Bilder einer lockeren Liaison
Während der Sanierung des Lenbachhauses in München wird ein Großteil seiner legendären Sammlung der Künstlergruppe "Der Blaue Reiter" in Baden-Baden gezeigt. Im Museum Frieder Burda sind rund 80 Werke von Künstlern wie Macke, Marc, Kandinsky, Klee, Münter und Jawlensky zu sehen.
Es war in einer Gartenlaube, 1911 in der Nähe von München. Maria Marc, die Frau des Malers Franz Marc, kochte ihren märchenhaften Kaffee, und Wassily Kandinsky, der Gast, machte artig Komplimente. Nebenbei erfand die Kaffeerunde einen der berühmtesten Namen der Kunstgeschichte: "Der Blaue Reiter". "Beide liebten wir blau", erinnerte sich der Russe später, "Marc mochte Pferde, und ich Reiter. So kam der Name ganz von selbst."
Ein großes blaues Pferd von Franz Marc, im selben Jahr 1911 gemalt, hängt jetzt als Blickfang im Baden-Badener Museum gleich im Erdgeschoss. Es ist das größte der 80 Bilder, die man aus dem Lenbachhaus geliehen hat, ein Postkartenmotiv, das jeder kennt. Doch der immer wieder erfolgreich praktizierte Trick des Hauses, mit seiner grandiosen Architektur aus weißen Wänden, Licht und Glas jedes noch so oft gesehene Werk zum neuen Seherlebnis zu verzaubern, verfängt in diesem Falle nicht so recht. Die übrigen Bilder nämlich sind erstaunlich klein und haben alle Mühe, sich in der weiten Halle zu behaupten, die man mit aufgemalten grauen Streifen extra optisch verkleinert hat. Für manchen Besucher mag das eine Enttäuschung sein – man hatte sich das imposanter vorgestellt.
Überhaupt ist es ja schon ein Kunststück, die Werke des "Blauen Reiters" so zu inszenieren, als würden sie zum ersten Mal gezeigt. Die Münchner Sammlungsleiterin Annegret Hoberg macht das so:
"Wir haben den Akzent gelegt auf die Idee ‚Freunde, Wege, Ziele`, also dass wir mal im Einzelnen zeigen, wie sich die Künstler überhaupt getroffen haben, wie sie zusammengefunden haben, wie ihre gemeinsamen Wege waren und was eigentlich das Ziel, das Besondere des Blauen Reiters ist."
Das Personal zunächst mal also: Bildnisse, Porträts. Kandinsky malt seine Lebensgefährtin Gabriele Münter im Freien an der Staffelei, und die revanchiert sich mit einem Bildnis des malenden Geliebten im Gras, den Skizzenblock auf den Knien. Sie malt auch das andere Paar der Gruppe, Alexej Jawlensky und Marianne Werefkin; August Macke porträtiert seine Frau Elisabeth und so fort, Jawlensky wiederum malt den Tänzer Sacharoff, ein schriller Typ, der auch ein Weggefährte war. "Der Blaue Reiter" nämlich war keine homogene Arbeits- und Lebensgemeinschaft wie etwa die Dresdner "Brücke", sondern eine lockere Liaison, zu der zeitweise ein gutes Dutzend Künstler gehörte.
"Was den Blauen Reiter sehr unterscheidet sowohl von der ‚Brücke’ als auch von anderen Avantgardebewegungen wie dem Kubismus, ist dieses Streben nach dem Geistigen, nach dem spirituellen Akzent, den gerade Kandinsky und Franz Marc in ihren Werken umsetzen wollten. Und ‚Der Blaue Reiter’, gerade im Gegensatz zur Brücke, war eben eine lose Vereinigung von Künstlern ganz unterschiedlicher Art, also ein gewisser Pluralismus auch im Stil."
Kandinsky ist der Kopf der Gruppe, der Stratege, der nicht nur seine farbstrotzenden Murnauer Landschaften systematisch in die Abstraktion treibt, sondern auch den Münchner Galeristen Thannhauser zu dem Wagnis überredet, die radikalen Werke seiner Freunde erstmals auszustellen, 1909.
"Thannhauser als Galerist, im Grunde hat er sich exponiert, die Leute haben auf die Bilder gespuckt, es gab Riesenproteste in der Presse, und trotzdem hat Kandinsky es geschafft, und sie haben also wirklich auch Tourneen dann vorbereitet, Kataloge geschrieben, Begleithefte mit ihrem Programm."
Dieses Programmheft, der legendäre "Almanach" des Blauen Reiters von 1912, liegt in einer Vitrine. Es ist eine Art Logbuch der Moderne, das eine Menge Stoff enthält:
"Verschiedene Textbeiträge, dann aber auch Musikbeilagen, also von Schönberg und seinen Schülern gibt es auch Noten hinten drin. Und gerade diese Konfrontation der Bilder ist etwas sehr Interessantes, was auch ganz modern ist, was damals revolutionär war. Es sind eben Kunst der so genannten Primitiven, Kinderzeichnungen, Geisteskranke, aber auch überseeische Plastik usw., afrikanische, ozeanische Skulptur konfrontiert mit alten Meistern, aber auch ganz modernen wie Picasso, wie ihre eigenen Bilder. Diese Gegenüberstellung ist eben wirklich etwas ganz Neues gewesen."
Was wir in Baden-Baden sehen, ist mittlerweile hundert Jahre alt, und die Schau referiert die Geschichte der Gruppe sozusagen im Galopp, knapp und kompakt.
Gabriele Münter und ihre Landschaften, in glühenden Farben und kräftigen Konturen; Franz Marc und seine Kühe – nein, nicht lila, sondern in vergnügtem Gelb-Rot-Grün purzeln sie über die bunt gefleckte Weide; wir sehen den berühmten "Hutladen" von August Macke und seine "Promenade" im Park, sein "Türkisches Café", Jawlenskys meditative Gesichtsmasken, zwei verträumte Szenen von Campendonk und drei poetisch verspielte Bildchen von Paul Klee – eine schöne Welt, ein Augenschmaus, gewiss. Eigentlich hätten die Münchner noch manchen kapitalen Kandinsky aufzubieten gehabt, aber so ist das mit diesen in Mode gekommenen Leih- und Tauschgeschäften: die großen Kandinskys sind leider anderweitig auf Tournee, derzeit in Paris.
Die Schau mag so nicht wirklich zwingend sein, hat aber noch etwas zu bieten: 60 Schwarz-Weiß-Fotos, die Gabriele Münter damals aufgenommen hat, die Chronistin der Gruppe mit der Kamera. Sehr private Schnappschüsse sind darunter, aber auch kunstvoll komponierte Szenen, und viele befassen sich mit der am Ende unerfüllten Beziehung zu Kandinsky. "Der Blaue Reiter", das war eben auch eine Geschichte von Liebesleid und Künstlerglück. Und die ist mindestens so reizvoll wie die Bilder.
Service:
"Der Blaue Reiter"
Museum Frieder Burda, Baden-Baden
27. Juni - 11. Oktober 2009
Ein großes blaues Pferd von Franz Marc, im selben Jahr 1911 gemalt, hängt jetzt als Blickfang im Baden-Badener Museum gleich im Erdgeschoss. Es ist das größte der 80 Bilder, die man aus dem Lenbachhaus geliehen hat, ein Postkartenmotiv, das jeder kennt. Doch der immer wieder erfolgreich praktizierte Trick des Hauses, mit seiner grandiosen Architektur aus weißen Wänden, Licht und Glas jedes noch so oft gesehene Werk zum neuen Seherlebnis zu verzaubern, verfängt in diesem Falle nicht so recht. Die übrigen Bilder nämlich sind erstaunlich klein und haben alle Mühe, sich in der weiten Halle zu behaupten, die man mit aufgemalten grauen Streifen extra optisch verkleinert hat. Für manchen Besucher mag das eine Enttäuschung sein – man hatte sich das imposanter vorgestellt.
Überhaupt ist es ja schon ein Kunststück, die Werke des "Blauen Reiters" so zu inszenieren, als würden sie zum ersten Mal gezeigt. Die Münchner Sammlungsleiterin Annegret Hoberg macht das so:
"Wir haben den Akzent gelegt auf die Idee ‚Freunde, Wege, Ziele`, also dass wir mal im Einzelnen zeigen, wie sich die Künstler überhaupt getroffen haben, wie sie zusammengefunden haben, wie ihre gemeinsamen Wege waren und was eigentlich das Ziel, das Besondere des Blauen Reiters ist."
Das Personal zunächst mal also: Bildnisse, Porträts. Kandinsky malt seine Lebensgefährtin Gabriele Münter im Freien an der Staffelei, und die revanchiert sich mit einem Bildnis des malenden Geliebten im Gras, den Skizzenblock auf den Knien. Sie malt auch das andere Paar der Gruppe, Alexej Jawlensky und Marianne Werefkin; August Macke porträtiert seine Frau Elisabeth und so fort, Jawlensky wiederum malt den Tänzer Sacharoff, ein schriller Typ, der auch ein Weggefährte war. "Der Blaue Reiter" nämlich war keine homogene Arbeits- und Lebensgemeinschaft wie etwa die Dresdner "Brücke", sondern eine lockere Liaison, zu der zeitweise ein gutes Dutzend Künstler gehörte.
"Was den Blauen Reiter sehr unterscheidet sowohl von der ‚Brücke’ als auch von anderen Avantgardebewegungen wie dem Kubismus, ist dieses Streben nach dem Geistigen, nach dem spirituellen Akzent, den gerade Kandinsky und Franz Marc in ihren Werken umsetzen wollten. Und ‚Der Blaue Reiter’, gerade im Gegensatz zur Brücke, war eben eine lose Vereinigung von Künstlern ganz unterschiedlicher Art, also ein gewisser Pluralismus auch im Stil."
Kandinsky ist der Kopf der Gruppe, der Stratege, der nicht nur seine farbstrotzenden Murnauer Landschaften systematisch in die Abstraktion treibt, sondern auch den Münchner Galeristen Thannhauser zu dem Wagnis überredet, die radikalen Werke seiner Freunde erstmals auszustellen, 1909.
"Thannhauser als Galerist, im Grunde hat er sich exponiert, die Leute haben auf die Bilder gespuckt, es gab Riesenproteste in der Presse, und trotzdem hat Kandinsky es geschafft, und sie haben also wirklich auch Tourneen dann vorbereitet, Kataloge geschrieben, Begleithefte mit ihrem Programm."
Dieses Programmheft, der legendäre "Almanach" des Blauen Reiters von 1912, liegt in einer Vitrine. Es ist eine Art Logbuch der Moderne, das eine Menge Stoff enthält:
"Verschiedene Textbeiträge, dann aber auch Musikbeilagen, also von Schönberg und seinen Schülern gibt es auch Noten hinten drin. Und gerade diese Konfrontation der Bilder ist etwas sehr Interessantes, was auch ganz modern ist, was damals revolutionär war. Es sind eben Kunst der so genannten Primitiven, Kinderzeichnungen, Geisteskranke, aber auch überseeische Plastik usw., afrikanische, ozeanische Skulptur konfrontiert mit alten Meistern, aber auch ganz modernen wie Picasso, wie ihre eigenen Bilder. Diese Gegenüberstellung ist eben wirklich etwas ganz Neues gewesen."
Was wir in Baden-Baden sehen, ist mittlerweile hundert Jahre alt, und die Schau referiert die Geschichte der Gruppe sozusagen im Galopp, knapp und kompakt.
Gabriele Münter und ihre Landschaften, in glühenden Farben und kräftigen Konturen; Franz Marc und seine Kühe – nein, nicht lila, sondern in vergnügtem Gelb-Rot-Grün purzeln sie über die bunt gefleckte Weide; wir sehen den berühmten "Hutladen" von August Macke und seine "Promenade" im Park, sein "Türkisches Café", Jawlenskys meditative Gesichtsmasken, zwei verträumte Szenen von Campendonk und drei poetisch verspielte Bildchen von Paul Klee – eine schöne Welt, ein Augenschmaus, gewiss. Eigentlich hätten die Münchner noch manchen kapitalen Kandinsky aufzubieten gehabt, aber so ist das mit diesen in Mode gekommenen Leih- und Tauschgeschäften: die großen Kandinskys sind leider anderweitig auf Tournee, derzeit in Paris.
Die Schau mag so nicht wirklich zwingend sein, hat aber noch etwas zu bieten: 60 Schwarz-Weiß-Fotos, die Gabriele Münter damals aufgenommen hat, die Chronistin der Gruppe mit der Kamera. Sehr private Schnappschüsse sind darunter, aber auch kunstvoll komponierte Szenen, und viele befassen sich mit der am Ende unerfüllten Beziehung zu Kandinsky. "Der Blaue Reiter", das war eben auch eine Geschichte von Liebesleid und Künstlerglück. Und die ist mindestens so reizvoll wie die Bilder.
Service:
"Der Blaue Reiter"
Museum Frieder Burda, Baden-Baden
27. Juni - 11. Oktober 2009