen können.
Unbekanntere locken nur wenige ins Museum
Im Klartext: Der für ein Kunstwerk gezahlte Preis und seine ehrfurchtgebietende Präsentation im Museum sind verschiedene Ausdrucksweisen der gleichen Projektion. Der Kunst wird ein im Alltag vermisstes "mehr" an Bedeutung zugeschrieben, das sich auf seinen Betrachter – oder Besitzer – durch seine bloße Existenz überträgt.
Für Organisatoren und Publikum funktioniert diese museale Praxis so lange, wie der entsprechende Künstlername bekannt genug ist. Aber schon bei Gerhard Richter – dem vermutlich berühmtesten und teuersten aller lebenden Künstler – sinkt die Zahl erwartbarer Ausstellungsbesucher rapide, ganz zu schweigen von jüngeren oder weniger bekannten Vertretern der Kunstszene.
Problematische Verknüpfung von Hoch- und Populärkultur
Um diese Kluft zu überbrücken, investieren Institutionen massiv in Vermittlungsangebote, die Besuchern crashkursartig Spezialwissen nahezubringen versuchen. Da die hierfür empfängliche Klientel aber zunehmend schrumpft und der Rest der Bevölkerung immer schwerer von deren Nutzen zu überzeugen ist, sprich, Besucherzahlen ständig sinken, werden Ausstellungen mehr und mehr mit Strategien aus der Unterhaltungsindustrie unterfüttert.
Nun ist gegen die Verknüpfung von Hoch- und Populärkultur grundsätzlich nichts einzuwenden. Aber angesichts der bislang mäßig erfolgreichen Anstrengungen, eine widerstrebende Öffentlichkeit von der Relevanz im Fachdiskurs hochgeschätzter künstlerischer Positionen zu überzeugen, liegt die Alternative womöglich im Offensichtlichen: Wenn wir Künstler aus der Erwartung entlassen würden, wissen zu müssen, wie die Dinge "in Wahrheit" liegen, müsste Kunst auch nicht mehr alles erklären.
Ernsthaft relevante Themen suchen
Sie könnte sich vielmehr mit Bereichen beschäftigen, deren Nutzen unklar ist, und Fragen formulieren, die nicht zu den gängigen Antworten passen. Dann würden sie zwar nicht mehr zur messianischen Figur taugen. Aber Museen könnten auch nicht mehr die immer gleichen Ausstellungen mit den immer gleichen Namen realisieren und müssten sich ernsthaft damit beschäftigen, welche Themen ein interessiertes Publikum relevant finden könnte.
Welche Rolle der Kunst dabei zukäme, müsste dann endlich neu verhandelt werden.