Bilder aus einer abgeschlossenen Welt
Handschuhe, Helm und Dosimeter musste er für diese Arbeit tragen: Der Berliner Fotograf Thorsten Klapsch hat das Innere deutscher Kernkraftwerke abgelichtet. Er dokumentierte damit Orte, die zunächst für Fortschritt standen und dann zum Inbegriff der Katastrophenangst wurden.
Britta Bürger: Haben Sie je darüber nachgedacht, dass es in einem Atomkraftwerk auch eine Kantine gibt, dass dort Topfpflanzen herumstehen und Kicker, auf denen man Tischfußball spielen kann? Der Berliner Fotograf Thorsten Klapsch hat all das in einer beeindruckenden Fotoserie festgehalten, denn er durfte die Energiekolosse nicht nur von außen fotografieren, sondern auch über die Schwelle der Sicherheitstüren ins Innere treten. Als erster Fotograf hat er dafür kurz vor der Katastrophe von Fukushima eine Genehmigung bekommen. Herr Klapsch, herzlich willkommen im Radiofeuilleton!
Thorsten Klapsch: Hallo!
Bürger: Atomkraftwerke, das sind ja besonders sichere und besonders gefährliche Orte zugleich – wie haben Sie sich dort gefühlt, in sicherer oder in gefährlicher Umgebung?
Klapsch: Grundsätzlich muss ich sagen, habe ich mich da nicht unsicher gefühlt. Als ich in die Reaktoren dann reingegangen bin, war mein Gefühl nicht mehr wirklich richtig gut, das war ein bisschen beklemmend, als dann die große Schleusentür sich hinter mir schloss, aber ich hatte da schon irgendwie Vertrauen, dass das gut gehen wird.
Bürger: Mussten Sie während der Arbeit auch diese orangefarbenen Schutzanzüge und die weißen Schuhe tragen, die Sie dann stapelweise fotografiert haben?
Klapsch: Ja, also wenn ich in die Kontrollbereiche reingegangen bin, musste ich mich schon umziehen, musste die komplette Kraftwerkskleidung anziehen, also mich komplett entkleiden und komplett die Sicherheitskleidung anziehen – Handschuhe, Helme – und einen Dosimeter dann auch tragen, um eine mögliche Strahlendosis auch messen zu können.
Bürger: Und hat der mal gepiept?
Klapsch: Ja, einmal, als ich ein Foto gemacht hatte in Biblis, als ich in das Abklingbecken und auf den nicht abgedeckten Reaktordruckbehälter geschaut habe von oben, da hat dann das Dosimeter mal gemeckert.
Bürger: Und dann mussten sie raus.
Klapsch: Nein, da musste ich nicht sofort raus, das hat eben nur bedeutet, dass ich dann eben eine gewisse Strahlendosis abgekommen habe, aber die – wie mir versichert wurde – keine Gefahr darstellt.
Bürger: Wer nicht in der Nähe eines Atomkraftwerks wohnt, der hat diese Gebäude vermutlich vor allen Dingen im Fernsehen gesehen, wenn zum Beispiel in Brockdorf dagegen demonstriert wurde, oder aber nach Katastrophen in Tschernobyl oder in Fukushima. Das kollektive Bildgedächtnis ist doch also eher negativ gepolt. Wie sind Sie für sich selbst damit umgegangen?
Klapsch: Ja, das war ja auch so ein bisschen das, was mich sicherlich auch daran gereizt hat, dieser Industrie ein Stückchen näher zu kommen, die, als sie in Deutschland installiert wurde, so einen starken Technik- und Fortschrittsglauben eigentlich vermittelt hat, aber heutzutage beziehungsweise dann in den letzten Jahren natürlich wirklich durch diese Schreckensbilder eigentlich gezeichnet wurden. Ich hab mich da eigentlich versucht wirklich ganz nüchtern und ganz sachlich ran zu begeben.
Bürger: Jeder kennt die äußere Silhouette dieser Kühltürme und Reaktorkuppeln, Zäune und Mauern, doch dann eben nicht viel mehr. Sie haben Ihren Blick jetzt auf die Details gerichtet, auf die Geometrie, die fensterlosen Räume, die Technik, die Ordnungssysteme von Schließfächern, Schuhregalen, Leitz-Ordnern. Was unterscheidet die Atomkraftwerke denn von anderen Industriebauten?
Klapsch: Ich denke, was sie unterscheidet, ist, dass es einfach wirklich komplette, abgeschlossene Orte sind. Also das sind ja Orte, die kein Fremder so ohne Weiteres betreten kann und deshalb auch so eine Konservierung erlebt haben. Also die sind in den 60er-, 70er-, 80er-Jahren gebaut worden und haben seitdem selten eine Renovierung oder eine Änderung der Architektur im Inneren erlebt und haben deshalb auch irgendwie so einen Reiz, also dass man da wirklich auch diese Zeit genau widergespiegelt sieht.
Bürger: Im Katalog Ihres Bildbandes jetzt, da ist die Rede von anonymer Architektur. Wie ist diese architektonische Form denn überhaupt entstanden und gefunden worden? Gibt es so was wie Architekten, die berühmt geworden sind mit AKW-Bauten?
Klapsch: Da habe ich auch ein bisschen bei meinen Recherchen irgendwie versucht dahinterzukommen, aber da bekommt man eigentlich keine großen Informationen, also irgendwo müssen da Architekten dran gewesen sein. Wenn man sich das Kernkraftwerk Gundremmingen zum Beispiel anschaut, diese braune Kiste mit dem roten Rüssel, der hereinragt von außen, und dann diese weiß-beigen Reaktoren, also da hat sich schon jemand auf jeden Fall Gedanken gemacht über diese Ästhetik dieser Gebäude. Nur wer dahintergesteckt hat, das konnte ich nicht wirklich rausfinden.
Bürger: Und auf den Reaktorblöcken, da sitzt häufig so eine Art Kuppel, ist das auch jetzt eine Notwendigkeit oder doch dann ein Symbol?
Klapsch: Also man sieht ja, es gibt ja unterschiedliche Typen von Atomkraftwerken, einmal die Kisten und einmal die Kuppeln. Die Kuppeln haben natürlich schon zum einen - technisch bedingt, weil sie natürlich einen höheren Druck aushalten - also eine runde Form. Aber auf der anderen Seite haben sie natürlich auch irgendwie schon so eine Kennzeichnung. Also diese Orte oder diese Atomkraftwerke erkennt man einfach ganz typisch an ihrer Form, und es gibt keine anderen Gebäude, die eben wirklich so diese Kuppelform – außer man geht jetzt von einem Dom aus oder so was – haben. Deshalb sind sie auch schon sehr kirchenähnlich.
Bürger: Und sieht man diesen Kuppelraum auch von innen?
Klapsch: Den sieht man auch von innen. Wenn man dann in dem Reaktorgebäude drin steht, dann sieht man eben diese Kugel auch von innen.
Bürger: Wie ist Ihnen das überhaupt gelungen, diese Genehmigung zu bekommen, im Inneren zu fotografieren? Das war ja kurz vor der Katastrophe von Fukushima, danach wäre es Ihnen dann wahrscheinlich nicht mehr erlaubt worden.
Klapsch: Ich habe ja 2005 mit dieser Arbeit angefangen, hab immer von außen über mehrere Jahre diese Orte immer wieder besucht und hab dann die ersten Anfragen 2010 in den Konzernen gestellt und hab da natürlich wirklich sehr, sehr viel Überzeugungsarbeit leisten müssen und immer wieder Telefonate führen müssen, Konzepte schreiben, meine Arbeiten einreichen, und hab aber, glaube ich, dann wirklich überzeugen können, dass es mir da um eine ganz sachliche Dokumentation geht und nicht um eine Schwarz-Weiß-Malerei und eine Anklage der Atomindustrie.
Bürger: Hat man Sie da auch in so einer erkennungsdienstlichen Art und Weise geprüft, Führungszeugnisse, so was mussten Sie einreichen, weil Sie könnten ja jetzt auch ein Demonstrant sein, der da drin mal kurz was anderes vorhat?
Klapsch: Ich musste zumindest unterschreiben, dass ich alle landeskriminalamtlichen Ermittlungen über mich ergehen lassen darf. Also was dann wirklich passiert ist, das weiß ich nicht. Ich musste meine Personalien eben abgeben ganz normal und, eben wie gesagt, unterschreiben, dass ich durchleuchtet werden darf.
Bürger: Und wie haben Sie sich da drinnen dann gefühlt? Das waren ja für Sie vermutlich auch Räume, von denen Sie bis dahin nur eine Fantasie hatten.
Klapsch: Ich hatte eine Fantasie, aber hatte natürlich schon so ein bisschen auch eine Vorstellung von dem, wie es da aussehen würde, also vor allem von dieser Architektur. Weil ich ziehe da auch immer sehr gerne Vergleiche zu dieser Architektur von Stadtteilen oder von so öffentlichen Räumen, die eben auch in dieser Zeit entstanden sind, die man ja auch schon irgendwie kennt, also so Gebäude, die in den 70er Jahren gebaut worden sind, öffentliche Räume waren und die dann da auch so eine ganz spezielle Architektur haben, nur dass es eben in den Kraftwerken so war, dass sie wirklich so konserviert auch heutzutage immer noch dastehen.
Bürger: Der Berliner Fotograf Thorsten Klapsch hat in den vergangenen sieben Jahren alle deutschen Atomkraftwerke fotografiert und darüber jetzt einen großformatigen Bildband herausgebracht. Das ist das Thema unseres Gesprächs hier im Deutschlandradio Kultur. Eine Reihe von Fotos zeigt sehr idyllische Momente – in der Natur, in unmittelbarer Nähe von Atomkraftwerken. Da sieht man Menschen am Badesee, einen Angler, Leute auf Campingstühlen, und die scheinen das bedrohliche Monster im Hintergrund irgendwie gar nicht mehr wahrzunehmen. Sind Sie mit diesen Leuten auch ins Gespräch gekommen, wie erleben die diese Orte?
Klapsch: Ja, ich bin teilweise natürlich schon mit ihnen auch ins Gespräch gekommen. Also ich glaube, für viele, die in unmittelbarer Nähe von einem Atomkraftwerk leben, ist es auch ein Stück von Normalität und Alltag. Also ich glaube, wenn man in der Nähe groß geworden ist und da lebt und sich jeden Tag irgendwie darüber Gedanken machen würde, dass es vielleicht die nächsten Tage den großen Unfall da geben könnte, dann würde man, glaube ich, eher wegziehen, als da bleiben. Also deshalb muss man da auch, glaube ich, eine gewisse Möglichkeit für sich selbst finden, damit umzugehen.
Bürger: Das sind aber auch die einzigen Menschen, die man sieht auf Ihren Fotos. Wenn Sie sich auf das Kraftwerk selbst, auf die Kraftwerke selbst konzentrieren, dann sieht man keine Menschenseele, sondern nur die Spuren, zum Beispiel das Schnitzel auf dem Kantinenteller, die Topfpflanzen in Büros und eben diese schon erwähnten Kickertische – Spuren menschlichen Lebens. Warum haben Sie die Leute, die im AKW arbeiten, ausgeblendet?
Klapsch: Ich hab sie deshalb ausgeblendet, weil ich eigentlich den Betrachter ganz allein in diese Räume mitnehmen wollte, dass er wirklich so ganz losgelöst in diesen Räumen ganz alleine steht und das Gefühl wirklich der Räume auch auf sich wirken lassen kann und nicht beeinflusst wird noch von Menschen, die da vielleicht auch irgendwie das Bild stören oder auch die Architektur oder auch diese Geradlinigkeit dieser Aufnahmen stören.
Bürger: Als Sie damit angefangen haben, da wussten Sie ja noch nicht, dass Sie damit zu so einer Art Chronist werden, Chronist einer Architektur, die es vermutlich irgendwann in Deutschland nicht mehr geben wird durch die Entscheidung, aus der Atomkraft auszusteigen, durch die Katastrophe von Fukushima. Hat sich das also im Prozess dann doch verändert, ihre Arbeit?
Klapsch: Also als ich die Arbeit begonnen habe, war mir das natürlich nicht wirklich klar, dass es so schnell gehen würde, dass es dann so schnell vorbei sein würde, aber das Thema war ja in Deutschland nie richtig populär. Also man hat es ja auch politisch gesehen, dass es da eine ganze Zeit ein starkes Hin und Her gab, und das ist auch das, was mich natürlich ein bisschen an diesem Thema gereizt hat. Die Arbeit hat sich nicht wirklich großartig verändert. Ich meine, Fukushima hat für mich zumindest kurzzeitig dieses Risiko geborgen, dass ich schwach werde, beziehungsweise dass ich nicht so gradlinig an dieser Arbeit dranbleiben kann und sie so sachlich dokumentarisch weiterführen kann, weil es natürlich plötzlich ein sehr starkes emotionales Thema geworden ist. Aber ich habe es dennoch geschafft, weiterhin ganz sachlich auf diese Räume, auf diese Gebäude oder auch auf den Castortransport, auf den letzten, zu blicken und Bilder abzugeben, die einfach nicht diesen Klischees entsprechen.
Bürger: Auch wenn Sie sagen, Sie wollten sachlich sein, keinerlei Bewertung in Ihren Fotos durchscheinen lassen, was Ihnen tatsächlich gelungen ist, dann entstehen im Kopf des Betrachters aber ja doch Bewertungen, oder kann man urteilsfrei überhaupt auf Kraftwerke gucken?
Klapsch: Na, ich glaube, wenn man eine Meinung schon dazu hat und man sieht Bilder, also so ein Bild wie zum Beispiel das Essen in der Kantine, das bekommt dann einen gewissen Geschmack, weil man sich nicht vorstellen kann, in einem Kraftwerk irgendwie was essen zu wollen. Oder auch diese Anzüge, die da hängen, diese orangenen, die auch ein bisschen vermitteln, ein Stückchen Gefahr vermitteln, die da herrscht. Ich glaube, das hat eher was in dem Kopf zu tun, wie man dann sich diese Bilder anschaut. Und das ist ja auch das, was eigentlich auch das Schöne an der Arbeit ist, dass ich jedem ein Stückchen mitgebe von dem, was er denkt, oder ihm was zeigen kann, was er noch nie gesehen hat so und was ihn vielleicht auch davon überzeugen kann, dass es vielleicht doch auch anders sein könnte.
Bürger: Waren Sie je auf einer AKW-Demo, einer Anti-AKW-Demo?
Klapsch: Nicht wirklich, nein. Ich bin in der Nähe von Frankfurt am Main groß geworden, Biblis war weit genug weg, also dass es für mich in der Zeit, als ich irgendwie noch auf Demonstrationen gegangen wäre, eine Möglichkeit dargestellt hätte.
Bürger: Also dieses Atomthema war keins, das Sie politisiert hat?
Klapsch: Nicht wirklich politisiert. Ich meine, ich habe meine Meinung, meine Einstellung dazu, die hab ich dadurch gelöst, dass ich seit etlichen Jahren meinen Strom aus regenerativen Quellen beziehe, aber so, dass ich jetzt irgendwie da politisch aktiv werden müsste, das war niemals irgendwie meine Idee.
Bürger: Das ist ein aufwendig sehr schön gestalteter Fotoband, auch wirklich sehr gute Qualität, in der Edition Panorama erschienen, und dennoch wünscht man sich, diese Bilder in groß zu sehen in einer Ausstellung. Ist so was geplant?
Klapsch: Also das wäre jetzt der nächste Schritt. Ich muss erst mal schauen, dass ich das jetzt erst mal hier mit dem Buch ordentlich zu Ende bringe, aber es gibt schon die ersten Gespräche. Ich muss sehen, das ist natürlich auch eine große finanzielle Sache jetzt, und eine große Ausstellungsreihe, was ich am liebsten machen würde, die durch Deutschland zieht, zu finanzieren. Es gibt schon ein paar Gespräche, muss man jetzt einfach mal abwarten, was da demnächst passieren wird.
Bürger: Mit Kraftwerksbetreibern?
Klapsch: Nee, da möchte ich auch da weiterhin so unabhängig bleiben, dass ich auch nicht irgendwie gesponsert von den großen Energiekonzernen diese Ausstellungsreihe mache.
Bürger: Aber die könnten sich das vorstellen, oder?
Klapsch: Die könnten sich das durchaus, glaube ich, vorstellen, ja.
Bürger: "Atomkraft" heißt der großformatige Fotoband, und erschienen ist das Buch von Thorsten Klapsch in der Edition Panorama, kostet 65 Euro. Herzlichen Dank fürs Gespräch!
Klapsch: Recht herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Thorsten Klapsch: Hallo!
Bürger: Atomkraftwerke, das sind ja besonders sichere und besonders gefährliche Orte zugleich – wie haben Sie sich dort gefühlt, in sicherer oder in gefährlicher Umgebung?
Klapsch: Grundsätzlich muss ich sagen, habe ich mich da nicht unsicher gefühlt. Als ich in die Reaktoren dann reingegangen bin, war mein Gefühl nicht mehr wirklich richtig gut, das war ein bisschen beklemmend, als dann die große Schleusentür sich hinter mir schloss, aber ich hatte da schon irgendwie Vertrauen, dass das gut gehen wird.
Bürger: Mussten Sie während der Arbeit auch diese orangefarbenen Schutzanzüge und die weißen Schuhe tragen, die Sie dann stapelweise fotografiert haben?
Klapsch: Ja, also wenn ich in die Kontrollbereiche reingegangen bin, musste ich mich schon umziehen, musste die komplette Kraftwerkskleidung anziehen, also mich komplett entkleiden und komplett die Sicherheitskleidung anziehen – Handschuhe, Helme – und einen Dosimeter dann auch tragen, um eine mögliche Strahlendosis auch messen zu können.
Bürger: Und hat der mal gepiept?
Klapsch: Ja, einmal, als ich ein Foto gemacht hatte in Biblis, als ich in das Abklingbecken und auf den nicht abgedeckten Reaktordruckbehälter geschaut habe von oben, da hat dann das Dosimeter mal gemeckert.
Bürger: Und dann mussten sie raus.
Klapsch: Nein, da musste ich nicht sofort raus, das hat eben nur bedeutet, dass ich dann eben eine gewisse Strahlendosis abgekommen habe, aber die – wie mir versichert wurde – keine Gefahr darstellt.
Bürger: Wer nicht in der Nähe eines Atomkraftwerks wohnt, der hat diese Gebäude vermutlich vor allen Dingen im Fernsehen gesehen, wenn zum Beispiel in Brockdorf dagegen demonstriert wurde, oder aber nach Katastrophen in Tschernobyl oder in Fukushima. Das kollektive Bildgedächtnis ist doch also eher negativ gepolt. Wie sind Sie für sich selbst damit umgegangen?
Klapsch: Ja, das war ja auch so ein bisschen das, was mich sicherlich auch daran gereizt hat, dieser Industrie ein Stückchen näher zu kommen, die, als sie in Deutschland installiert wurde, so einen starken Technik- und Fortschrittsglauben eigentlich vermittelt hat, aber heutzutage beziehungsweise dann in den letzten Jahren natürlich wirklich durch diese Schreckensbilder eigentlich gezeichnet wurden. Ich hab mich da eigentlich versucht wirklich ganz nüchtern und ganz sachlich ran zu begeben.
Bürger: Jeder kennt die äußere Silhouette dieser Kühltürme und Reaktorkuppeln, Zäune und Mauern, doch dann eben nicht viel mehr. Sie haben Ihren Blick jetzt auf die Details gerichtet, auf die Geometrie, die fensterlosen Räume, die Technik, die Ordnungssysteme von Schließfächern, Schuhregalen, Leitz-Ordnern. Was unterscheidet die Atomkraftwerke denn von anderen Industriebauten?
Klapsch: Ich denke, was sie unterscheidet, ist, dass es einfach wirklich komplette, abgeschlossene Orte sind. Also das sind ja Orte, die kein Fremder so ohne Weiteres betreten kann und deshalb auch so eine Konservierung erlebt haben. Also die sind in den 60er-, 70er-, 80er-Jahren gebaut worden und haben seitdem selten eine Renovierung oder eine Änderung der Architektur im Inneren erlebt und haben deshalb auch irgendwie so einen Reiz, also dass man da wirklich auch diese Zeit genau widergespiegelt sieht.
Bürger: Im Katalog Ihres Bildbandes jetzt, da ist die Rede von anonymer Architektur. Wie ist diese architektonische Form denn überhaupt entstanden und gefunden worden? Gibt es so was wie Architekten, die berühmt geworden sind mit AKW-Bauten?
Klapsch: Da habe ich auch ein bisschen bei meinen Recherchen irgendwie versucht dahinterzukommen, aber da bekommt man eigentlich keine großen Informationen, also irgendwo müssen da Architekten dran gewesen sein. Wenn man sich das Kernkraftwerk Gundremmingen zum Beispiel anschaut, diese braune Kiste mit dem roten Rüssel, der hereinragt von außen, und dann diese weiß-beigen Reaktoren, also da hat sich schon jemand auf jeden Fall Gedanken gemacht über diese Ästhetik dieser Gebäude. Nur wer dahintergesteckt hat, das konnte ich nicht wirklich rausfinden.
Bürger: Und auf den Reaktorblöcken, da sitzt häufig so eine Art Kuppel, ist das auch jetzt eine Notwendigkeit oder doch dann ein Symbol?
Klapsch: Also man sieht ja, es gibt ja unterschiedliche Typen von Atomkraftwerken, einmal die Kisten und einmal die Kuppeln. Die Kuppeln haben natürlich schon zum einen - technisch bedingt, weil sie natürlich einen höheren Druck aushalten - also eine runde Form. Aber auf der anderen Seite haben sie natürlich auch irgendwie schon so eine Kennzeichnung. Also diese Orte oder diese Atomkraftwerke erkennt man einfach ganz typisch an ihrer Form, und es gibt keine anderen Gebäude, die eben wirklich so diese Kuppelform – außer man geht jetzt von einem Dom aus oder so was – haben. Deshalb sind sie auch schon sehr kirchenähnlich.
Bürger: Und sieht man diesen Kuppelraum auch von innen?
Klapsch: Den sieht man auch von innen. Wenn man dann in dem Reaktorgebäude drin steht, dann sieht man eben diese Kugel auch von innen.
Bürger: Wie ist Ihnen das überhaupt gelungen, diese Genehmigung zu bekommen, im Inneren zu fotografieren? Das war ja kurz vor der Katastrophe von Fukushima, danach wäre es Ihnen dann wahrscheinlich nicht mehr erlaubt worden.
Klapsch: Ich habe ja 2005 mit dieser Arbeit angefangen, hab immer von außen über mehrere Jahre diese Orte immer wieder besucht und hab dann die ersten Anfragen 2010 in den Konzernen gestellt und hab da natürlich wirklich sehr, sehr viel Überzeugungsarbeit leisten müssen und immer wieder Telefonate führen müssen, Konzepte schreiben, meine Arbeiten einreichen, und hab aber, glaube ich, dann wirklich überzeugen können, dass es mir da um eine ganz sachliche Dokumentation geht und nicht um eine Schwarz-Weiß-Malerei und eine Anklage der Atomindustrie.
Bürger: Hat man Sie da auch in so einer erkennungsdienstlichen Art und Weise geprüft, Führungszeugnisse, so was mussten Sie einreichen, weil Sie könnten ja jetzt auch ein Demonstrant sein, der da drin mal kurz was anderes vorhat?
Klapsch: Ich musste zumindest unterschreiben, dass ich alle landeskriminalamtlichen Ermittlungen über mich ergehen lassen darf. Also was dann wirklich passiert ist, das weiß ich nicht. Ich musste meine Personalien eben abgeben ganz normal und, eben wie gesagt, unterschreiben, dass ich durchleuchtet werden darf.
Bürger: Und wie haben Sie sich da drinnen dann gefühlt? Das waren ja für Sie vermutlich auch Räume, von denen Sie bis dahin nur eine Fantasie hatten.
Klapsch: Ich hatte eine Fantasie, aber hatte natürlich schon so ein bisschen auch eine Vorstellung von dem, wie es da aussehen würde, also vor allem von dieser Architektur. Weil ich ziehe da auch immer sehr gerne Vergleiche zu dieser Architektur von Stadtteilen oder von so öffentlichen Räumen, die eben auch in dieser Zeit entstanden sind, die man ja auch schon irgendwie kennt, also so Gebäude, die in den 70er Jahren gebaut worden sind, öffentliche Räume waren und die dann da auch so eine ganz spezielle Architektur haben, nur dass es eben in den Kraftwerken so war, dass sie wirklich so konserviert auch heutzutage immer noch dastehen.
Bürger: Der Berliner Fotograf Thorsten Klapsch hat in den vergangenen sieben Jahren alle deutschen Atomkraftwerke fotografiert und darüber jetzt einen großformatigen Bildband herausgebracht. Das ist das Thema unseres Gesprächs hier im Deutschlandradio Kultur. Eine Reihe von Fotos zeigt sehr idyllische Momente – in der Natur, in unmittelbarer Nähe von Atomkraftwerken. Da sieht man Menschen am Badesee, einen Angler, Leute auf Campingstühlen, und die scheinen das bedrohliche Monster im Hintergrund irgendwie gar nicht mehr wahrzunehmen. Sind Sie mit diesen Leuten auch ins Gespräch gekommen, wie erleben die diese Orte?
Klapsch: Ja, ich bin teilweise natürlich schon mit ihnen auch ins Gespräch gekommen. Also ich glaube, für viele, die in unmittelbarer Nähe von einem Atomkraftwerk leben, ist es auch ein Stück von Normalität und Alltag. Also ich glaube, wenn man in der Nähe groß geworden ist und da lebt und sich jeden Tag irgendwie darüber Gedanken machen würde, dass es vielleicht die nächsten Tage den großen Unfall da geben könnte, dann würde man, glaube ich, eher wegziehen, als da bleiben. Also deshalb muss man da auch, glaube ich, eine gewisse Möglichkeit für sich selbst finden, damit umzugehen.
Bürger: Das sind aber auch die einzigen Menschen, die man sieht auf Ihren Fotos. Wenn Sie sich auf das Kraftwerk selbst, auf die Kraftwerke selbst konzentrieren, dann sieht man keine Menschenseele, sondern nur die Spuren, zum Beispiel das Schnitzel auf dem Kantinenteller, die Topfpflanzen in Büros und eben diese schon erwähnten Kickertische – Spuren menschlichen Lebens. Warum haben Sie die Leute, die im AKW arbeiten, ausgeblendet?
Klapsch: Ich hab sie deshalb ausgeblendet, weil ich eigentlich den Betrachter ganz allein in diese Räume mitnehmen wollte, dass er wirklich so ganz losgelöst in diesen Räumen ganz alleine steht und das Gefühl wirklich der Räume auch auf sich wirken lassen kann und nicht beeinflusst wird noch von Menschen, die da vielleicht auch irgendwie das Bild stören oder auch die Architektur oder auch diese Geradlinigkeit dieser Aufnahmen stören.
Bürger: Als Sie damit angefangen haben, da wussten Sie ja noch nicht, dass Sie damit zu so einer Art Chronist werden, Chronist einer Architektur, die es vermutlich irgendwann in Deutschland nicht mehr geben wird durch die Entscheidung, aus der Atomkraft auszusteigen, durch die Katastrophe von Fukushima. Hat sich das also im Prozess dann doch verändert, ihre Arbeit?
Klapsch: Also als ich die Arbeit begonnen habe, war mir das natürlich nicht wirklich klar, dass es so schnell gehen würde, dass es dann so schnell vorbei sein würde, aber das Thema war ja in Deutschland nie richtig populär. Also man hat es ja auch politisch gesehen, dass es da eine ganze Zeit ein starkes Hin und Her gab, und das ist auch das, was mich natürlich ein bisschen an diesem Thema gereizt hat. Die Arbeit hat sich nicht wirklich großartig verändert. Ich meine, Fukushima hat für mich zumindest kurzzeitig dieses Risiko geborgen, dass ich schwach werde, beziehungsweise dass ich nicht so gradlinig an dieser Arbeit dranbleiben kann und sie so sachlich dokumentarisch weiterführen kann, weil es natürlich plötzlich ein sehr starkes emotionales Thema geworden ist. Aber ich habe es dennoch geschafft, weiterhin ganz sachlich auf diese Räume, auf diese Gebäude oder auch auf den Castortransport, auf den letzten, zu blicken und Bilder abzugeben, die einfach nicht diesen Klischees entsprechen.
Bürger: Auch wenn Sie sagen, Sie wollten sachlich sein, keinerlei Bewertung in Ihren Fotos durchscheinen lassen, was Ihnen tatsächlich gelungen ist, dann entstehen im Kopf des Betrachters aber ja doch Bewertungen, oder kann man urteilsfrei überhaupt auf Kraftwerke gucken?
Klapsch: Na, ich glaube, wenn man eine Meinung schon dazu hat und man sieht Bilder, also so ein Bild wie zum Beispiel das Essen in der Kantine, das bekommt dann einen gewissen Geschmack, weil man sich nicht vorstellen kann, in einem Kraftwerk irgendwie was essen zu wollen. Oder auch diese Anzüge, die da hängen, diese orangenen, die auch ein bisschen vermitteln, ein Stückchen Gefahr vermitteln, die da herrscht. Ich glaube, das hat eher was in dem Kopf zu tun, wie man dann sich diese Bilder anschaut. Und das ist ja auch das, was eigentlich auch das Schöne an der Arbeit ist, dass ich jedem ein Stückchen mitgebe von dem, was er denkt, oder ihm was zeigen kann, was er noch nie gesehen hat so und was ihn vielleicht auch davon überzeugen kann, dass es vielleicht doch auch anders sein könnte.
Bürger: Waren Sie je auf einer AKW-Demo, einer Anti-AKW-Demo?
Klapsch: Nicht wirklich, nein. Ich bin in der Nähe von Frankfurt am Main groß geworden, Biblis war weit genug weg, also dass es für mich in der Zeit, als ich irgendwie noch auf Demonstrationen gegangen wäre, eine Möglichkeit dargestellt hätte.
Bürger: Also dieses Atomthema war keins, das Sie politisiert hat?
Klapsch: Nicht wirklich politisiert. Ich meine, ich habe meine Meinung, meine Einstellung dazu, die hab ich dadurch gelöst, dass ich seit etlichen Jahren meinen Strom aus regenerativen Quellen beziehe, aber so, dass ich jetzt irgendwie da politisch aktiv werden müsste, das war niemals irgendwie meine Idee.
Bürger: Das ist ein aufwendig sehr schön gestalteter Fotoband, auch wirklich sehr gute Qualität, in der Edition Panorama erschienen, und dennoch wünscht man sich, diese Bilder in groß zu sehen in einer Ausstellung. Ist so was geplant?
Klapsch: Also das wäre jetzt der nächste Schritt. Ich muss erst mal schauen, dass ich das jetzt erst mal hier mit dem Buch ordentlich zu Ende bringe, aber es gibt schon die ersten Gespräche. Ich muss sehen, das ist natürlich auch eine große finanzielle Sache jetzt, und eine große Ausstellungsreihe, was ich am liebsten machen würde, die durch Deutschland zieht, zu finanzieren. Es gibt schon ein paar Gespräche, muss man jetzt einfach mal abwarten, was da demnächst passieren wird.
Bürger: Mit Kraftwerksbetreibern?
Klapsch: Nee, da möchte ich auch da weiterhin so unabhängig bleiben, dass ich auch nicht irgendwie gesponsert von den großen Energiekonzernen diese Ausstellungsreihe mache.
Bürger: Aber die könnten sich das vorstellen, oder?
Klapsch: Die könnten sich das durchaus, glaube ich, vorstellen, ja.
Bürger: "Atomkraft" heißt der großformatige Fotoband, und erschienen ist das Buch von Thorsten Klapsch in der Edition Panorama, kostet 65 Euro. Herzlichen Dank fürs Gespräch!
Klapsch: Recht herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.