Bildung in Deutschland

Die unbelehrbare Schulpolitik

04:09 Minuten
Zwei Schüler (Emelie und Constantin) rechnen in Stuttgart an ihrem Pult ihre Mathematikaufgaben aus, aufgenommen im Oktober 2014.
Alle schulischen Herausforderungen der letzten 20 Jahre haben gezeigt, dass die Bundesländer mit ihrer Kulturhoheit heillos überfordert sind, meint Christian Füller. © picture alliance/dpa/Inga Kjer
Ein Kommentar von Christian Füller |
Audio herunterladen
Der Bildungsrat der Länder wurde gegründet, um das deutsche Schulsystem zu reformieren. Der Einfluss von Bund und Gesellschaft sollte wachsen. Doch die Chance wurde vertan, klagt Journalist Christian Füller, und fordert das Ende des Bildungsföderalismus.
Der Bildungsrat der Länder war eine politische Tragödie – und zwar eine mit Ansage. Er sollte mehr Gesellschaft und mehr Vernunft in die Bildungspolitik bringen. Doch er starb an Machtpolitik.
Um zu verstehen, was mit dem Bildungsrat möglich gewesen wäre, muss man dieses komplexe Ding erstmal erklären. Der Bildungsrat hatte in den 1970er-Jahren einen glänzenden Vorgänger. Er entwickelte eine Vielzahl guter pädagogischer Ideen. Nur blieb er beinahe wirkungslos, weil er ohne jede Macht war; die Südstaaten ignorierten ihn, irgendwann ging er ein. Den neuen Bildungsrat trugen nun zwei Gründungsideen: Erstens, sollten die Länder und der Bund in der Bildung ständig (und gut) zusammenarbeiten. Zweitens, sollten gesellschaftliche Gruppen, Migranten, Eltern, Schüler endlich mitreden dürfen – und zwar nicht am Katzentisch, sondern regulär. Mit Sitz und Stimme.

Einbindung von Eltern, Bürgern und Betroffenen

Dass Eltern, Bürger und Betroffene eingebunden werden sollten, war vielleicht die wichtigste bildungspolitische Neuerung des Bildungsrats. Ein überfallartiges Enthaupten des neunjährigen Gymnasiums, wie 2002 mit Einführung des G8 geschehen, wäre mit ihm eher unwahrscheinlich gewesen – denn die Eltern hätten dazu vorher ihre Meinung sagen können. Mit einem Bildungsrat wäre der Einfluss der Gesellschaft ganz allgemein größer geworden.
Migranten hätten Initiativen starten können, wie man die Integration von Kindern verschiedener Kulturen voranbringt. Eltern von Kindern mit Handicaps hätten den Ministern plausibel machen können: es ist ein Menschenrecht, dass unsere Töchter und Söhne in der Regelschule mitlernen!
Wie nötig das ist, kann man gerade in Sachsen-Anhalt beobachten. Da baut der Kreis Wittenberg ungerührt eine neue Förderschule für Lernbehinderte – obwohl die Vereinten Nationen Deutschland befohlen haben, solche Sonderschulen abzuschaffen. Ein Bildungsrat hätte diese Schurkenstaaterei verhindert.
Er hätte zudem die Schulabschlüsse harmonisieren und alle Schulen im Land gerechter machen sollen – und zwar überall, in Bremen genau wie in Bayern.

Keilen um Stimmverhältnisse

So weit die schöne Theorie. Nur war die Praxis eben viel hässlicher. Über vergleichbare Lernbedingungen haben die Schulminister von Bund und Ländern gar nicht geredet. Seit der Bildungsrat im Koalitionsvertrag vereinbart worden war, ging es nur um eines: dass die Länder nicht überstimmt werden dürfen!
Der Streit reichte bis mitten in die Parteien: CDU-Bundesbildungsministerin Anja Karliczek zankte sich am ärgsten nicht mit der SPD oder den Grünen, sondern mit ihrer schwäbischen Unions-Freundin Susanne Eisenmann. Wäre die Zivilgesellschaft in diesem Rat der Streithansel jemals wieder relevant geworden? Das darf man bezweifeln.
Mit anderen Worten: der Bildungsrat des zivilen Dialogs war ein Potemkinsches Dorf. Gesellschaftliche Gruppen erwarteten sich – um mit dem Staatsrechtler Carl Schmitt zu sprechen – besseren Zugang zu den Machthabern. Die aber keilten sich nur um Stimmverhältnisse.

Bundesländer mit Kulturhoheit überfordert

Alle schulischen Herausforderungen der letzten 20 Jahre haben gezeigt: die Bundesländer sind mit ihrer Kulturhoheit heillos überfordert. Gleichzeitig pochen sie stets darauf, bei allen Veränderungen das letzte Wort zu besitzen. Dabei haben sie den Abiturboom mehr erlitten als gestaltet, sie haben die Inklusion hintertrieben, beim Zuzug von Geflüchteten sind ihnen sofort die Lehrer ausgegangen, und die Digitalisierung schwappt wie ein Tsunami über ihr 19.-Jahrhundert-Schulsystem.
Der Bildungsföderalismus ist nicht mehr zeitgemäß. Der Bildungsrat hätte eine Chance sein können, ihn zu modernisieren. Die Bundesländer aber haben das wieder verhindert. Noch einmal wird sich die Bürgergesellschaft so etwas hoffentlich nicht bieten lassen.

Christian Füller, 55, ist Buchautor (unter anderem "Muss mein Kind aufs Gymnasium?", Duden 2018, und "Die Revolution missbraucht ihre Kinder", Hanser 2015) und Journalist. Er schreibt unter anderem für "Spiegel Online", "FAZ", "Welt am Sonntag" und bloggt als Pisaversteher. Für unsere Sendereihe "Politisches Feuilleton" kommentiert er regelmäßig bildungspolitische Themen.

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
© Quelle: privat
Mehr zum Thema