Bildung als Chance
Der Historiker Eberhard Straub blickt auf drei Jahrzehnte Bildungspolitik zurück. Er setzte sich auf unterschiedlichen Wegen mit dem Thema auseinander und zeigte Möglichkeiten für eine bessere Bildung auf.
Bildung ist in aller Munde. Es ist ein Allheilmittel. Bildung fungiert als Mehrzweckwaffe. Auch deswegen muss Bildung immer wieder reformiert werden, alle Jahre wieder.
Das begann mit dem unsäglichen Georg Picht und der von ihm 1964 erfundenen Bildungskatastrophe. Picht meinte, dass es in Deutschland zu wenige Abiturienten, dass es unentdeckte Begabungen gäbe, die man mit einer kräftigen Dosis von Gesetzesvorhaben ans Licht treiben könne.
Seither gibt es mehr Abiturienten, mehr Studenten und mehr Universitäten, vor allem aber einen Wust an geradezu terroristischen Gesetzen. Um diesen Terror weiter voranzutreiben, kamen zuletzt 1999 die europäischen Bildungsminister in Bologna zusammen, 29 an der Zahl. Sie speisten lange und gut, bestimmt nicht Spaghetti Bolognese und machten Vorschläge, wie man die verschiedenen europäischen Bildungssysteme auf einen Nenner bringen könne. Ob und wie das der Bildung förderlich sein würde, fragte keiner. Das ist der Kontext, in den Eberhard Straubs Buch gut passt. Es heißt "Deutschland Deine Bildung".
Das ist - erfreulicherweise - ein Misnomen. Eigentlich müsste es heißen "Deutschland, Deine Gebildeten". Straub definiert Bildung nämlich anthropologisch. Ihn interessiert das Individuum, dem Bildung eine Heimat bietet. Für Straub verkörpern Mozart und Ignatius von Loyola und Don Quijote und Walker Percy das, was Bildung ausmacht. Die Fernuniversität Hagen interessiert ihn nicht.
Straub hat keine Theorie, aber er hat Impressionen und das ist nach 30 Jahren universal verkündeter Bildungstheorie eine Befreiung. Eklektik statt parteipolischem Bildungsgefasel. ‚Bildung befreit’, schreibt er, als Maxime, und zeigt, dass Bildung ein Derivat ist – wenn auch ein kostbares. Wichtiger ist, dass der Mensch sich selbst mit Achtung und vielleicht sogar mit Distanz behandelt.
Die selbst gewählte Privatheit, selbst gewählte Einsamkeit haben für demokratische Gesellschaften jede Würde eingebüßt. Sie gelten nicht mehr als Tugend. Sie sind zum Ausdruck unpolitischer Innerlichkeit geworden und offenbaren ein höchst unzulängliches Sozialverhalten. Wer noch immer meint, es sei sein wichtigstes und schwierigstes Geschäft, in der Welt sich selbst angehören zu wollen, sich also nach innen zu wenden, um sein "Eigentum" in der Absicht zu entdecken, es vollständig zu besitzen, gerät in den Verdacht, ein schlechter Bürger, unzuverlässiger Demokrat oder gar ein schlimmer Psychopath zu sein. Er leugnet nämlich die gesellig-demokratische Botschaft, dass der Mensch nur dann zu sich selber gefunden hat, wenn er sich unermüdlich als aufgeschlossener Sozialpartner betätigt, der Glück und Behagen gewinnt, indem er sich entschlossen um das allgemeine Wohl kümmert und moralischen Nutzen daraus zieht, sich anderen nützlich zu machen. Außerhalb der Gesellschaft oder auch nur an deren Rande gibt es für überzeugte Demokraten kein Heil. Wer sich auf sich selbst zurückzieht und ‚in der Einsamkeit sein eigenes Weltgetümmel’ haben möchte, entfremdet sich von sich selbst, weil er seine soziale Bestimmung verfehlt. Denn für sich allein bedeutet der Einzelne wenig oder nichts.
"Das ist im schönsten und unglaublichsten Sinne altmodisch. Ortega y Gasset hatte es schon vor Jahren ähnlich formuliert und David Riesman auch und viele andere. Jetzt, da die Vernetzung des Einzelnen über Internet und mobilen Funk immer schneller, der massendemokratische Konformismus immer umfassender und immer widerstandsloser voranschreitet, kann man das Individuum tatsächlich als historisches Relikt in das "Musée de l’Homme" nach Paris einschicken. Der Totalitarismus ist in der Mitte der Gesellschaft angelangt. Die Treibjagd auf Minderheiten läuft auf Hochtouren."
Seit bald 200 Jahren reformiert sich die Gesellschaft ohne jeden Erfolg für den Einzelnen, der sich zunehmend in seiner "Vereinzelung" eingeengt fühlt. Staat und Gesellschaft ermöglichen in der Wirklichkeit nicht die Erweiterung des Ich, sondern üben einen dauernden Druck darauf aus ...Der demokratische Gedanke selbst gerät kaum in den Verdacht, vielleicht gerade das zu schaffen, was ihm widerspricht: eben Einsamkeit als Langeweile. Denn die demokratische Gesellschaft stellt alles zur Diskussion außer ihren Grundsatz, sie sei dazu befähigt, eine heitere Organisation gleicher und freier Menschen herstellen zu können.
"Ob Straub naiv ist oder mutig, ist schwer zu entscheiden. Die Differenz ist ja ohnehin nicht immer klar. Straub nimmt sich jedenfalls ein deutsches Sanctissimum vor: die Erinnerungskultur. Vergangenheitsbewältigung, sagt er, gibt es gar nicht. Die Konsequenz, mit der er seine Thesen vertritt, ist für einen Deutschen selten."
Geschichtliches lässt sich nicht bewältigen. Denn es kommt nicht auf die Resultate des Lebens an, vielmehr vollendet sich das Leben im Leben, in ununterbrochenen Verwandlungen, die je auf ihre Art zu durchlaufen sind. Lebensphasen, sobald durchlaufen, sinken in der Geschichte ab, in die Tiefe der Jahre, dort lagern sie als Abgetanes, Abgestorbenes, als etwas Leichenhaftes, das mit seinem Modergeruch dennoch den Lebendigsten belästigt…Die Geschichtsschreibung ist unter solchen Voraussetzungen ‚das beste Mittel sich die Vergangenheit vom Hals zu schaffen’.
"Kultur muss gelebt werden, sie kann nur als Lebensform eines jeden Einzelnen lebendig werden. Vergangenheitsbewältigung ist für Straub der Versuch, im wirklichen Leben das falsche zu führen. Nur dann nämlich kann Vergangenheit produktiv werden, wenn das jeweilige Individuum sich Geschichte aneignet, so wie es ihm und nur ihm gemäß ist. Als bildungspolitisches Bekenntnis eines Konservativen und Humanisten kann man das sehr wohl gelten lassen."
Eberhard Straub: Deutschland Deine Bildung! - Essays zur Idee und Geschichte
herausgegeben von Bernhard Vogt im Rahmen der Karlsruher Forschungsstudien
Verlag Dr. Köster, Berlin/2008
Das begann mit dem unsäglichen Georg Picht und der von ihm 1964 erfundenen Bildungskatastrophe. Picht meinte, dass es in Deutschland zu wenige Abiturienten, dass es unentdeckte Begabungen gäbe, die man mit einer kräftigen Dosis von Gesetzesvorhaben ans Licht treiben könne.
Seither gibt es mehr Abiturienten, mehr Studenten und mehr Universitäten, vor allem aber einen Wust an geradezu terroristischen Gesetzen. Um diesen Terror weiter voranzutreiben, kamen zuletzt 1999 die europäischen Bildungsminister in Bologna zusammen, 29 an der Zahl. Sie speisten lange und gut, bestimmt nicht Spaghetti Bolognese und machten Vorschläge, wie man die verschiedenen europäischen Bildungssysteme auf einen Nenner bringen könne. Ob und wie das der Bildung förderlich sein würde, fragte keiner. Das ist der Kontext, in den Eberhard Straubs Buch gut passt. Es heißt "Deutschland Deine Bildung".
Das ist - erfreulicherweise - ein Misnomen. Eigentlich müsste es heißen "Deutschland, Deine Gebildeten". Straub definiert Bildung nämlich anthropologisch. Ihn interessiert das Individuum, dem Bildung eine Heimat bietet. Für Straub verkörpern Mozart und Ignatius von Loyola und Don Quijote und Walker Percy das, was Bildung ausmacht. Die Fernuniversität Hagen interessiert ihn nicht.
Straub hat keine Theorie, aber er hat Impressionen und das ist nach 30 Jahren universal verkündeter Bildungstheorie eine Befreiung. Eklektik statt parteipolischem Bildungsgefasel. ‚Bildung befreit’, schreibt er, als Maxime, und zeigt, dass Bildung ein Derivat ist – wenn auch ein kostbares. Wichtiger ist, dass der Mensch sich selbst mit Achtung und vielleicht sogar mit Distanz behandelt.
Die selbst gewählte Privatheit, selbst gewählte Einsamkeit haben für demokratische Gesellschaften jede Würde eingebüßt. Sie gelten nicht mehr als Tugend. Sie sind zum Ausdruck unpolitischer Innerlichkeit geworden und offenbaren ein höchst unzulängliches Sozialverhalten. Wer noch immer meint, es sei sein wichtigstes und schwierigstes Geschäft, in der Welt sich selbst angehören zu wollen, sich also nach innen zu wenden, um sein "Eigentum" in der Absicht zu entdecken, es vollständig zu besitzen, gerät in den Verdacht, ein schlechter Bürger, unzuverlässiger Demokrat oder gar ein schlimmer Psychopath zu sein. Er leugnet nämlich die gesellig-demokratische Botschaft, dass der Mensch nur dann zu sich selber gefunden hat, wenn er sich unermüdlich als aufgeschlossener Sozialpartner betätigt, der Glück und Behagen gewinnt, indem er sich entschlossen um das allgemeine Wohl kümmert und moralischen Nutzen daraus zieht, sich anderen nützlich zu machen. Außerhalb der Gesellschaft oder auch nur an deren Rande gibt es für überzeugte Demokraten kein Heil. Wer sich auf sich selbst zurückzieht und ‚in der Einsamkeit sein eigenes Weltgetümmel’ haben möchte, entfremdet sich von sich selbst, weil er seine soziale Bestimmung verfehlt. Denn für sich allein bedeutet der Einzelne wenig oder nichts.
"Das ist im schönsten und unglaublichsten Sinne altmodisch. Ortega y Gasset hatte es schon vor Jahren ähnlich formuliert und David Riesman auch und viele andere. Jetzt, da die Vernetzung des Einzelnen über Internet und mobilen Funk immer schneller, der massendemokratische Konformismus immer umfassender und immer widerstandsloser voranschreitet, kann man das Individuum tatsächlich als historisches Relikt in das "Musée de l’Homme" nach Paris einschicken. Der Totalitarismus ist in der Mitte der Gesellschaft angelangt. Die Treibjagd auf Minderheiten läuft auf Hochtouren."
Seit bald 200 Jahren reformiert sich die Gesellschaft ohne jeden Erfolg für den Einzelnen, der sich zunehmend in seiner "Vereinzelung" eingeengt fühlt. Staat und Gesellschaft ermöglichen in der Wirklichkeit nicht die Erweiterung des Ich, sondern üben einen dauernden Druck darauf aus ...Der demokratische Gedanke selbst gerät kaum in den Verdacht, vielleicht gerade das zu schaffen, was ihm widerspricht: eben Einsamkeit als Langeweile. Denn die demokratische Gesellschaft stellt alles zur Diskussion außer ihren Grundsatz, sie sei dazu befähigt, eine heitere Organisation gleicher und freier Menschen herstellen zu können.
"Ob Straub naiv ist oder mutig, ist schwer zu entscheiden. Die Differenz ist ja ohnehin nicht immer klar. Straub nimmt sich jedenfalls ein deutsches Sanctissimum vor: die Erinnerungskultur. Vergangenheitsbewältigung, sagt er, gibt es gar nicht. Die Konsequenz, mit der er seine Thesen vertritt, ist für einen Deutschen selten."
Geschichtliches lässt sich nicht bewältigen. Denn es kommt nicht auf die Resultate des Lebens an, vielmehr vollendet sich das Leben im Leben, in ununterbrochenen Verwandlungen, die je auf ihre Art zu durchlaufen sind. Lebensphasen, sobald durchlaufen, sinken in der Geschichte ab, in die Tiefe der Jahre, dort lagern sie als Abgetanes, Abgestorbenes, als etwas Leichenhaftes, das mit seinem Modergeruch dennoch den Lebendigsten belästigt…Die Geschichtsschreibung ist unter solchen Voraussetzungen ‚das beste Mittel sich die Vergangenheit vom Hals zu schaffen’.
"Kultur muss gelebt werden, sie kann nur als Lebensform eines jeden Einzelnen lebendig werden. Vergangenheitsbewältigung ist für Straub der Versuch, im wirklichen Leben das falsche zu führen. Nur dann nämlich kann Vergangenheit produktiv werden, wenn das jeweilige Individuum sich Geschichte aneignet, so wie es ihm und nur ihm gemäß ist. Als bildungspolitisches Bekenntnis eines Konservativen und Humanisten kann man das sehr wohl gelten lassen."
Eberhard Straub: Deutschland Deine Bildung! - Essays zur Idee und Geschichte
herausgegeben von Bernhard Vogt im Rahmen der Karlsruher Forschungsstudien
Verlag Dr. Köster, Berlin/2008

Cover: "Eberhard Straub: Deutschland Deine Bildung! - Essays zur Idee und Geschichte"© Verlag Dr. Köster