Bilder zwischen Dokumentation und Fiktion
Die mehrfach ausgezeichnete Kölner Fotografin Bettina Flitner regt mit ihren engagierten Arbeiten im öffentlichen Raum zu Diskussionen an. Zuletzt hat sie Prominente wie Wim Wenders oder Herta Müller mit den Schätzen der Staatsbibliothek Berlin fotografiert. Die Porträts sind derzeit dort zu sehen gemeinsam mit den Originaldokumenten - darunter die Partitur zu Mozarts "Zauberflöte" oder die Erstausgabe des "Kapitals".
Ein kleiner schwarzer Kasten, vorne eine Linse, an der Seite ein Hebel. Eine der besten 6x6 Kameras. Die Fotografin Bettina Flitner steht im Treppenhaus der Alten Staatsbibliothek Unter den Linden in Berlin. Die 50-Jährige trägt Jeans und einen dunklen Kapuzenpulli. Ein schwerer silberner Ring leuchtet an ihrem Daumen, halblanges, helles Haar steht wuschelig von ihrem Kopf ab. Sie bereitet ein Fotoshooting mit Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller vor.
Bettina Flitner: "Hoffentlich bleibt die Sonne so. Schönes Licht. Wenn sie jetzt kommt, wäre es ideal."
Bettina Flitner ist gelernte Filmemacherin. Geboren in Köln, wo sie heute hauptsächlich lebt. Eine Zeit lang war sie in Amerika und Frankreich, häufig fährt sie noch nach Paris. Während ihrer Ausbildung zur Cutterin beim WDR entstand Mitte der 1980er-Jahre ein Kontakt zur Zeitschrift "EMMA" und deren Herausgeberin Alice Schwarzer. Mit ihr ist sie eng befreundet, für sie arbeitete Bettina Flitner erstmals als Fotografin. Während des Studiums an der Filmhochschule in Berlin begann sie, auch für andere Magazine, die "Zeit", den "Spiegel" und den "Stern" zu fotografieren.
Bettina Flitner: "Und dann bin ich da so reingeglitten in die Fotografie, weil ich gemerkt hab, dass ich eben alleine arbeiten kann, dass ich nur einen Fotoapparat mir nehmen muss und losgehen kann und Geschichten erzählen kann und Bilder machen kann, ohne dass ich einen Stab von Menschen brauche, wie es beim Film der Fall ist."
Als die Abrissarbeiten auf dem ehemaligen Grenzstreifen in Berlin begannen, dokumentierte Bettina Flitner die deutsche Wiedervereinigung aus ihrer Sicht. Sie sprach Passanten im Niemandsland zwischen Ost und West an und kombinierte die Aussagen mit Porträts.
Bettina Flitner: "Da hat mich dieser Virus erfasst, dass man irgendwie alles machen kann, wenn man eine Kamera in der Hand hat, alles fragen kann, dass man einen Vorwand hat, den Menschen die eigentlich intimsten Fragen nach ihrem Seelenleben zu stellen, weil man ja mit ihnen alleine ist und dann auch noch ein Foto macht. So ging das los."
Ein Angestellter rollt Bücher über den Flur. Zum 350. Geburtstag der Staatsbibliothek erhielt Bettina Flitner den Auftrag, dort 24 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit den Schätzen des Hauses zu porträtieren. Für jemanden, der Islamisten in Algerien, Sextouristen in Thailand und Neonazis in Brandenburg fotografiert hat, ein nahezu idyllischer Arbeitsplatz. Zum Beispiel: Wim Wenders mit einer Sanskritrolle auf dem Dach der Staatsbibliothek.
Bettina Flitner: "Sein Mantel weht hoch und über ihm der Himmel über Berlin. Und das kriegt dann so eine Lebendigkeit und Schönheit und manchmal auch, hat es auch eine Ironie oder eine Verspieltheit oder auch manchmal eine Romantik. Das hat mir großen Spaß gemacht, diesen Objekten und den Menschen, ja, so eine Lebendigkeit zu geben."
Neben Richard von Weizsäcker oder Günther Jauch bleibt noch Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller – die sich etwas Zeit lässt mit ihrem Auftritt.
"Herta, wie wär's mit Kommen?"
Bettina Flitner ist nie unfreundlich. Sie hat Charme und einen kritischen Blick, verbindet Ernsthaftigkeit und Humor, Betroffenheit und Ironie. Das sieht man auf ihren Fotos. Herta Müller, die schließlich doch gekommen ist, fotografiert sie im Treppenhaus wie in einer Gummizelle. Die einst von der rumänischen Geheimpolizei verfolgte Schriftstellerin präsentiert dabei das über 200 Jahre alte Manuskript von Kleists Lustspiel "Der zerbrochene Krug" – einem Paradestück über Vertuschung und Rechtsbruch der Justiz. Bettina Flitner will nie bloß schöne Bilder machen. Sie will etwas erzählen:
"Wenn ich die Wahl habe zwischen zwei Arbeiten, wo das eine sozusagen eine rein dekorative Sache ist, und das andere mit einem gesellschaftspolitischem Anspruch, dann würde ich immer die zweite Sache nehmen. Man kann doch zumindestens etwas zeigen und Menschen dazu bringen, über Dinge nachzudenken, über die sie vielleicht vorher nicht nachgedacht haben."
Auch ihr nächstes Projekt ist wieder politisch. Zum Entspannen bleibt der allein Lebenden kaum Zeit. Man sieht es ihr an, sie lächelt tapfer, lenkt von den dunklen Ringen unter den Augen ab. Mit einem Reporter wird sie für ein katholisches Hilfswerk zum wiederholten Mal nach Afrika reisen. Fotos machen, mit denen dann Spendengelder eingeholt werden.
"Da lerne ich natürlich irrsinnig viel spannende, teilweise sehr traurige andere Realitäten kennen. Wir haben eine Geschichte über einen Kindersoldaten gemacht. Wir haben eine Geschichte über eine Nonne gemacht, die gegen Beschneidung kämpfte in Kenia. Jetzt die nächste Geschichte geht um die Massenvergewaltigungen in Ostkongo. Da fahren wir dann hin, sind immer 14 Tage da und haben das Gefühl nach dem ersten Tag, dass wir schon drei Monate da sind, weil es so konzentriert und so voll und so intensiv ist, und man so viel Neues sieht, dass einem wirklich der Kopf hin und her fliegt."
Links zum Thema:
"Die Staatsbibliothek und ich" - Sonderausstellung zum 350. Jubiläum des Hauses
Homepage Bettina Flitner
Bettina Flitner: "Hoffentlich bleibt die Sonne so. Schönes Licht. Wenn sie jetzt kommt, wäre es ideal."
Bettina Flitner ist gelernte Filmemacherin. Geboren in Köln, wo sie heute hauptsächlich lebt. Eine Zeit lang war sie in Amerika und Frankreich, häufig fährt sie noch nach Paris. Während ihrer Ausbildung zur Cutterin beim WDR entstand Mitte der 1980er-Jahre ein Kontakt zur Zeitschrift "EMMA" und deren Herausgeberin Alice Schwarzer. Mit ihr ist sie eng befreundet, für sie arbeitete Bettina Flitner erstmals als Fotografin. Während des Studiums an der Filmhochschule in Berlin begann sie, auch für andere Magazine, die "Zeit", den "Spiegel" und den "Stern" zu fotografieren.
Bettina Flitner: "Und dann bin ich da so reingeglitten in die Fotografie, weil ich gemerkt hab, dass ich eben alleine arbeiten kann, dass ich nur einen Fotoapparat mir nehmen muss und losgehen kann und Geschichten erzählen kann und Bilder machen kann, ohne dass ich einen Stab von Menschen brauche, wie es beim Film der Fall ist."
Als die Abrissarbeiten auf dem ehemaligen Grenzstreifen in Berlin begannen, dokumentierte Bettina Flitner die deutsche Wiedervereinigung aus ihrer Sicht. Sie sprach Passanten im Niemandsland zwischen Ost und West an und kombinierte die Aussagen mit Porträts.
Bettina Flitner: "Da hat mich dieser Virus erfasst, dass man irgendwie alles machen kann, wenn man eine Kamera in der Hand hat, alles fragen kann, dass man einen Vorwand hat, den Menschen die eigentlich intimsten Fragen nach ihrem Seelenleben zu stellen, weil man ja mit ihnen alleine ist und dann auch noch ein Foto macht. So ging das los."
Ein Angestellter rollt Bücher über den Flur. Zum 350. Geburtstag der Staatsbibliothek erhielt Bettina Flitner den Auftrag, dort 24 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit den Schätzen des Hauses zu porträtieren. Für jemanden, der Islamisten in Algerien, Sextouristen in Thailand und Neonazis in Brandenburg fotografiert hat, ein nahezu idyllischer Arbeitsplatz. Zum Beispiel: Wim Wenders mit einer Sanskritrolle auf dem Dach der Staatsbibliothek.
Bettina Flitner: "Sein Mantel weht hoch und über ihm der Himmel über Berlin. Und das kriegt dann so eine Lebendigkeit und Schönheit und manchmal auch, hat es auch eine Ironie oder eine Verspieltheit oder auch manchmal eine Romantik. Das hat mir großen Spaß gemacht, diesen Objekten und den Menschen, ja, so eine Lebendigkeit zu geben."
Neben Richard von Weizsäcker oder Günther Jauch bleibt noch Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller – die sich etwas Zeit lässt mit ihrem Auftritt.
"Herta, wie wär's mit Kommen?"
Bettina Flitner ist nie unfreundlich. Sie hat Charme und einen kritischen Blick, verbindet Ernsthaftigkeit und Humor, Betroffenheit und Ironie. Das sieht man auf ihren Fotos. Herta Müller, die schließlich doch gekommen ist, fotografiert sie im Treppenhaus wie in einer Gummizelle. Die einst von der rumänischen Geheimpolizei verfolgte Schriftstellerin präsentiert dabei das über 200 Jahre alte Manuskript von Kleists Lustspiel "Der zerbrochene Krug" – einem Paradestück über Vertuschung und Rechtsbruch der Justiz. Bettina Flitner will nie bloß schöne Bilder machen. Sie will etwas erzählen:
"Wenn ich die Wahl habe zwischen zwei Arbeiten, wo das eine sozusagen eine rein dekorative Sache ist, und das andere mit einem gesellschaftspolitischem Anspruch, dann würde ich immer die zweite Sache nehmen. Man kann doch zumindestens etwas zeigen und Menschen dazu bringen, über Dinge nachzudenken, über die sie vielleicht vorher nicht nachgedacht haben."
Auch ihr nächstes Projekt ist wieder politisch. Zum Entspannen bleibt der allein Lebenden kaum Zeit. Man sieht es ihr an, sie lächelt tapfer, lenkt von den dunklen Ringen unter den Augen ab. Mit einem Reporter wird sie für ein katholisches Hilfswerk zum wiederholten Mal nach Afrika reisen. Fotos machen, mit denen dann Spendengelder eingeholt werden.
"Da lerne ich natürlich irrsinnig viel spannende, teilweise sehr traurige andere Realitäten kennen. Wir haben eine Geschichte über einen Kindersoldaten gemacht. Wir haben eine Geschichte über eine Nonne gemacht, die gegen Beschneidung kämpfte in Kenia. Jetzt die nächste Geschichte geht um die Massenvergewaltigungen in Ostkongo. Da fahren wir dann hin, sind immer 14 Tage da und haben das Gefühl nach dem ersten Tag, dass wir schon drei Monate da sind, weil es so konzentriert und so voll und so intensiv ist, und man so viel Neues sieht, dass einem wirklich der Kopf hin und her fliegt."
Links zum Thema:
"Die Staatsbibliothek und ich" - Sonderausstellung zum 350. Jubiläum des Hauses
Homepage Bettina Flitner