Bildung ist mehr als Daten und Fakten Sammeln
Der ehemalige Benediktinermönch Anselm Bilgri plädiert dafür, Bildung weiter zu fassen als bisher: Werte wie Einfühlungsvermögen oder ein Gewissen müssten vermittelt werden. Die Entwicklung sozialer und emotionaler, kommunikativer und künstlerischer sowie religiöser Fähigkeiten sei ebenso bedeutsam wie die Anhäufung von Faktenwissen.
In Deutschland ist die Wertedebatte ebenso wenig verstummt wie die Diskussion um Bildungskanon, Bologna-Prozess und dessen Folgen. In diesem vielstimmigen Konzert verstärkt Anselm Bilgri mit seinem Buch eine alte Melodie namens "Herzensbildung".
Die ist weder laut noch spektakulär, aber wichtig und tragend, so Bilgri. Eine Bassstimme der besonderen Art. Sie tönt: Bei jungen Menschen muss "die Herzensbildung mit der Wissensvermittlung" verbunden werden.
Denn Herzensbildung, so Bilgri, ist "Fundament jeglicher anderen Bildung und Erziehung". Bildung ist für den ehemaligen Benediktiner nicht nur Anhäufung von Zahlen und Daten, Fakten und Informationen.
All das ist durchaus wichtig, reicht aber nicht aus. Als Gewährsmann zitiert Bilgri den Dalai Lama: Ein "herzloses menschliches Wesen mit einem sehr gut funktionierenden Gehirn" ist ein "gefährlicher Unruhestifter".
Daher bedarf es zusätzlich der Entwicklung von geistigen Werten und persönlichen Maßstäben sowie die Ausbildung innerer Kräfte und Ressourcen. Darauf verweist der Untertitel des Buches: "Plädoyer für das Kapital in uns".
Zur Herzensbildung zählt ferner die Entwicklung sozialer und emotionaler, kommunikativer und künstlerischer sowie religiöser Fähigkeiten. Messbar sind die nicht. Deshalb spricht man neudeutsch von "soft skills". Dazu zählen zum Beispiel das Einfühlungsvermögen und das Gewissen. Kant nennt es das "Gesetz in uns".
Mit zehn Kapitelüberschriften skizziert Bilgri Lernziele der Herzensbildung an. Er fordert etwa "Achtsamkeit und Gewissenhaftigkeit für die oberflächliche Gesellschaft" sowie "Zweckfreiheit für die Leistungsgesellschaft". In weiteren Kapiteln geht es um Vertrauen und Gelassenheit, um "mehr Gefühl" und "etwas Heiliges".
Im Abschnitt "Demut für die Dominanzgesellschaft" lernt man: Demut ist weder Bescheidenheit noch Selbstverleugnung. Für Bilgri ist Demut "so etwas wie Bodenhaftung" und die Bereitschaft zu dienen, sprich: dem Besseren zum Durchbruch zu verhelfen. Beides schreibt Bilgri Managern ins Stammbuch.
Derlei Interpretationen fußen – hier wie an vielen anderen Stellen seines Buches –auf sprachlichen Analysen. Im lateinischen "humilitas" entdeckt Bilgri das Fundament "humus", zu Deutsch: Boden, Erde. Und das althochdeutsche "dien-muot" bringt ihn zur Kurzdefinition: Demut heißt dienen wollen.
Zwei weitere Beispiele: Askese bedeutet nicht Verzicht, sondern Training und dabei das Bemühen um das rechte Maß. Gehorsam bezeichnet "eine Haltung des Eifrigseins im aufmerksamen Hinhören."
Immer wieder ist der Autor bemüht, wichtige Begriffe "rettend zu übersetzen" (Jürgen Habermas). Dabei kommen ihm vor allem zwei Dinge zugute: seine humanistische Bildung und seine spirituelle Prägung durch die Regeln des heiligen Benedikt.
18 Jahre lang leitete Bilgri den Wirtschaftsbetrieb der Abtei St. Bonifaz in München und Andechs. 2004 verließ er den Orden und verdient seither sein Geld als Berater, Vortragender und Buchautor. Daher ist das gut lesbare Buch am spannendsten, wenn der Autor konkret aus seinem Erfahrungsschatz berichtet.
Bilgri wendet sich an eine breite, interessierte Leserschaft, insbesondere aber an Führungskräfte. Seine 270-seitige Schrift ist weder theologisches Sachbuch noch spirituelles Erbauungsbuch. Denn mehr als die Bibel und den hl. Benedikt zitiert Bilgri antike Philosophen. Die reflektierten oft das menschliche Streben nach Glückseligkeit. Dazu leistet Herzensbildung einen entscheidenden Beitrag.
Zum Autor:
Anselm Bilgri, geboren 1953, trat 1975 ins Benediktinerkloster Andechs ein, studierte Philosophie und Theologie und wurde 1980 vom damaligen Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger zum Priester geweiht. Lange Jahre leitete Bilgri den erfolgreichen Wirtschaftsbetrieb der Abtei St. Bonifaz in München und Andechs. Der Markenname Kloster Andechs ist nicht nur Biertrinkerinnen ein Begriff.
2004 verließ Bilgri das Kloster nach einem Sabbatjahr. Zuvor hatten die Mitbrüder nicht ihn, sondern einen fast 20 Jahre Jüngeren zum Abt gewählt. Seither ist Bilgri als Vortragender, Coach und Buchautor unterwegs. Nach "Finde das rechte Maß", "Stundenbuch eines weltlichen Mönches" und "Entrümple deinen Geist" legt der ehemalige Benediktiner sein viertes Buch vor. Es trägt den Titel "Herzensbildung". Damit will Bilgri die Wissens- und Informationsgesellschaft an ein Bildungsideal erinnern, das in seinen Augen zu kurz kommt, aber dennoch sehr vonnöten ist: die Herzensbildung.
Besprochen von Thomas Kroll
Anselm Bilgri: Herzensbildung. Ein Plädoyer für das Kapital in uns
Piper Verlag: München 2009
270 Seiten, 16,95 Euro.
Die ist weder laut noch spektakulär, aber wichtig und tragend, so Bilgri. Eine Bassstimme der besonderen Art. Sie tönt: Bei jungen Menschen muss "die Herzensbildung mit der Wissensvermittlung" verbunden werden.
Denn Herzensbildung, so Bilgri, ist "Fundament jeglicher anderen Bildung und Erziehung". Bildung ist für den ehemaligen Benediktiner nicht nur Anhäufung von Zahlen und Daten, Fakten und Informationen.
All das ist durchaus wichtig, reicht aber nicht aus. Als Gewährsmann zitiert Bilgri den Dalai Lama: Ein "herzloses menschliches Wesen mit einem sehr gut funktionierenden Gehirn" ist ein "gefährlicher Unruhestifter".
Daher bedarf es zusätzlich der Entwicklung von geistigen Werten und persönlichen Maßstäben sowie die Ausbildung innerer Kräfte und Ressourcen. Darauf verweist der Untertitel des Buches: "Plädoyer für das Kapital in uns".
Zur Herzensbildung zählt ferner die Entwicklung sozialer und emotionaler, kommunikativer und künstlerischer sowie religiöser Fähigkeiten. Messbar sind die nicht. Deshalb spricht man neudeutsch von "soft skills". Dazu zählen zum Beispiel das Einfühlungsvermögen und das Gewissen. Kant nennt es das "Gesetz in uns".
Mit zehn Kapitelüberschriften skizziert Bilgri Lernziele der Herzensbildung an. Er fordert etwa "Achtsamkeit und Gewissenhaftigkeit für die oberflächliche Gesellschaft" sowie "Zweckfreiheit für die Leistungsgesellschaft". In weiteren Kapiteln geht es um Vertrauen und Gelassenheit, um "mehr Gefühl" und "etwas Heiliges".
Im Abschnitt "Demut für die Dominanzgesellschaft" lernt man: Demut ist weder Bescheidenheit noch Selbstverleugnung. Für Bilgri ist Demut "so etwas wie Bodenhaftung" und die Bereitschaft zu dienen, sprich: dem Besseren zum Durchbruch zu verhelfen. Beides schreibt Bilgri Managern ins Stammbuch.
Derlei Interpretationen fußen – hier wie an vielen anderen Stellen seines Buches –auf sprachlichen Analysen. Im lateinischen "humilitas" entdeckt Bilgri das Fundament "humus", zu Deutsch: Boden, Erde. Und das althochdeutsche "dien-muot" bringt ihn zur Kurzdefinition: Demut heißt dienen wollen.
Zwei weitere Beispiele: Askese bedeutet nicht Verzicht, sondern Training und dabei das Bemühen um das rechte Maß. Gehorsam bezeichnet "eine Haltung des Eifrigseins im aufmerksamen Hinhören."
Immer wieder ist der Autor bemüht, wichtige Begriffe "rettend zu übersetzen" (Jürgen Habermas). Dabei kommen ihm vor allem zwei Dinge zugute: seine humanistische Bildung und seine spirituelle Prägung durch die Regeln des heiligen Benedikt.
18 Jahre lang leitete Bilgri den Wirtschaftsbetrieb der Abtei St. Bonifaz in München und Andechs. 2004 verließ er den Orden und verdient seither sein Geld als Berater, Vortragender und Buchautor. Daher ist das gut lesbare Buch am spannendsten, wenn der Autor konkret aus seinem Erfahrungsschatz berichtet.
Bilgri wendet sich an eine breite, interessierte Leserschaft, insbesondere aber an Führungskräfte. Seine 270-seitige Schrift ist weder theologisches Sachbuch noch spirituelles Erbauungsbuch. Denn mehr als die Bibel und den hl. Benedikt zitiert Bilgri antike Philosophen. Die reflektierten oft das menschliche Streben nach Glückseligkeit. Dazu leistet Herzensbildung einen entscheidenden Beitrag.
Zum Autor:
Anselm Bilgri, geboren 1953, trat 1975 ins Benediktinerkloster Andechs ein, studierte Philosophie und Theologie und wurde 1980 vom damaligen Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger zum Priester geweiht. Lange Jahre leitete Bilgri den erfolgreichen Wirtschaftsbetrieb der Abtei St. Bonifaz in München und Andechs. Der Markenname Kloster Andechs ist nicht nur Biertrinkerinnen ein Begriff.
2004 verließ Bilgri das Kloster nach einem Sabbatjahr. Zuvor hatten die Mitbrüder nicht ihn, sondern einen fast 20 Jahre Jüngeren zum Abt gewählt. Seither ist Bilgri als Vortragender, Coach und Buchautor unterwegs. Nach "Finde das rechte Maß", "Stundenbuch eines weltlichen Mönches" und "Entrümple deinen Geist" legt der ehemalige Benediktiner sein viertes Buch vor. Es trägt den Titel "Herzensbildung". Damit will Bilgri die Wissens- und Informationsgesellschaft an ein Bildungsideal erinnern, das in seinen Augen zu kurz kommt, aber dennoch sehr vonnöten ist: die Herzensbildung.
Besprochen von Thomas Kroll
Anselm Bilgri: Herzensbildung. Ein Plädoyer für das Kapital in uns
Piper Verlag: München 2009
270 Seiten, 16,95 Euro.