Bilder wie Choreographien

Von Michaela Gericke |
Zehn Jahre Camerawork in Berlin-Charlottenburg: Die bekannte Fotogalerie feiert die Dekade mit einer Auswahl von vier großen Fotografen, die mit vor allem mit ihren Modefotos bekannt wurden. Nach Richard Avedon folgt nun Irving Penn. Mit einer Titelfotografie für "Vogue" schaffte er den Durchbruch zur Karriere. Heute gehören seine Fotografien zu den teuren auf dem Foto-Kunstmarkt.
Ein riesiger schwarzer Hut nimmt etwa ein Drittel des Schwarz-Weiß-Fotos ein. Die großen mandelförmigen Augen, mit Kajal betont, schauen nach rechts aus dem Bild heraus. Sinnliche Lippen, schlanker Hals. Das edle Gesicht ist hell und erstrahlt förmlich; es kontrastiert die schwere Schwärze des Hutes.

Als Irving Penn 1959 die Schauspielerin Sophia Loren so porträtiert, ist er bereits Star-Fotograf der Zeitschrift Vogue: Star-Fotograf im doppelten Sinn. denn er bekommt mühelos all die Berühmtheiten vor seine Kamera. Und sie zahlen enorme Summen, um sich von ihm ins rechte Licht setzen zu lassen.

1951 beispielsweise Louis Jouvet. Fast dämonisch wirkt der Schauspieler und Theaterdirektor; sein Kopf ragt aus dem hochgeschlagenen dunklen Kragen heraus. 1957: Picassos Auge – unter geschwungener breiter Hutkrempe. Aus unmittelbarer Nähe porträtiert Penn Anfang der 70er auch Anais Nin: bis zum Kinn zugeknöpft und sehr ernst schaut sie in die Camera. Silbern liegt das lange Haar auf ihren Schultern. Penn scheut sich nicht, den Kopf oben anzuschneiden. Die Galerie Camera Work besitzt das siebte von insgesamt 20 Fotos, die Penn von diesem Motiv abzog. Es kostet schlappe 40 000 Euro. Wie es zu diesem und ähnlichen Preisen kommt, erklärt Galerieleiterin Steffi Schulze:

"Irving Penn macht Editionen - die Bilder gibt es nur in einer limitierten Auflage - so entsteht dann auch der Marktwert. Dass es dann nach einer Zeit nur noch begrenzte Anzahl von Bildern auf dem Markt gibt oder jetzt schon gar nichts mehr. Man bekommt sie nur noch über Auktionen. Dann hat er einige seiner Bilder, (die als Gelatine Silver Prints, als Barrit-Abzüge damals gemacht wurden, hat er) neu geprintet, als Platin Prints, das ist dann eine Steigerung der Qualität - auch ein ganz anderer künstlerischer Aspekt, und auch noch mal in der Edition. Und die sind so wertvoll, oder auch so selten - dass sie dann ... auch einen hohen Liebhaberwert haben."

Dabei tastete sich Irving Penn als junger, noch nicht sehr erfahrener Fotograf Ende der 40er Jahre zunächst trickreich an die Berühmtheiten heran; er will die Stars von ihrem Sockel holen: klemmt sie gleichsam zwischen zwei Stellwände, die in einen spitzen Winkel münden; treibt sie so – buchstäblich – in die Enge. Igor Strawinsky steht zwar betont lässig darin, schlägt die Beine übereinander, presst aber die Ellenbogen gegen die Wände; und setzt eine Hand ans Ohr, als lausche er leisen Klängen hinter der Wand.

Irving Penn überlässt nichts dem Zufall, er liebt die Inszenierung und bestimmt den Ablauf: Mit dem berühmten Model Jean Patchett reist er 1948 extra nach Lima.
Da sitzt die Dame mit Hut auf der Kante eines Stuhls am Bistrotisch, gedankenverloren und erschöpft kaut sie auf ihrer Perlenkette herum, die langen Beine streckt sie weit aus, die Pumps rutschen von den Füßen. Dass diese Aufnahme in Peru entstand, ist keineswegs auf dem Bild zu erkennen, das Café könnte überall sein. Aber: Das berühmte Bild ist bei Camera Work das teuerste; (für 120 000 Euro zu erwerben). Galerieleiterin Steffi Schulze kennt die Geschichte dieses Fotos aus den Erzählungen des Models Jean Patchett:

"Eine ganze Woche lang hat sie sich immer schön angezogen und war gedresst für das Shooting, und penn hat aber nie Anstalten genommen, seine Kamera in die Hand zu nehmen. Und dann sind sie durch Lima gelaufen und weil er auch viel Außenaufnahmen gemacht hat. Und einmal saßen sie in ’nem kleinen Cafe, sie setzt sich an den Tisch, ihr gegenüber sitzt ein junger Mann. Und dann war sie so frustriert und hat endlich ihre Schuhe ausgezogen, weil ihre Füße so wehtaten. Und da sagt er "stop", und so ist das Foto entstanden."

Aber nicht nur Mode und Stars, Aktfotografie gehören in das Programm von Irving Penn, dessen Bilder immer einen dynamischen Aufbau haben, und bisweilen wie eine Choreographie wirken.

Auf Reisen in ferne Länder holt er Menschen aus ihrer gewohnten Umgebung in sein Atelierzelt, sein, wie er es nennt: Ambulantes Studio; .drapiert sie vor einem aufgespannten, schmutzig weißen Tuch. Hier lenkt nichts mehr ab von der Landschaft der Gesichter und Körper oder von Kleidung und Schmuck.

Atemraubend: Die drei vollkommen schwarz verhüllten Rissani-Frauen in Marokko. Die dichten Gewänder werfen lange Falten, hell blitzt nur das Fladenbrot auf, gehalten von einer Hand unterm Tschador. Geradezu irrwitzig und als hätte der Fotograf die Frauen doch noch überlistet, fängt er eine winzige nackte Körperpartie ein: die rauhen Zehen eines Fußes.

Der Grafiker und Ästhet Irving Penn liebt es nicht nur Menschen zu porträtieren; er stilisiert "Objects trouvets" wie andere Künstler seiner Zeit zu Kunstwerken. Sogar der Rest einer schnöden Zigarette wird zu einem abstrakten Objekt, durch Nahaufnahmen und edle Druckverfahren:

Der Blütenkopf einer Rose ist in der Ausstellung prachtvoll roter Blickfang zwischen den überwiegenden Schwarz- Weiß-Arbeiten. Colour-wonder: "Farbwunder" heißt der treffende Untertitel:

Steffi Schulze: "Er hat immer sehr viel Wert gelegt auf die Auswahl der Motive und dann auf das Print-Verfahren; das sind Dye Transfer Prints, das sind qualitativ hochwertige Print-Verfahren, .... ähnelt einem Druckverfahren, wo jede Farbe einzeln dann auf das Papier gebracht wird. ist aber trotzdem ein fotografischer Prozess."

So nah er die Dinge und Menschen aufnahm, so sehr entzieht er sich selbst der Öffentlichkeit. Porträts von ihm selbst gibt es kaum. "Die Kamera macht mich nervös", soll er einmal gesagt haben. "Sie ist wie eine Rasierklinge".


Service:
Die Ausstellung "Irving Penn - Photographien" ist bis zum 23. Juni bei Camerawork in Berlin zu sehen.