Bildung - keine Frage des Geldes
Bessere Bildung durch mehr Geld? Diese Forderung scheint einleuchtend, aber ein Blick auf Vietnam macht stutzig. Das Land gehört laut OECD zu den zehn ärmsten in der Welt: Dort wird im Drei-Schicht-System an den Schulen unterrichtet, die Klassen sind überfüllt, die Lehrer schlecht bezahlt, es gibt keine Lehrbücher, von Computern ganz zu schweigen - trotzdem haben Grundschüler in Hanoi deutlich bessere Mathematikleistungen als ihre Altersgenossen in München.
Das besagen erziehungswissenschaftliche Studien. Es scheint, dass auch noch andere Faktoren zum Bildungserfolg führen als das leidige Geld. Nach dem chinesischen Philosophen Konfuzius beispielsweise gilt die Weisheit als eine der fünf Grundtugenden. Bildung erscheint im Konfuzianismus als Wert an sich, ohne die der Mensch keine Harmonie mit dem großen Ganzen findet. "Lerne, als könntest du das Wissen nie erreichen und als fürchtest du es wieder zu verlieren", sagt Konfuzius – in Vietnam gehört seine Lehre zur Alltagswelt.
Tatsächlich konstatieren Bildungsforscher weltweit schon seit langem unterschiedliche Leistungsniveaus zwischen westlichen und konfuzianisch geprägten Ländern: Im Lesen und Rechnen, so heißt es immer wieder, stünden Kinder aus China, Japan oder Vietnam souverän an der Spitze. Das liege nicht zuletzt an einer weiteren konfuzianischen Tugend: am Sinn dafür, sich zu bemühen, da man erst dadurch seine Würde erlange. Und in der Tat: Ungläubig, staunend, ja bestürzt sehen wir im Fernsehen japanische Schüler, die lächelnd erklären, bei ihren Prüfungsvorbereitungen seien sie dreimal in Ohnmacht gefallen. Gewiss: Dergleichen kann man wohl kaum als Aufforderung zum Nachahmen empfehlen.
Aber - wie ist es bei uns, in der westlichen Wohlstandsgesellschaft? Untersuchungen zeigen, dass dort Kinder und Jugendliche weniger gern zur Schule gehen, weniger Zeit mit Lernen verbringen, weniger ambitioniert sind. Das resultiert jedoch nicht allein nur aus mehr Freizeitmöglichkeiten, es ist auch die Folge einer aufklärerischen Kultur, in der Vernunft keinen eigenen Wert darstellt, sondern nur ein Instrument - kaum verwunderlich, gilt uns Bildung heute auch als Mittel für den sozialen Aufstieg.
Das gab es jedoch einstmals auch bei uns: Bildung als ein Wert an sich. Im 19. Jahrhundert erhoben sich in Deutschland romantische Philosophen wie Herder, Schlegel und Schelling gegen die instrumentelle Vernunft der englischen, utilitaristischen Tradition. Sie strebten danach, Ratio und Kunst, Natur und Technik miteinander zu versöhnen, und so dachten sie auch jenseits von Ökonomie und Effizienz. Hierdurch beförderten sie Humboldts Ideal, nach dem sich der Mensch durch Bildung von innen heraus vervollkommnen solle, ohne Gedanken an Berufe oder sonstige wirtschaftliche Interessen.
Freilich, die Quellen dieses Ideals versiegten bald, da die instrumentelle Vernunft auch in Deutschland immer mehr an Boden gewann: Durch die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts, die zwar Eisenbahnen bescherte und Elektrizität, aber auch Großstadtelend und soziale Konflikte. Doch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte es Generationen von Akademikern. Selbst Arbeiter orientierten sich an ihm: Die sozialdemokratischen Bildungsvereine, die Volksbühne, die Volkshochschule, all das entstand in seinem Geist - und ohne dass sich daran die Perspektive des sozialen Aufstiegs knüpfte. Die ganze Welt schaute verwundert auf den Kulturstand des deutschen Proletariers.
Aber nach 1945 verschwand das Bildungsbürgertum, seine vermittelnde Instanz, im Wohlfahrtsstaat. Bildung war nun nicht mehr Wert an sich, sondern lediglich Krücke für die soziale Stufenleiter. Und wie die instrumentelle Vernunft weiter ihre Schattenseiten entblößte, wie sie die Natur verheerte, Wirtschaftskrisen brachte, Armut und Krieg nicht verhinderte, so misstraute man auch immer mehr Fortschritt, Wissenschaft und Technik - kurz, dem "immer weiter voran", das Bildung garantieren soll. Nicht nur moderne Vergnügungen haben zum sinkenden Bildungsniveau geführt, es war auch Angst vor dem drohenden ökologischen Kollaps und den Möglichkeiten der modernen Genforschung.
Und heute, angesichts zahlloser taxifahrender Akademiker, ist auch der Glaube an den sozialen Fahrstuhleffekt von Bildung geschwunden, und er wird weiter schwinden, je mehr die Erwerbsarbeitsgesellschaft an ihre Grenzen gelangt. Unter diesen Umständen ist es müßig, darauf zu hoffen, mit mehr Geld den heutigen Bildungsdefiziten zu begegnen. Dahinter wartet die eigentliche Aufgabe: Bildung wie im Konfuzianismus wieder als Wert an sich zu etablieren, sie von instrumenteller Vernunft zu lösen - wieder zurück zu Humboldt zu finden.
Michael Böhm, geboren 1969 in Dresden, studierte Politikwissenschaft in Berlin und Lille und lebt als freier Publizist in Berlin. Er schreibt für verschiedene Zeitschriften, so unter anderem für "Du - Das europäische Kulturmagazin". Sein letztes Buch "Alain de Benoist - Denker der Nouvelle Droite" erschien 2008 in der Edition Antaios.
Tatsächlich konstatieren Bildungsforscher weltweit schon seit langem unterschiedliche Leistungsniveaus zwischen westlichen und konfuzianisch geprägten Ländern: Im Lesen und Rechnen, so heißt es immer wieder, stünden Kinder aus China, Japan oder Vietnam souverän an der Spitze. Das liege nicht zuletzt an einer weiteren konfuzianischen Tugend: am Sinn dafür, sich zu bemühen, da man erst dadurch seine Würde erlange. Und in der Tat: Ungläubig, staunend, ja bestürzt sehen wir im Fernsehen japanische Schüler, die lächelnd erklären, bei ihren Prüfungsvorbereitungen seien sie dreimal in Ohnmacht gefallen. Gewiss: Dergleichen kann man wohl kaum als Aufforderung zum Nachahmen empfehlen.
Aber - wie ist es bei uns, in der westlichen Wohlstandsgesellschaft? Untersuchungen zeigen, dass dort Kinder und Jugendliche weniger gern zur Schule gehen, weniger Zeit mit Lernen verbringen, weniger ambitioniert sind. Das resultiert jedoch nicht allein nur aus mehr Freizeitmöglichkeiten, es ist auch die Folge einer aufklärerischen Kultur, in der Vernunft keinen eigenen Wert darstellt, sondern nur ein Instrument - kaum verwunderlich, gilt uns Bildung heute auch als Mittel für den sozialen Aufstieg.
Das gab es jedoch einstmals auch bei uns: Bildung als ein Wert an sich. Im 19. Jahrhundert erhoben sich in Deutschland romantische Philosophen wie Herder, Schlegel und Schelling gegen die instrumentelle Vernunft der englischen, utilitaristischen Tradition. Sie strebten danach, Ratio und Kunst, Natur und Technik miteinander zu versöhnen, und so dachten sie auch jenseits von Ökonomie und Effizienz. Hierdurch beförderten sie Humboldts Ideal, nach dem sich der Mensch durch Bildung von innen heraus vervollkommnen solle, ohne Gedanken an Berufe oder sonstige wirtschaftliche Interessen.
Freilich, die Quellen dieses Ideals versiegten bald, da die instrumentelle Vernunft auch in Deutschland immer mehr an Boden gewann: Durch die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts, die zwar Eisenbahnen bescherte und Elektrizität, aber auch Großstadtelend und soziale Konflikte. Doch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte es Generationen von Akademikern. Selbst Arbeiter orientierten sich an ihm: Die sozialdemokratischen Bildungsvereine, die Volksbühne, die Volkshochschule, all das entstand in seinem Geist - und ohne dass sich daran die Perspektive des sozialen Aufstiegs knüpfte. Die ganze Welt schaute verwundert auf den Kulturstand des deutschen Proletariers.
Aber nach 1945 verschwand das Bildungsbürgertum, seine vermittelnde Instanz, im Wohlfahrtsstaat. Bildung war nun nicht mehr Wert an sich, sondern lediglich Krücke für die soziale Stufenleiter. Und wie die instrumentelle Vernunft weiter ihre Schattenseiten entblößte, wie sie die Natur verheerte, Wirtschaftskrisen brachte, Armut und Krieg nicht verhinderte, so misstraute man auch immer mehr Fortschritt, Wissenschaft und Technik - kurz, dem "immer weiter voran", das Bildung garantieren soll. Nicht nur moderne Vergnügungen haben zum sinkenden Bildungsniveau geführt, es war auch Angst vor dem drohenden ökologischen Kollaps und den Möglichkeiten der modernen Genforschung.
Und heute, angesichts zahlloser taxifahrender Akademiker, ist auch der Glaube an den sozialen Fahrstuhleffekt von Bildung geschwunden, und er wird weiter schwinden, je mehr die Erwerbsarbeitsgesellschaft an ihre Grenzen gelangt. Unter diesen Umständen ist es müßig, darauf zu hoffen, mit mehr Geld den heutigen Bildungsdefiziten zu begegnen. Dahinter wartet die eigentliche Aufgabe: Bildung wie im Konfuzianismus wieder als Wert an sich zu etablieren, sie von instrumenteller Vernunft zu lösen - wieder zurück zu Humboldt zu finden.
Michael Böhm, geboren 1969 in Dresden, studierte Politikwissenschaft in Berlin und Lille und lebt als freier Publizist in Berlin. Er schreibt für verschiedene Zeitschriften, so unter anderem für "Du - Das europäische Kulturmagazin". Sein letztes Buch "Alain de Benoist - Denker der Nouvelle Droite" erschien 2008 in der Edition Antaios.