Hier ließ Putin in den Tagen und Wochen vor dem Krieg westliche Regierungschefs antanzen: Die Inszenierung mit neoklassischem Tisch und den Goldbrokat-Vorhängen hat Charlotte Klonk aufhorchen lassen. Denn das sei ein "Neo-Empire-Stil, also genau der Stil, der zu der Zeit, als Napoleon sich zum Kaiser krönen ließ, der Stil der Zeit war", sagt sie. „Diese unterschwellige Message hätten wir stärker verstehen müssen."
Ukraine-Konflikt
Tatkräftiger Politiker und Mann des Volkes zugleich: Der ukrainische Präsident Selenskyj inszeniert sich in den sozialen Medien äußerst geschickt. © Getty Images / SOPA Images / LightRocket / Igor Golovniov
Bilderkrieg und Bilderkrise
34:14 Minuten
„Entrückter Herrscher“ gegen volksnahen TV-Star: Den Krieg der Bilder zwischen Russland und der Ukraine hat Selenskyj gewonnen, findet Charlotte Klonk. Gleichzeitig hat die Bilderflut eine neue Krise der Bilder ausgelöst, meint Wolfgang Ullrich.
Nick Uts berühmtes „Napalm Girl“ aus Vietnam oder Robert Capas sterbender Soldat im Spanischen Bürgerkrieg: Seit es Fotos gibt, haben Kriege ikonische Bilder produziert.
Auch vom Krieg, der gegenwärtig in der Ukraine tobt, kursieren bereits viele eindrückliche Bilder: von Dorfbewohnern etwa, die mit bloßen Händen versuchen, russische Panzer aufzuhalten, oder von Babys, die in Kiewer U-Bahnstationen geboren werden.
Statt Anti-Kriegsbildern Aufruf zum Mitmachen
Hat eins dieser Bilder das Zeug, zum „Gesicht“ des Ukraine-Krieges zu werden? Die Bildwissenschaftlerin Charlotte Klonk ist skeptisch: Zum einen, weil es in der heute herrschenden Bilderflut schwieriger ist, das eine Foto zu finden, das sinnbildlich für den gesamten Krieg steht. Zum anderen, weil die ikonischen Bilder früherer Kriege alle in einer bestimmten Konstellation standen:
Sie seien „an die Bevölkerung der Militärmacht, die interveniert ist, die den Krieg führt, gerichtet“ und hätten dort Protest ausgelöst. Solche Bilder gebe es wegen der Zensur in Russland derzeit aber nicht.
Die Bilder, die wir aus der Ukraine zu sehen bekommen, haben eine andere Botschaft: Sie sollen mobilisieren – nach innen wie nach außen. So seien etwa die Bilder auf den Twitter-Accounts der ukrainischen Regierung „ein Appell an die internationale Bevölkerung zur Unterstützung“, unterstreicht Klonk. Dieser „Mitmach-Krieg“ sei „eine neue Dimension“.
Bemerkenswert findet die Bildwissenschaftlerin auch den Kontrast in der bildlichen Inszenierung der beiden Präsidenten Putin und Selenskyj: Auf der einen Seite der „entrückte Herrscher“ Putin, der mit Botox-induziert unbewegter Miene spricht.
Auf der anderen Seite der ukrainische Präsident in seinem olivgrünen T-Shirt: „Also eigentlich Militärkleidung, aber doch ein T-Shirt, was ja auch die Alltagskleidung auf der Straße ist – und genauso bespielt er gerade dieses Feld, als eigentlich souveräner Regierender, der die Dinge im Griff hat“, sagt Klonk.
„Wir können stündlich auf seinem Twitter-Account mitbekommen, mit wem er alles redet, was er alles macht. Und gleichzeitig geht er auf die Straße, trinkt mit den Soldaten Tee, zeigt sich, als von Russland Gerüchte in Umlauf gebracht werden, dass er längst geflohen sei, dass er doch da ist – und nimmt ein Selfie vor dem Regierungspalast auf.“
Für den Philosophen und Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich drückt sich in dieser unterschiedlichen Bildinszenierung auch der unterschiedliche Hintergrund der beiden Präsidenten aus:
„Selenskyj war ja ursprünglich Fernsehstar. Die Grundlage seiner Macht war erstmal Telegenität, war Sichtbarkeit“, unterstreicht er. „Bei Putin ist das genau das Gegenteil. Der kommt ursprünglich aus den Geheimdiensten und hat eigentlich ein ganz anderes Konzept von Macht erstmal gelernt, nämlich Macht, die sich auf Unsichtbarkeit gründet.“
Der Krieg findet in den sozialen Medien statt
Auch Ullrich erwartet vom Ukraine-Krieg nicht das eine, ikonische Bild. Aber er ordnet diesem Krieg wie auch anderen Kriegen der letzten 30 Jahre eine jeweils spezifische Bildästhetik zu. Angefangen beim zweiten Golfkrieg: „1991 waren das eben diese grobkörnigen Nachtaufnahmen, wo man die Angriffe auf Bagdad gesehen hat, wo keine Menschen zu sehen waren“, sagt er. „Ein sehr hoher Abstraktionsgrad, wo es so schien, als sei Krieg etwas ganz Technisches.“
Anfang der Nullerjahre habe es dann die Phase des Embedded Journalism gegeben und in der Folge viele Nahaufnahmen und viele Bilder, die Menschen gezeigt hätten. „Jetzt haben wir diese Vielfalt an Quellen, die überhaupt nicht mehr schnell zuzuordnen sind. Und wir haben vielleicht auch eine andere Rezeption: Bei vielen Menschen ist das nicht mehr der Fernsehkrieg, sondern tatsächlich der Krieg, der in den sozialen Medien stattfindet.“
Bilder ohne Orientierungskraft
Durch soziale Medien als Bildquelle hätten Bilder allerdings auch ihre Orientierungskraft verloren, meint Ullrich. Denn um sich mit solchen Aufnahmen ein Bild der Lage machen zu können, müsse man erst einmal einschätzen, wer den jeweiligen Account betreibe und welche Interessen dahinter stünden.
Der alte Satz „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ gilt für ihn insofern nicht mehr. „Sondern man braucht die 1000 Worte unbedingt noch dazu, um vielleicht überhaupt ermessen zu können, was das Bild für eine Aussagekraft hat“, so der Philosoph. „Zugespitzt gesagt kommen wir in gewisser Weise jetzt in eine neue Krise der Bilder, weil wir ihnen allen eigentlich erstmal nicht mehr glauben können. Sondern die Grundhaltung muss erstmal sein, misstrauisch zu sein.“
(uko)