Bilderwelten

Kurios bunte Feier der Sinnlichkeit

Von Barbara Wiegand |
Leider wurde sie viel zu oft nur als Anhängsel des Fluxus-Künstlers Dieter Roth gesehen. Doch jetzt lässt sich die Künstlerin Dorothy Iannone und ihr bunter Kosmos wieder entdecken. Die Berlinische Galerie widmet ihr eine große Retrospektive.
Egal, ob sie sich beim Masturbieren filmt und dazu Berlin besingt beziehungsweise bestöhnt, ob sie der Venus huldigt oder Mann und Frau im Akt vereint zu Ikonen der Liebe stilisiert, reich verziert mit Ornamenten aus Blümchen und Busen, verschlungenen Pflanzen und Phalli: Dorothy Iannone geht es nur um das eine – Liebe bzw. Sex und Sinnlichkeit.
"Selbst in den 60er-Jahren waren Bilder, auf denen Genitalien gemalt waren, nicht unbedingt das, was man sich gern über das Sofa hängte und was eine Galerie gerne zeigt und insofern war sie auch provokativ. Nicht, weil sie es sein wollte, sondern weil ihre Art der freiheitlichen und offenen Begegnung mit der Sexualität - für sie ist das ja nicht eine Darstellung von Intimitäten, sondern um ein Tabu zu brechen, eine Feier der Diesseitigkeit, die Feier der Sinnlichkeit."
Sagt Amelie Lütgens, die Kuratorin der Schau. Sicher, heute mag einem diese Iannonesche Sinnesfeier bisweilen etwas naiv vorkommen, bizarr, kitschig kurios. Die bunten Sonnen, die über innig vereinten Liebespaaren aufgehen. Das aufgeklebte Stück Flokati, dessen Flusen über rot knospend gemalte Brustwarzen fallen. Das Blütenblatt, das sich rings um die Vagina entfaltet, die stilisierten Genitalien, die wie Plaketten an Männern und Frauen prangen.
Weder Fluxus noch Pop
Und doch hat er sehr Originelles, dieser Kosmos sexueller Fantasien, findet Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie:
"Also, ich denke, da kommen viele Aspekte zusammen, die Dorothy Iannones Kunst so faszinierend machen. Dazu gehört bestimmt auch, dass sie in keine Kategorie kunsthistorischer Art zu passen vermag. Sie ist weder Fluxus noch Pop. Es ist eine ganz eigenständige Richtung, die sie eingeschlagen hat und die sie auch unbeirrt seit über 50 Jahren verfolgt. Man kann sicher Einflüsse erkennen, die Auseinandersetzung mit der Mythologie, mit dem Buddhismus, mit folkloristischen Mustern. Das steckt da auch alles drin. Aber was sie daraus macht, ist eigenständig, originär und besonders."
Diesem eigenständigen Oeuvre folgt man in einer chronologischen Hängung, was, auch wenn es fast immer nur um das Eine geht, doch abwechslungsreich ist. Es gibt bemalte Leinwände und Tische, "Singing Boxes", aus denen die Stimme der Künstlerin tönt, Bücher, Plattencover, Figuren, filigrane, an japanische Aquarelle erinnernde frühe Papier-Collagen.
Ein sehr persönliches Werk, in dem sich die Liebe zur Liebe und zum Leben überhaupt widerspiegelt: 1933 in Boston in eine italienisch stämmige Familie hineingeboren, ist Kunst für Iannone zunächst nur autodidaktischer Zeitvertreib, neben den Reisen rund um die Welt, die sie mit ihrem Mann, einem reichen Ostküstenamerikaner, unternimmt.
Die Muse Dieter Roth
In Island trifft sie dabei auf den Schweizer Aktionskünstler Dieter Roth, für den sie Ehemann Nummer eins verlässt. Sie schließt sich ihm und der "Fluxus"-Bewegung an und stellt 1970 mit Roth gemeinsam in der Berner Kunsthalle aus.
"Und auch interessanterweise bei der dann zensierten Ausstellung in der Kunsthalle Bern war sie auch gar nicht eingeladen, sondern Dieter Roth. Und jeder Künstler durfte einen Gast, eine Gästin mitbringen. Und Dieter Roth hat Inannone eingeladen. Und als es dann darum ging, die Geschlechtsteile in den Bildern von Iannone zu überkleben, haben beide beschlossen, ihre Arbeiten zurückzuziehen. Aber sie war eigentlich das Anhängsel.
Wenn man heute sich überlegt, sie wird in einem Atemzug mit Dieter Roth genannt. Was im Prinzip nicht in Ordnung ist. Und in einer ihrer Arbeiten spricht sie auch vom Verlust ihrer Muse – das sind nicht die Worte, die sie Dieter Roth in den Mund legt, sondern ihre eigenen. Dieter Roth war für sie die Muse. Ein sehr eigenständiges Statement als Frau."
Doch trotz dieser Eigenständigkeit und auch wenn sich Iannone in späteren Arbeiten selbstbewusst vom Fluxus distanzierte, stand sie doch stets im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Erst in jüngerer Zeit entdeckt man das Werk der Autodidaktin - dem Revival der 60er und 70er sei es gedankt. In Berlin, wo sie seit 1976 lebt, war sie 2006 bei der vierten Biennale zu sehen. Vor fünf Jahren hatte sie die erste Einzelausstellung in New York.
Reichhaltige Retrospektive
Und jetzt also die Berlinische Galerie. Bestückt mit einem Frühwerk aus der eigenen Sammlung, einer Berlin gewidmeten Bildserie aus dem hiesigen Kupferstichkabinett und vielen aus Iannones Charlottenburger Atelier geliehenen Arbeiten, ist es eine reichhaltige Retrospektive geworden.
Sicher, das wiederkehrende Sujet Sex und Sinnesfreude erschöpft sich vor allem im Spätwerk ein wenig – die Bilder wirken blasser, weniger intensiv. Und dennoch nimmt einen die Ausstellung mit auf eine Reise durch einen fantasievollen, herrlich kuriosen Kosmos.

Info: Die Ausstellung "Dorothy Iannone. This Sweetness Outside of Time. Gemälde, Objekte, Bücher 1959–2014" ist bis zum 2.6.2014 in der Berlinischen Galerie zu sehen.