Ein Werk im Schatten der Tragödie
Camille Claudel arbeitete nicht nur als einzige Frau im Atelier des berühmten Bildhauers Auguste Rodin, sondern war auch seine langjährige Geliebte. Die französische Bildhauerin geriet in Vergessenheit, bis Kunsthistorikerinnen die Bedeutung ihres Werks erkannten.
Nur wenige Freunde hielten ihr bis zum Schluss die Treue: Camille Claudel verbrachte die letzten 30 Jahre ihres Lebens in einer psychiatrischen Anstalt. Ton zum Modellieren, den man ihr hinstellte, rührte sie nicht an. Ihr künstlerisches Werk steht bis heute im Schatten der Tragödie ihres Lebens, ihrer schwierigen Beziehung zu Auguste Rodin. Die talentierte Frau, die es gewagt hatte, eigenen Ruhm zu beanspruchen, scheiterte an ihrem Stolz, an ihrer Unfähigkeit, Zugeständnisse zu machen. Eine emanzipierte, aber mittellose Künstlerin, die ihrer Zeit weit voraus war. Dabei schien ihre Zukunft einst so verheißungsvoll. Ihr Bruder, der Dichter Paul Claudel:
"Die Natur hatte sich ihr gegenüber verschwenderisch gezeigt; meine Schwester war von außergewöhnlicher Schönheit, dazu von einer Energie, einer Fantasie, einem Willen, die vollkommen ungewöhnlich waren."
Camille Claudel wurde am 8. Dezember 1864 in der Champagne geboren. Bereits im Alter von 17 Jahren besuchte sie in Paris die Académie Colarossi und teilte sich mit anderen Frauen ein Atelier. Zur Korrektur erschien wöchentlich der damals namhafte Bildhauer Alfred Boucher. Als dieser den Prix de Rome gewann, bat er Auguste Rodin, nach seinen Schülerinnen zu schauen. Rodin erkannte sofort Camilles Talent und nahm sie in sein Atelier auf. Der Pariser Kunstkritiker Mathias Morhardt, ein späterer Vertrauter Camilles, erinnerte sich:
"Ein schweigsames und fleißiges junges Mädchen, das sich von allen Müßiggängern fernhält und den Ton knetet und formt."
Noch lieber arbeitete sie in Marmor, doch konnte sie sich nur das Material für kleine Formate leisten. Trotz ihres unermüdlichen Ringens um eine eigene künstlerische Identität weist ihr Werkverzeichnis keine 100 Nummern auf. Einiges ist verschollen oder wurde in der Phase ihrer zunehmenden seelischen Zerrüttung von ihr selbst zerstört.
Beziehung zu Auguste Rodin
15 Jahre währte ihre Liebesbeziehung zu Rodin, die auf intensivem künstlerischen Austausch basierte. Doch ein offizielles Bekenntnis zu Camille scheute der sehr viel ältere Künstler. Seit Jahrzehnten war er mit Rose Beuret, der Mutter seines Sohnes, so gut wie verheiratet. Ende der 1890er-Jahre lehnte Camille enttäuscht jeglichen Kontakt zu Rodin ab und gab ihm die alleinige Schuld an der mangelnden Resonanz auf ihr Werk. An Morhardt schrieb sie:
"Ich möchte Sie bitten, Ihr Möglichstes zu tun, damit mich Monsieur Rodin am Dienstag nicht besucht. Er weiß sehr gut, dass viele böswillige Leute darauf verfallen sind, zu behaupten, er habe meine Skulpturen gemacht, warum also noch alles tun, um diese Verleumdung glaubwürdig erscheinen zu lassen?"
Wer seine und ihre Skulpturen betrachtet, erkennt den Unterschied: Camille Claudel stellte in ihren weiblichen Figuren seelische Vorgänge dar, wie es zuvor ihre männlichen Kollegen nicht vermocht hatten. Zu ihren schönsten Werken gehört "Der Walzer", ein Mann und eine Frau im Rausch des Tanzes miteinander vereint. Eine Version aus Bronze gehörte ihrem fast gleichaltrigen Freund, dem Komponisten Claude Debussy.
Rückzug in die Atelierwohnung
Fast zeitgleich zu dieser Vision vollkommenen Glücks schuf Camille Claudel "Klotho", die Figur einer abgehärmten, zur Furie gewordenen alten Frau. Eine Vorahnung ihres eigenen Schicksals? Weil sie von Rodin keinerlei Unterstützung annahm, verelendete sie zunehmend. Sie konnte sich keine angemessene Kleidung leisten, geschweige denn einen bürgerlichen Lebensstil. Am Ende verließ sie ihre verwahrloste Atelierwohnung nicht mehr. Ihr Bruder Paul, der sich viele Jahre als Botschafter im Ausland befand, stellte erschüttert fest:
"Camille, in Paris, wahnsinnig, aufgedunsen und das Gesicht besudelt, unaufhörlich redend, mit monotoner und metallischer Stimme."
Auch er war nicht mehr in der Lage, sie zu retten. Unmittelbar nach dem Tod des Vaters 1913 verfügte die ihrer Tochter gegenüber schon immer kaltherzige Mutter Camilles Internierung. Die seelisch erkrankte, sich aber dennoch ihrer Lage sehr wohl bewusste Künstlerin sah darin bis zu ihrem Tod 1943 ein Komplott Rodins.