"Vom Meereshimmel wehend überdacht"
Refugium, Idyll, Ort intellektueller Debatten: In der Künstlerkolonie Ahrenshoop wurde nicht nur gemalt, sondern auch angeregt diskutiert. Heute lebt der Ort von der Nostalgie, sagen Kritiker. Die Kunst sei zum Wirtschaftsfaktor geworden.
"Um uns ist ein Schöpfungstag. Alles, was das Leben an Nähe und Härte bringt, sinkt zurück. Wir stehen entrückt am Anbeginn der Welt. Und formen sich Worte, sind sie der Demut voll und sagen 'wie schön, wie schön'." Käthe Miethe, Schrifstellerin, Ahrenshoop 1947.
Ahrenshoop, 2014. Autos schlängeln sich durch die schmale Straße vorbei an kleinen bunten Reetdachhäusern, die wie hingetupft in den Wiesen stehen. Hier eine Galerie, da ein Café. Hochsaison, der Gehsteig ist voller Touristen. Die Menschen drängen an den weiten, weißen Ostseestrand – manche machen auf ihrem Hin- oder Rückweg einen kleinen Stop am Ahrenshooper Kunstmuseum.
Alfried Nehring, 74 Jahre, ist ein Kunstenthusiast. Seit seiner Pensionierung, seitdem sammelt er Kunst und schreibt mit seiner Frau Bücher – über die unbekannten Maler aus dem Dunstkreis der Kolonie: Walter Moras, Müller-Kurzwelly, Herrmann Eschke. Früher, in der DDR, hat er Filme produziert. Regelmäßig macht er Führungen im Kunstmuseum.
Nach dem 1. Weltkrieg war die Kunst aus Ahrenshoop auf dem Markt nicht mehr gefragt
Nehring: "Dieses ist der eigentliche Hauptraum bezogen auf die Künstlerkolonie. 1892 wurde sie ja durch Paul Müller-Kaempff begründet, und sie löste sich 1914 auf, sowohl durch den 1. Weltkrieg aber auch durch die Tatsache, dass diese Art von akademischer, naturnaher Landschaftsmalerei nicht mehr gefragt war auf dem Kunstmarkt."
Das größte Bild im Raum zeigt ein Hauptwerk von Müller-Kaempff. 1893 hat er es gemalt. Eine trauernde Frau mit einem Kranz in der Hand, geht über eine gelbe Blumenwiese zum Friedhof.
Ein dramatisch schöner Blick
Den Friedhof gibt es immer noch – zahlreiche Künstler liegen hier begraben. Wenn die Häuser an der Küste nicht wären und die Bäume nicht gewachsen, hätte man heute den gleichen Blick wie Paul Müller-Kaempff. Dreht man sich aber um, zur Boddenseite, eröffnet sich immer noch ein dramatisch schöner Blick. Blau breitet sich der unendliche Himmel aus, über den fernen Dünenstreifen lugt die See. So hat die Schriftstellerin Käthe Miethe den Zauber des Ortes beschrieben, so muss Paul Müller-Kaempff die Stimmung empfunden haben, als er zusammen mit seinem Freund Oskar Frenzel 1889 nach Ahrenshoop kam – und blieb.
"Vom Meereshimmel wehend überdacht
Und von der Gärten buntem Blühn umlacht
Der Häuser Kleinod: Wie ein Märchenschatz
Steht still an seinem stillen Platz"
(Johannes R. Becher)
"Gelegentlich einer Wanderung am Hohen Ufer", so schrieb Paul Müller-Kaempff in seinen Erinnerungen, "lag plötzlich, als wir die letzte Anhöhe erreicht hatten, zu unseren Füßen: Ahrenshoop. (…) Kein Drahtzaun, keine Reklametafel. Das war ein Studienplatz, wie ich ihn mir immer gewünscht hatte." Wenig später machte der Maler Ahrenshoop zu seinem festen Wohnsitz. Da hatten aber, entgegen vieler anderen Überlieferungen, schon andere Künstler den unberührten Flecken für sich entdeckt – auf der Suche nach der Wahrhaftigkeit der Natur. Aber Paul Müller-Kaempff war geschäftstüchtig: Er eröffnete ein Malschule.
"Es wurde sehr viel und vielleicht auch interessanter diskutiert als anderswo."
Nehring:"Und das war ein großer Vorteil, denn dort waren betuchte Malschülerinnen, deren Familienangehörige die Bilder auch kauften. Das war ein Vorteil, gegenüber den anderen Malern der Künstlerkolonie, die dieses Einkommen nicht hatten."
Die Malschule, das Haus "Lukas", gibt es immer noch. Immer noch wird hier Kunst produziert. Während der Nazi-Diktatur und auch während der DDR-Zeit war der Ort Zuflucht für viele Künstler. Johannes R. Becher, Schriftsteller und erster Kulturminister der sozialistischen Republik hatte Ahrenshoop zum Bad der Kulturschaffenden erhoben – und damit eine Glasglocke über den kleinen Ort gestülpt.
Nehring: "Es war wirklich ein sprichwörtliches Refugium. Manchmal staunen die Leute, aber es war eine offene Gesellschaft, die natürlich eine Idylle in sich hatte. Aber die Menschen kannten sich auch untereinander, und es wurde auch sehr viel und vielleicht auch interessanter diskutiert über Fragen des künstlerischen Schaffens aber auch zu politischen Themen als anderswo."
"Zunehmend steht der Kommerz im Vordergrund"
Aber was ist geblieben, von dem Freiheits-Atem der Natur, den die Künstler suchen? Der Ort lebt von seiner Nostalgie, sagen Kritiker. Die Kunst ist zum Wirtschaftsfaktor geworden.
Touristin: "Das ist eine schwierige Frage, weil wir schon das Gefühl haben, dass hier zunehmend der Kommerz im Vordergrund steht."
Ahrenshoop wird zum Sylt der Ostsee. Und trotzdem gibt es immer wieder Momente – beim Spaziergang durch den wilden Darsswald oder über die Boddenwiesen am frühen Morgen – da zeigt die Kunst von damals die Gegenwart von heute.
"Da stürzt der Wald
Es ringt das Meer um ihn
Meer bricht herein
Uralte Stämme knien
Und wieder blickst du sinnend übers Meer.
Bis alles dich durchfragt: Wohin? Woher?"