Bilder eines Genozids
Im Ersten Weltkrieg wurde Armin T. Wegner als Sanitäter Zeuge des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich. Nach Kriegsende versuchte er, das Geschehen mit Bildern und Vorträgen publik zu machen. Der Wallstein Verlag veröffentlicht nun diese Dokumente.
Zwei offene Briefe machten Armin T. Wegner berühmt. Den einen schrieb er 1933 ebenso mutig wie tollkühn an Hitler, um gegen die einsetzende Judenverfolgung zu protestieren. Wenig später wurde er deshalb verhaftet und bis 1934 durch mehrere KZs geschleift, bevor es seiner jüdischen Frau Lola Landau mit Hilfe von Freunden gelang, ihn freizubekommen und zur Emigration zu bewegen.
Den ersten offenen Brief hatte Wegner schon im Ersten Weltkrieg verfasst und an US-Präsident Wilson gesandt: Als Sanitätsunteroffizier in der Deutsch-Ottomanischen Sanitätsmission hatte er 1915/1916 beobachtet und erfahren, wie die Armenier zuerst von der türkischen Regierung aus dem Parlament verjagt und dann deportiert wurden. Bis zu 1,5 Millionen Armenier wurden ermordet oder in die mesopotamische Wüste vertrieben, wo sie elendig zu Grunde gingen.
Der Versuch, diesen Völkermord während des Krieges presseöffentlich zu machen, misslang, trotz prominenter Ansprechpartner von Maximilian Harden bis Walther Rathenau. Erst unmittelbar nach Kriegsende hielt Wegner Lichtbilder-Vorträge über "Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste". Er zeigte Fotos, die er selbst gemacht und - trotz türkischem Verbot - "unter der Leibbinde versteckt über die Grenze" geschmuggelt hatte.
Der Wallstein Verlag hat jetzt erstmals diesen Vortrag veröffentlicht und in einer Sisyphosarbeit, soweit möglich, die Herkunft der etwa 100 Fotos erkundet, die Wegner für seinen Vortrag verwendete. Sie zeigen Landschaft und Alltagsleben der Armenier, Familien, Frauen, Kinder, fast völkerkundliche Aufnahmen, dazu Zeugnisse einer Jahrtausende alten Kultur, Inschriften, Kirchen, Ruinen. Und dann Aufnahmen der Täter, wie Dschemal Pascha, der das Verbot erließ, den Völkermord zu fotografieren, und dessen Bilder: Erhängte und Verhungerte, Tiere, die an Knochen nagen, bis aufs Skelett abgemagerte menschliche Reste, knöcherne Schädel, die in der Wüste liegen.
Bei seinem ersten Lichtbilder-Vortrag 1919 in der Berliner "Urania" gab es Tumulte: Das hatte nicht nur damit zu tun, dass er die Mitschuld der deutschen Verbündeten an dem von den Türken verübten Völkermord anprangerte - eine Mitschuld, die auch Wegner selbst lange verharmlost hatte. "Vertreter der jungtürkischen Bewegung erhoben den Vorwurf, Wegner zeige Bilder, die keineswegs das darstellten, was er von ihnen behauptete", erinnert Herausgeber Andreas Maier.
Tatsächlich hatte Wegner nicht alle Fotos genau geprüft. "Wegners journalistisch-publizistischer und weniger historisch-dokumentarischer Einsatz des Mediums Bild drohte schließlich das ganze Unternehmen in Misskredit zu bringen", schreibt der Herausgeber. So musste Wegner während des Vortrages und auch danach Korrekturen vornehmen.
Seine Leistung schmälert das dennoch nicht. Denn viele der entsetzlichsten Fotos des Genozids an den Armeniern, die Wegner zeigte, hatte er auch selbst fotografiert. Die Autoren und Archivare liefern nach minutiösen Recherchen die Belege, sie fanden sie im Nachlass Wegners im Deutschen Literaturarchiv Marbach und in seinem Haus in Stromboli, sie haben seine Kamera, die Motive, die Beschriftungen, die Erklärungen verglichen, und alles in einem umfangreichen Anhang erklärt.
Den Schriftsteller Armin T. Wegner in die Rolle des Historikers zu drängen, wäre dennoch falsch. Er nutzte alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel - Briefe, Berichte, Bilder, eigene wie fremde - um mittels "Dichtung und Wahrheit" ein Menschheitsverbrechen anzuprangern. Herausgeber Maier deutet das als Zeichen einer schleichenden Literarisierung: "Statt nur das Selbsterlebte unmittelbar wiederzugeben, wird er wider Willens zum Dichter", schreibt Maier.
Wegner: "Es ist der Mund von tausend Toten, der aus mir reden soll".
Dass Armin T. Wegner - nicht gänzlich unumstritten - nach Johannes Lepsius den Ruf des wichtigsten Zeugen dieses Völkermords behielt, dürfte im jahrzehntelangen Engagement Wegners für die armenische Sache begründet sein, wofür er unter anderem mit dem St. Georg-Orden der armenisch-apostolischen Kirche geehrt wurde.
Mit diesem Buch erleben heutige Leser Wegners beeindruckenden Vortrag, sie erfahren, welchen Lernprozess der Pazifist durchmachte. Und dank des kenntnisreichen Essays von Wolfgang Gust werden Hintergründe und Schuldige für den Völkermord an den Armeniern benannt - der bis heute vielerorts geleugnet wird.
Besprochen von Liane von Billerbeck
Armin T. Wegner: Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste
Herausgegeben von Andreas Maier, mit einem Essay von Wolfgang Gust
Wallstein Verlag, Göttingen 2011
216 Seiten, 24 Euro
Den ersten offenen Brief hatte Wegner schon im Ersten Weltkrieg verfasst und an US-Präsident Wilson gesandt: Als Sanitätsunteroffizier in der Deutsch-Ottomanischen Sanitätsmission hatte er 1915/1916 beobachtet und erfahren, wie die Armenier zuerst von der türkischen Regierung aus dem Parlament verjagt und dann deportiert wurden. Bis zu 1,5 Millionen Armenier wurden ermordet oder in die mesopotamische Wüste vertrieben, wo sie elendig zu Grunde gingen.
Der Versuch, diesen Völkermord während des Krieges presseöffentlich zu machen, misslang, trotz prominenter Ansprechpartner von Maximilian Harden bis Walther Rathenau. Erst unmittelbar nach Kriegsende hielt Wegner Lichtbilder-Vorträge über "Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste". Er zeigte Fotos, die er selbst gemacht und - trotz türkischem Verbot - "unter der Leibbinde versteckt über die Grenze" geschmuggelt hatte.
Der Wallstein Verlag hat jetzt erstmals diesen Vortrag veröffentlicht und in einer Sisyphosarbeit, soweit möglich, die Herkunft der etwa 100 Fotos erkundet, die Wegner für seinen Vortrag verwendete. Sie zeigen Landschaft und Alltagsleben der Armenier, Familien, Frauen, Kinder, fast völkerkundliche Aufnahmen, dazu Zeugnisse einer Jahrtausende alten Kultur, Inschriften, Kirchen, Ruinen. Und dann Aufnahmen der Täter, wie Dschemal Pascha, der das Verbot erließ, den Völkermord zu fotografieren, und dessen Bilder: Erhängte und Verhungerte, Tiere, die an Knochen nagen, bis aufs Skelett abgemagerte menschliche Reste, knöcherne Schädel, die in der Wüste liegen.
Bei seinem ersten Lichtbilder-Vortrag 1919 in der Berliner "Urania" gab es Tumulte: Das hatte nicht nur damit zu tun, dass er die Mitschuld der deutschen Verbündeten an dem von den Türken verübten Völkermord anprangerte - eine Mitschuld, die auch Wegner selbst lange verharmlost hatte. "Vertreter der jungtürkischen Bewegung erhoben den Vorwurf, Wegner zeige Bilder, die keineswegs das darstellten, was er von ihnen behauptete", erinnert Herausgeber Andreas Maier.
Tatsächlich hatte Wegner nicht alle Fotos genau geprüft. "Wegners journalistisch-publizistischer und weniger historisch-dokumentarischer Einsatz des Mediums Bild drohte schließlich das ganze Unternehmen in Misskredit zu bringen", schreibt der Herausgeber. So musste Wegner während des Vortrages und auch danach Korrekturen vornehmen.
Seine Leistung schmälert das dennoch nicht. Denn viele der entsetzlichsten Fotos des Genozids an den Armeniern, die Wegner zeigte, hatte er auch selbst fotografiert. Die Autoren und Archivare liefern nach minutiösen Recherchen die Belege, sie fanden sie im Nachlass Wegners im Deutschen Literaturarchiv Marbach und in seinem Haus in Stromboli, sie haben seine Kamera, die Motive, die Beschriftungen, die Erklärungen verglichen, und alles in einem umfangreichen Anhang erklärt.
Den Schriftsteller Armin T. Wegner in die Rolle des Historikers zu drängen, wäre dennoch falsch. Er nutzte alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel - Briefe, Berichte, Bilder, eigene wie fremde - um mittels "Dichtung und Wahrheit" ein Menschheitsverbrechen anzuprangern. Herausgeber Maier deutet das als Zeichen einer schleichenden Literarisierung: "Statt nur das Selbsterlebte unmittelbar wiederzugeben, wird er wider Willens zum Dichter", schreibt Maier.
Wegner: "Es ist der Mund von tausend Toten, der aus mir reden soll".
Dass Armin T. Wegner - nicht gänzlich unumstritten - nach Johannes Lepsius den Ruf des wichtigsten Zeugen dieses Völkermords behielt, dürfte im jahrzehntelangen Engagement Wegners für die armenische Sache begründet sein, wofür er unter anderem mit dem St. Georg-Orden der armenisch-apostolischen Kirche geehrt wurde.
Mit diesem Buch erleben heutige Leser Wegners beeindruckenden Vortrag, sie erfahren, welchen Lernprozess der Pazifist durchmachte. Und dank des kenntnisreichen Essays von Wolfgang Gust werden Hintergründe und Schuldige für den Völkermord an den Armeniern benannt - der bis heute vielerorts geleugnet wird.
Besprochen von Liane von Billerbeck
Armin T. Wegner: Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste
Herausgegeben von Andreas Maier, mit einem Essay von Wolfgang Gust
Wallstein Verlag, Göttingen 2011
216 Seiten, 24 Euro