"Bilderbibel" am alten Platz

Von Claudia van Laak |
Die berühmten Beutekunst-Fenster der St. Marienkirche in Frankfurt/Oder sind wieder an ihrem ursprünglichen Platz. Mit einem Festakt wurden jetzt Restaurierung und Wiedereinbau der mittelalterlichen Glasmalereien abgeschlossen. Die Feier fand genau fünf Jahre nach Rückführung der drei Fenster aus Russland statt, wo sie seit 1946 eingelagert waren.
Für die spätgotischen Fenster ist es nur ein kleines Intermezzo - 660 Jahre sind sie alt - 60 Jahre haben sie davon in einem Archiv in der St. Petersburger Eremitage gelegen, jetzt zieren sie wieder die St. Marienkirche in Frankfurt/Oder, erleuchten in ihrer Farbigkeit die Hallenkirche aus rotem Backstein. Die drei etwa 12 Meter hohen Fenster zeigen die Schöpfungsgeschichte, das Leben Jesu Christi und die Geschichte vom Antichrist. Eine Bilderbibel für die Christen des Mittelalters, die des Lesens und Schreibens unkundig waren. Bischof Wolfgang Huber sagte beim Festakt am Vormittag:

"Die drei zentralen Chorfenster wurden dazu bestimmt, dem Betrachter ein Bild von der Schöpfung der Welt, vom Geschick Jesu Christi und vom Gericht am Ende der Zeit zu geben. Von seinem inneren Anspruch nach beantwortet das Bildprogramm die Frage, woher wir kommen, wohin wir gehen und wie wir dazwischen leben wollen."

Ein kurzer Rückblick: Während des Zweiten Weltkriegs beschließt die Kirchengemeinde, die Fenster auszubauen und zum Schutz nach Potsdam zu bringen. Sowjetische Kunstschutzoffiziere entdecken sie, erkennen ihren Wert und befehlen einen Abtransport nach St. Petersburg - als Beutekunst. Jahrzehntelange Nachforschungen bleiben ohne Erfolg, bis es Anfang der 90er Jahre erste Hinweise auf den Verbleib der Fenster gibt. Die Verhandlungen über die Rückgabe beginnen, 2002 ist es dann soweit.

Da die Marienfenster Eigentum der Kirche sind, bleiben sie vom Beschluss der Duma unberührt, die 1999 alle Beutekunst per Gesetz zu russischem Eigentum erklärt hat. Trotzdem lässt sich nicht genau erklären, warum Russland gerade in diesem Fall ja gesagt hat und in anderen Fällen nein. Frankfurts Oberbürgermeister Martin Patzelt.

"Ich denke, wir dürfen angesichts unserer Geschichte und der Geschichte, die die Fenster miterlebt haben nichts erzwingen, sondern mit Geduld und Zuversicht dafür werben, dass sie als Kulturschätze bei der Rückführung keinem wirklich verloren gehen, sondern im Gegenteil für alle, die sie sehen wollen, ihre Strahlkraft vermehren."

War die Rückgabe durch Russland ein Wunder, eine glückliche Fügung? War es die nicht fordernde, sondern demütige Haltung der Frankfurter, die den Ausschlag gegeben hat? Einen Anteil an der positiven Entscheidung dürfte Emmanuel Jungclaussen gehabt haben. Der in Frankfurt/Oder geborene Benediktinermönch überreichte Wladimir Putin vor einigen Jahren eine wertvolle Wallfahrts-Ikone aus dem 17. Jahrhundert, die die Nazis als Beutekunst beschlagnahmt hatten.

"Ich hab die Ikone überreicht, die nach Russland heimkehrt und bat um die Rückkehr der Marienfenster. Putin war sichtlich bewegt, so dass er leise nickte, und zwei Jahre später waren die Bilder hier."

Fünf Jahre dauerte die Restaurierung, obwohl der Zustand der 111 Glasscheiben nicht der schlechteste war. Die jahrzehntelange Aufbewahrung in Kisten hat die Bleiglasfenster vor schädlichen Auto- und Industrieabgasen bewahrt, sagt die Kunsthistorikerin Marina Flügge vom Brandenburger Landesamt für Denkmalpflege.

"Ich glaube, dass diese 60-jährige Lagerung den Scheiben gut getan hat, denn auf diese Art und Weise sind sie nicht den Umweltschäden ausgesetzt gewesen, wie viele andere Bestände. Zum Beispiel ist auf diese Art und Weise Bemalung erhalten auf der Vor- und Rückseite, die bei Scheiben dieses Alters aus anderen Beständen grundsätzlich abgewittert ist."

Die Frankfurter haben nun nicht nur ihre Marienfenster zurückbekommen, auch die Sanierung der kriegsbeschädigten Kirche selber - bereits in der DDR begonnen - konnte in den letzten Jahren vollendet werden. Kirche und Fenster sind wichtig für unsere Identität, sagt Oberbürgermeister Martin Patzelt.

"Die wundersame Geschichte der Fenster von St. Marien ist auch eine Geschichte von Misstrauen, von Zerstörung, von Völkermord, von Krieg. Und sie ist eine Geschichte von Wiederaufbau, von neu gewonnenem Vertrauen, von Brücken, die zwischen früheren Gegnern geschlagen wurden. Wir Frankfurter werden sie für uns und alle unsere Gäste und nicht zuletzt für unsere Nachkommen pflegen und hüten."

Die Marienfenster aus Frankfurt/Oder sind das einzige große, kulturhistorisch bedeutsame Stück Beutekunst, das erfolgreich aus Russland nach Deutschland zurückgeführt werden konnte - die Rückgabe an die Öffentlichkeit also ein durchaus bedeutsames Ereignis, das allerdings weder von der deutschen, noch von der russischen Politik entsprechend gewürdigt wurde.

Bundeskulturminister Neumann schickte nur einen Vertreter, die russische Seite glänzte durch Abwesenheit. Dafür gibt es nur eine plausible Erklärung - weder Deutschland noch Russland wollen eine erneute, öffentliche Debatte über das Thema Beutekunst. Die Verhandlungen sind ins Stocken geraten, die deutsche Politik kann keine Erfolge vorweisen, die russische Seite mauert.

Die Marienfenster sollen als unbedeutsamer Einzelfall möglichst bald in Vergessenheit geraten. Schlechte Voraussetzungen für die Rückgabe der letzten sechs Glasscheiben, die noch im Moskauer Puschkin-Museum lagern. Die dortigen Veranwortlichen haben versprochen, sie bald nach Frankfurt/Oder zu schicken. Ein entsprechender Duma-Beschluss steht allerdings noch aus.