Rocktheater in FDJ-Bluse
Mit der Geschichte ihrer Eltern setzen sich Rostocker Schüler in der Schauspielgruppe auseinander. Eine Schulband begleitet das Rocktheater mit Klassikern wie "Bataillion d’amour“ der DDR-Band Silly.
Auf der Bühne der Aula summt ein graugrüner Diaprojektor aus den 60ern. Er wirft eine Schrifttafel an die Wand: "Bitte schalten sie ihre tragbaren Fernsprechgeräte aus. Irgendeiner hört ja immer mit.“
"Macht mal Geschichtsunterricht bitte!"
Markus Riemer, der Musiklehrer, schickt sechs Schüler auf die Bühne, die sofort mit gelangweiltem Gesicht zu spielen beginnen.
"Und so, Jugendfreunde, wurde die FDJ das, was sie heute ist. Die Kampfreserve der Partei, die Speerspitze des Sozialismus."
Es ist die Geschichte ihrer Eltern, die Tom, Mina und Karl spielen. Eine DDR-Schuljugend in den späten 80ern. Zwischen Staatsbürgerkundeunterricht und den Tonbandkassetten von Bruce Springsteen. Als Kai, Kathleen und Micha lassen sie die Phrasen über sich ergehen. Und wagen doch die kleine Rebellion mit einer Frage.
"Freie deutsche Jugend? Was heißt denn frei sein?“
"Es tut mir leid, Kathleen, dafür reicht unsere Zeit leider nicht mehr.“
"Es tut mir leid, Kathleen, dafür reicht unsere Zeit leider nicht mehr.“
Die elfköpfige Schulband, die sich für dieses Stück "Agitator“ getauft hat, beginnt zu spielen. Felix, ein großgewachsener 16-Jähriger, tritt entschlossen ans Mikro.
"Jetzt, jetzt lebe ich und jetzt, jetzt lebe ich und jetzt, jetzt trinke ich und jetzt, jetzt stinke ich ..."
Sylvia, Luise und Mina aus der Schauspielgruppe stehen am Bühnenrand und bekennen: Die Songs ihrer Eltern zu hören, zu singen und zu spielen - anfangs war das ziemlich peinlich.
Sylvia: "Sind ja eigentlich gar nicht so mein Musikgeschmack, aber ich weiß nicht – einige, die find ich gar nicht mal so schlecht und denn sitz ich so vorm Computer, ja mal bei Youtube eingeben."
Mina: "Das ist so handmade, das ist so echt, find ich."
Luise: "Schmutzig und ehrlich! Nicht so künstlich wie heute oftmals."
FDJ-Blusen waren schwierig zu besorgen
Markus Riemer, ihr Musiklehrer, der gerade sein Saxophon auf einen Stuhl gelegt hat, um einen Eindruck vom Sound im Zuschauerraum zu bekommen, hat das Stück gemeinsam mit einer Geschichtslehrerin geschrieben. Er war 1989 14 Jahre alt, und bei dem Takt manches Kampfliedes fühlt er, wie es in ihm zuckt.
"Man möchte sich hinstellen, mitklatschen, mitmarschieren. Das hat man ja noch im Blut, ist tolle Musik. Aber wie gefährlich ist es im gleichen Moment, wo man jetzt doch mal sagen muss: Oh, ich muss meine Hände jetzt doch mal zusammenhalten.
Halt – Moment: unsere Requisiten sind noch nicht da."
Für die nächste Szene brauchen die Schüler FDJ-Blusen. Und die waren im Vorfeld schwieriger zu besorgen, als die DDR-Fahne oder das SED-Abzeichen für den Schuldirektor.
"Die Blusen haben wir teilweise aus Kleiderschränken gespendet bekommen, teilweise mussten wir sie jetzt auch schon bei Ebay ersteigern. Es wird schon schwierig, 25 Jahre später sind die Schränke denn doch schon ein stückweit ausgemistet.
Ok. Seid ihr bitte ruhig dahinter und dann kann´s losgehen."
Karl alias Micha rollt ein Springsteen-Plakat im improvisierten Bandraum aus. Er ist im Stück der verliebte Träumer. Den spielt er mit großer Hingabe und sehr ernsthaft, will er sich doch auf keinen Fall lustig machen über die Generation seiner Eltern. Auch, weil die DDR – 25 Jahre nach ihrem Ende – in seiner Familie noch immer eine große Rolle spielt.
"Naja meine Eltern, Großeltern sind ein bisschen konservativ, aber mein Vater hängt sehr an der DDR und deswegen war es jetzt nicht so schwer, sich da jetzt einzufügen, weil ich andauernd irgendwas dazu erzählt bekomme."
Für Mina, die neben Karl sitzt, ist die DDR am Abendbrottisch kein Thema. Aber mit dem Satz: "Es war ja nicht alles schlecht“, mit dem ist sie vertraut.
"Man hört ja immer so von den älteren Leuten, die in der DDR gelebt haben, dass der Sozialismus für den Menschen an sich besser war als der Kapitalismus. Ich kann das nicht so einschätzen, weil ich kenn nur den Kapitalismus."(lacht)
Zu viel Hitler, zu wenig Honecker
"Ja sagt mal, es wär doch alles viel besser zu ertragen, wenn wir die ollen Kamellen etwas aufpeppen könnten ..."
Atmo: Tom singt "Sag mir, wo du stehst“ (auf die Musik von "Born in the USA“)
Der 18 jährige Tom steht im Ausfallschritt und mit Luftgitarre auf der Bühne, und bringt zusammen, was nie zusammengehörte.
Als er von der Bühne klettert, erzählt er, was ihn am Geschichtsunterricht in der zehnten und zwölften Klasse stört: zu viel Hitler und zu wenig Honecker.
"Ja definitiv, also wir haben bestimmt sechs Wochen an Hitler und seiner ganzen Propaganda gesessen und wir machen jetzt ja gerad DDR und da haben wir jetzt eine Arbeit geschrieben über zwei Wochen. Naja."
Die Band spielt "Bataillion d’amour“, den Klassiker der DDR-Band Silly. Und Luise und Mina warten hinter der Bühne auf ihre letzte Szene. Das Blauhemd mit der aufgehenden Sonne auf dem linken Ärmel hängt über dem Stuhl – eigentlich ein in der Bundesrepublik verbotenes, verfassungsfeindliches Symbol.
"Ich find das ein bisschen übertrieben. Ich mein, dass man das Hakenkreuz verbietet, nun gut, aber jetzt soll mans auch nicht übertreiben. Na gut, man sollte jetzt vielleicht nicht mit nem Riesen DDR-T-Shirt durch die Gegend laufen."
Nach der Generalprobe sitzt der Musiklehrer Markus Riemer am Bühnenrand, während hinter ihm der Projektor summt: "Geschichte ist ein Teil der Realität“ steht in geschwungenen Buchstaben auf der Bühnenwand. "Aber welcher?“ steht klein darunter. Riemer und seine Schüler nähern sich mutig den Lebensläufen ihrer Eltern. Und haben schon allein am Umgang mit einer Requisite - der blauen FDJ-Bluse - gelernt, wie viel Fingerspitzengefühl ihr Projekt erfordert.
"Ist auch deutlich geworden an einer Frage: Na wollen wir nicht sagen: Jeder, der in ner FDJ Bluse kommt, kommt kostenlos rein? Wo man dann sagt: Da müsst ihr aufpassen, das eine ist Theater. Und es gibt eben Leute, denen hat die DDR durchaus für irgendnen Honeckerwitz oder was auch immer das Leben versaut. Da ist die Stelle, wo man nachdenken muss: Wo ist noch Spaß und wo verletz’ ich vielleicht auch Gefühle von anderen Menschen, geschichtlich gesehen."