Bilderreiche Traumreise
Das Werk ist legendär, aber seit der Uraufführung 1987 hatte kaum jemand Gelegenheit, "Europeras", das wohl radikalste Bühnenwerk von John Cage, zu erleben. Bei der Ruhrtriennale nutzt Heiner Goebbels die Bochumer Jahrhunderthalle für eine Neuinszenierung.
John Cages Bühnenwerk "Europeras" ist Abgesang und Gegenentwurf zum klassischen Musiktheater. Was die zehn Sänger singen, was die ungefähr 25 Musiker spielen, stammt Note für Note aus dem Opernrepertoire des 17. bis 20. Jahrhunderts: Mozart, Verdi, Massenet, Tschaikowsky, Wagner. Der kompositorische Beitrag von Cage ist die Spielregel für die große Collage, die daraus entsteht. Nach dem chinesischen Orakelbuch IQing hat Cage die Seiten und Takte aus den Partituren ermittelt, die von den jeweiligen Instrumentalisten gespielt werden. Die Sänger tragen gleichzeitig Passagen aus Opernarien ihres Repertoires vor, in Kostümen und Bühnenbildern, die aus dem Fundus des Theaters stammen, aber nichts mit den jeweiligen Stücken zu tun haben. Das Ziel, das Cage verfolgte, war, die Komponenten des Musiktheaters voneinander unabhängig zu machen und in zufallsgenerierten Konstellationen wieder zusammenzuführen. Die Anti-Oper sozusagen, mit dem ironischen Titel "Europeras", in dem sowohl die europäische Herkunft der Gattung wie der Anklang zu "your operas", also etwa "eure altvertrauten Lieblingsstücke", enthalten ist.
Wer sich ausmalt, das Resultat müsse Kakophonie und Chaos sein und die Absicht dahinter eine Entstellung und Verspottung der Oper, der wird überrascht sein. Die Fragmente klingen in den neuen Verbindungen oft wunderschön; aparte Klangmischungen lassen aufhorchen, in denen die gleichzeitigen akustischen Ereignisse neu verschmelzen. So war es auch in der Bochumer Jahrhunderthalle, wo exquisite Instrumentalisten am Werk waren und ein hervorragendes Sängerensemble, das diese Miniaturen so stimmschön und stilsicher präsentierte, wie man es nur wünschen kann. Mit einer musikalischen Ernsthaftigkeit, die keine Sekunde daran zweifeln ließ, dass John Cages "Anti-Oper" eigentlich nichts anderes ist als eine passionierte Huldigung. An eine Kunstform, die aus der Sicht des Komponisten so nicht fortgesetzt werden kann, deren Hinterlassenschaft aber ein kostbarer Schatz ist. Eine Sammlung rätselhafter, in allen Farben leuchtender Fragmente, in denen Gedanken, Gefühle und ganz große Kunst aufgehoben sind.
In der Inszenierung von Heiner Goebbels ist das eine überwältigend bilderreiche Traumreise durch die Geschichte des Theaters. Vom venezianischen Dogenpalast über die Südseeinsel bis zur japanischen Holzbrücke, über die gleich Madame Butterfly spazieren könnte, vom deutschen Wald, indem der "Freischütz" singt, über den mondbeglänzten Friedhof bis zum Ausblick in den barocken Schlossgarten ist jeder denkbare Schauplatz eines idealen Theaters dabei. Die Walküre mit Helm und Speer tritt neben den römischen Legionär, die Dame im Reifrock und neben den Dandy mit Stöckchen und Zylinder. Zeiten, Szenen und Klänge verschwimmen ineinander und auch die Theatermittel all der vergangenen Epochen kommen zum Einsatz. Da segelt ein bauchiges Schiff auf blauen Tüchern, die hohe Wellen schlagen; Prospekte werden herabgelassen und staffeln sich zu perspektivischen Landschaftsbildern. Durchsichtige Schleier zaubern Illusionen auf die Bühne, Blüten und Blättern fallen; ein magisches, farbiges Licht bringt immer neue Impressionen hervor. Bühnenbilder Klaus Grünberg und Kostümbildnerin Florence von Gerkan öffnen alle Schleusen der Phantasie.
Heiner Goebbels, der seine Intendanz der Ruhrtriennale mit diesem Abend als Regisseur erfolgreich eröffnet hat, nutzt den Zauberkasten verschwenderisch und zugleich ökonomisch. Die Situationen und Bilder, die er schafft, zeugen von unerschöpflicher Spiellust und Phantasie, auch von Humor und Spielwitz. Aber die Abfolge ist so organisch und musikalisch, dass ein lebendiges und kontrastreiches, immer überraschendes und nie übersättigendes und erstickendes Erlebnis entsteht. Zumal der Blick des Musikers und Künstlers Heiner Goebbels auf die "Europeras" ein eindeutig bewundernder, faszinierter, liebevoll-ironischer, aber auch ein melancholischer ist. Vor allem im beinah statischen, ganz in schwarz-weiß gehaltenen zweiten Teil wird das deutlich.
Das ist beinah ein Requiem auf die Oper. Da werden fragile Fundstücke, kostbare Erbstücke noch einmal dem nostalgischen Blick dargeboten. Mit dem Wissen, dass es vorbei ist. Die Oper liegt in Scherben, aber jede einzelne leuchtet wie ein Diamant. Und in der flüchtigen Kunst des Theaters vergehen die Bilder so schnell wie sie entstanden sind. Und die schönsten Momente sind oft die des Übergangs. So macht das Theater in dieser Eröffnungspremiere der Ruhrtriennale auch sich selbst zum Thema. Und der neue Intendant feiert an diesem Abend seine Mittel und Möglichkeiten, vor alIem aber seine Menschen. Denn die Hauptrolle spielen die Bühnentechniker, die vor den Augen des Publikums auf der 90 Meter tiefen Bühne der Jahrhunderthalle diese Wundermaschinerie mit choreographischer Präzision auf offener Bühne ständig auf-, um und abbauen. Wer dabei wird, diese Bilder nicht mehr vergessen.
Wer sich ausmalt, das Resultat müsse Kakophonie und Chaos sein und die Absicht dahinter eine Entstellung und Verspottung der Oper, der wird überrascht sein. Die Fragmente klingen in den neuen Verbindungen oft wunderschön; aparte Klangmischungen lassen aufhorchen, in denen die gleichzeitigen akustischen Ereignisse neu verschmelzen. So war es auch in der Bochumer Jahrhunderthalle, wo exquisite Instrumentalisten am Werk waren und ein hervorragendes Sängerensemble, das diese Miniaturen so stimmschön und stilsicher präsentierte, wie man es nur wünschen kann. Mit einer musikalischen Ernsthaftigkeit, die keine Sekunde daran zweifeln ließ, dass John Cages "Anti-Oper" eigentlich nichts anderes ist als eine passionierte Huldigung. An eine Kunstform, die aus der Sicht des Komponisten so nicht fortgesetzt werden kann, deren Hinterlassenschaft aber ein kostbarer Schatz ist. Eine Sammlung rätselhafter, in allen Farben leuchtender Fragmente, in denen Gedanken, Gefühle und ganz große Kunst aufgehoben sind.
In der Inszenierung von Heiner Goebbels ist das eine überwältigend bilderreiche Traumreise durch die Geschichte des Theaters. Vom venezianischen Dogenpalast über die Südseeinsel bis zur japanischen Holzbrücke, über die gleich Madame Butterfly spazieren könnte, vom deutschen Wald, indem der "Freischütz" singt, über den mondbeglänzten Friedhof bis zum Ausblick in den barocken Schlossgarten ist jeder denkbare Schauplatz eines idealen Theaters dabei. Die Walküre mit Helm und Speer tritt neben den römischen Legionär, die Dame im Reifrock und neben den Dandy mit Stöckchen und Zylinder. Zeiten, Szenen und Klänge verschwimmen ineinander und auch die Theatermittel all der vergangenen Epochen kommen zum Einsatz. Da segelt ein bauchiges Schiff auf blauen Tüchern, die hohe Wellen schlagen; Prospekte werden herabgelassen und staffeln sich zu perspektivischen Landschaftsbildern. Durchsichtige Schleier zaubern Illusionen auf die Bühne, Blüten und Blättern fallen; ein magisches, farbiges Licht bringt immer neue Impressionen hervor. Bühnenbilder Klaus Grünberg und Kostümbildnerin Florence von Gerkan öffnen alle Schleusen der Phantasie.
Heiner Goebbels, der seine Intendanz der Ruhrtriennale mit diesem Abend als Regisseur erfolgreich eröffnet hat, nutzt den Zauberkasten verschwenderisch und zugleich ökonomisch. Die Situationen und Bilder, die er schafft, zeugen von unerschöpflicher Spiellust und Phantasie, auch von Humor und Spielwitz. Aber die Abfolge ist so organisch und musikalisch, dass ein lebendiges und kontrastreiches, immer überraschendes und nie übersättigendes und erstickendes Erlebnis entsteht. Zumal der Blick des Musikers und Künstlers Heiner Goebbels auf die "Europeras" ein eindeutig bewundernder, faszinierter, liebevoll-ironischer, aber auch ein melancholischer ist. Vor allem im beinah statischen, ganz in schwarz-weiß gehaltenen zweiten Teil wird das deutlich.
Das ist beinah ein Requiem auf die Oper. Da werden fragile Fundstücke, kostbare Erbstücke noch einmal dem nostalgischen Blick dargeboten. Mit dem Wissen, dass es vorbei ist. Die Oper liegt in Scherben, aber jede einzelne leuchtet wie ein Diamant. Und in der flüchtigen Kunst des Theaters vergehen die Bilder so schnell wie sie entstanden sind. Und die schönsten Momente sind oft die des Übergangs. So macht das Theater in dieser Eröffnungspremiere der Ruhrtriennale auch sich selbst zum Thema. Und der neue Intendant feiert an diesem Abend seine Mittel und Möglichkeiten, vor alIem aber seine Menschen. Denn die Hauptrolle spielen die Bühnentechniker, die vor den Augen des Publikums auf der 90 Meter tiefen Bühne der Jahrhunderthalle diese Wundermaschinerie mit choreographischer Präzision auf offener Bühne ständig auf-, um und abbauen. Wer dabei wird, diese Bilder nicht mehr vergessen.