Bildung

Schulfach Film

Berlinale-Plakate des 64. Internationalen Filmfestivals
Die Berlinale bietet auch Programm für Schüler. © dpa / picture alliance / Ole Spata
Von Susanne Arlt |
18 Zwölftklässler eines Berliner Gymnasiums drücken in diesen Tagen nicht nur die Schulbank. Sie sitzen auch im Kino, für ihren Kurs über Film. Ein Unterrichtsfach, das in Deutschland noch ein Nischendasein fristet.
Berlinale. In wenigen Minuten läuft im Haus der Kulturen der Welt ein schwedischer Jugendfilm an. "Ömheten" feiert in Deutschland Premiere und die 12. Klasse der Königin-Luise-Stiftung feiert mit, denn sie beteiligt sich am Berlinale Schulprojekt. Lehrer Martin Dorr zählt die Karten, verteilt sie an seine Schüler. Obwohl dies ihr letzter Ferientag ist, sind fast alle gekommen. Der 16-jährige Till Hübner wäre normalerweise wohl nicht dabei, aber seit zwei Jahren lernt er an seinem Gymnasium das Fach Film. Nun hoffen er und seine Mitschülerin Lene Loitsch, auf der Berlinale etwas von dem Glamour, der Aufregung und der Filmkunst mitzuerleben:
"Es sind Premieren, die wir uns angucken und ja, ist schon ein besonderes Gefühl, auf jeden Fall."
"Das ist super, dass man außerhalb des Kurses noch einmal Filme sich anschauen kann und die Möglichkeit hat, danach noch einmal drüber zu sprechen. Und wirklich jemanden hat, der erfahren ist und das studiert hat und einem helfen kann, da verschiedene Interpretationssätze zu haben."
Der Film dauert 80 Minuten, besonders spannend war er nicht. Aber darauf kommt es auch nicht an. Till interessiert besonders, wie der Regisseur mit dem Licht in der grauen schwedischen Landschaft spielt. Mit solchen Fragen beschäftigt sich seit zwei Jahren Martin Dorr und versucht seine Schüler dafür zu begeistern.
99 Stunden für einen Kurzfilm
Der Lehrer ist ein Quereinsteiger, hat Kulturwissenschaft und Schauspiel gelernt. In wenigen Minuten beginnt das Unterrichtsfach Film. Das wichtigste Lehrutensil trägt der Lehrer in seinen Armen: einen Laptop.
Er läuft zielstrebig durch einen gläsernen Flur, steigt ein paar Stufen hinab ins Souterrain. In dem Klassenzimmer sitzen bereits drei Schüler, schauen ihren Lehrer erwartungsvoll an. Als ob sie sich auf den Unterricht freuen. Martin Dorr kommt gleich zur Sache:
"Morgen, morgen ... ihr habt gehört, dass es gestern Probleme mit dem Upload gegeben hat?"
Die drei Jugendlichen nicken. Martin Dorr schaut sie ernst an - dann fängt er an zu grinsen. Erleichterung macht sich auf den Gesichtern der drei Schüler breit.
"Ich habe es per Post geschickt."
"Doch? Ich dachte schon wir wären jetzt raus!"
"Nee, nee ich bin dann noch zur Post gelaufen, habe mir den Stempel geben lassen."
Die Schüler nicken erfreut. Also waren der ganze Stress und die ganze Arbeit für den Filmwettbewerb doch nicht umsonst. Gestern war Einsendeschluss. In nur 99 Stunden haben sie einen Kurzfilm gedreht. Das war keine Hausaufgabe, sagt Martin Dorr. Das haben die Schüler freiwillig gemacht. Und bei soviel Engagement hilft er nicht nur beim Film-Equipment weiter. Er kümmert sich auch darum, dass alles fristgerecht beim Veranstalter des Wettbewerbs eingereicht wird:
"Schule ist eigentlich etwas, was sich dadurch auszeichnet, dass man versucht mit möglichst wenig Aufwand, da irgendwie durchzukommen. Es gibt Schule und das Leben. Und wenn man auf einmal Schule und Leben miteinander verbinden kann, dann bekommt Schule einen ganz neuen Stellenwert."
Diese Erfahrung macht Martin Dorr seit gut zwei Jahren. Jeden Montag und Dienstag lehrt der 42-Jährige ein in Deutschland eher ungewöhnliches Fach: Film.
"Über den Filmwettbewerb sprechen wir später ... heute sprechen wir erst einmal über Oliver Schütte und sein Drehbuchstrukturmodell. Ich hoffe mal, ihr habt das alles vorbereitet?"
"Hmm, aha…"
"Wer möchte denn mal anfangen?"
In dem schmalen Klassenzimmer sitzen die 18 Gymnasiasten im Kreis. Martin Dorr lehnt mal lässig an der Wand, sitzt dann wieder im Kreis seiner Schüler. An der Stirnseite des Klassenraums schwebt unter der Decke eine große Leinwand. Links an der Wand hängt ein Plakat von Charly Chaplins berühmten Schwarz-Weiß-Film "Goldrausch", daneben ein Ausdruck mit den Schlagzeilen: "Tonfilm ist Kitsch, Tonfilm ist wirtschaftlicher und geistiger Mord".
"Dieser Moment, wo sich etwas ändert, wie wird der bezeichnet bei Schütte? Anstoß genau! Wie bezeichnet Schütte den Anstoß?"
An diesem Dienstagvormittag geht es um den dramaturgischen Aufbau von Filmen. Als Hausaufgabe sollten sich die Gymnasiasten das Drehbuchstrukturmodell von Oliver Schütte durchlesen - und nun das Gelernte im Unterricht an Filmbeispielen veranschaulichen. Erst hebt jeder brav die Hand, dann kommt es zum Schlagabtausch.
"Ist der Anstoß, wir rauben eine Bank aus?"
Der Kurs bleibt in der Pause sitzen
Martin Dorr unterrichtet neben dem Fach Film auch Deutsch. Bei der Besprechung von Goethes Faust diskutieren meine Schüler in der Regel nicht so leidenschaftlich mit, sagt er und hört ihnen aufmerksam zu. Im Gespräch mit anderen Kollegen macht er meist die Erfahrung: Das Fach Film führt an deutschen Schulen noch ein Nischendasein:
"Die Auffassung Film als unseriös zu bezeichnen gibt es durchaus, solange wie es das Medium Film gibt. Aber mit der gleichen Argumentation, mit der man Film als unseriös bezeichnen könnte, wurde auch früher das Buch als unseriös bezeichnet. Für mich stellt die Aussage Film als unseriös zu bezeichnen, Ausdruck einer kulturpessimistischen Grundhaltung."
Neben den klassischen Themen wie der Filmanalyse realisieren die Schüler der 12. Klasse aber auch Filmprojekte. So wie das 99-Stunden-Filmprojekt, für das sich die Schüler allerdings freiwillig in ihrer Freizeit engagiert haben:
"Und ich würde jetzt aber noch ein ganz klitzekleinen Moment über den 99-Firefilm-Award reden ... ich wollte fragen ob wir das Ergebnis sehen dürfen…"
"Jaaa"
"Auf jeden Fall! Ich glaube, heute schaffen wir das nicht mehr" ...
"Ohhh, können wir nicht kurz in der Pause reinschauen?"
"Okay, in der Pause dürft ihr reinschauen."
Einhelliges Nicken. Martin Dorr schaut entzückt. In seinen Deutschkursen stehen die Schüler direkt nach dem Gong auf. Am Ende der Stunde präsentieren also Lene Loitsch und Jonathan Holstein mit ihren beiden Filmcrews ihre Kurzfilme. Die Pause hat da längst begonnen.
"Was ich besonders gut an diesem Kurs finde, dass man auch lernt, mit seinen Mitschülern eine Idee zu entwickeln, die dann auf den Punkt zu bringen und auszuarbeiten ... Und ich denke mir schon am Anfang, ich habe keine Lust auf Teamarbeit, ich bin nicht der Teammensch und hier nach diesem 99-Stunden-Film habe ich wirklich gemerkt, wir waren eine gute Gruppe und Teamarbeit das klappt wirklich, wenn alle das nicht wegen der Note machen, sondern wegen dem Spaß an der Sache."
Mit dem Berlinale-Schulprojekt will das Festival Schüler für den Film begeistern. Für den Film-Unterricht am Gymnasium der Königin-Luise-Stiftung kommt so ein Angebot gerade recht.