Bildungsdebatte

Schulleistungen spitze – aber mit den falschen Methoden?

Unterricht
Unterricht an einer Berliner Schule. © mago/Gerhard Leber
Von Michael Felten |
Überdurchschnittliche Abschlüsse, ein gutes Lernklima, Zuspruch von Schülern und Eltern. Eine Schulerfolgsgeschichte – sollte man meinen. Nicht wenn die Ergebnisse von fehlgeleiteten Schulinspektoren bewertet werden – wie jüngst an einer Berliner Schule, klagt der Pädagoge Michael Felten.
Eigentlich kein schlechter Gedanke: Nicht nur die Schüler brauchen ab und zu einen Test – auch Schulen sollten ihre Arbeit hin und wieder von Fachleuten begutachten lassen. Die Hoffnung ist: Aus solchem Bildungsmonitoring könnten Anregungen zur Niveausteigerung für die Anstalten erwachsen. Deshalb führen fast alle Bundesländer seit einigen Jahren regelmäßig Qualitätsanalysen durch: Eine Handvoll Inspektoren kommt für einige Tage ins Haus, schaut in alle Unterrichte und Schulakten hinein und gibt abschließend Weiterbildungstipps.

Bildungsprozesse sind keine Brötchenbackstraßen

Allerdings hat die Sache gleich mehrere Haken: Zunächst einmal sind Bildungsprozesse keine Brötchenbackstraßen – zwischen Lehrern und Schülern lässt sich nicht alles messen. Und in den 20 Beobachtungsminuten bleibt vieles ungesehen. Schulen präsentieren an den Inspektionstagen nicht selten Showstunden – und kehren danach zum mehr oder weniger guten Alltag zurück. Zudem erhält der einzelne Lehrer keinerlei Rückmeldung zu seiner persönlichen Arbeitsweise, nur die Schule als Ganzes erfährt Durchschnittswerte – etwa zu Organisation, Unterrichtsqualität und Lernklima.
Besonders tückisch ist eine Frage, die nicht zuletzt Lenin beschäftigt hat: "Wer kontrolliert die Kontrolleure?" Man würde ja erwarten, dass die angelegten Beobachtungskriterien dem aktuellen Stand der Unterrichtsforschung entsprechen – und nicht aus der antipädagogischen Rumpelkammer stammen. In einigen Bundesländern hat sich aber gezeigt, dass Schulinspektoren das sogenannt selbstgesteuerte Lernen der Schüler vergöttern. Dabei sind gerade schwächere Schüler mit eigenverantwortlichem Arbeiten maßlos überfordert.

Gute Ergebnisse – schlechte Bewertung?

Es konnte jedenfalls passieren, dass Schulen, an denen ein tolles Lernklima herrscht und die gute Leistungsergebnisse erzielen, amtlich bescheinigt wurde: Ist ja alles schön und gut – aber leider sind eure Methoden verkehrt. So zuletzt geschehen an der Berliner Bergius-Schule: Vor Jahren noch wegen viel Gewalt kurz vor der Schließung, wird diese Sekundarschule heute stark nachgefragt. Ein entschlossener Schulleiter und ein hochengagiertes Kollegium haben bewirkt, dass die Schüler heute regelmäßig zum Unterricht kommen und überdurchschnittliche hohe Abschlüsse erzielen.
Aber die städtischen Inspektoren befanden: Zu viel Frontalunterricht, zu wenig selbständiges Lernen, antiquierte Betonung von Fachwissen. Dabei scheitern doch Lehrlinge wie Erstsemester zunehmend an ihren Wissenslücken. Und Forscher wie Praktiker kennen kaum eine Lernmethode, die ähnlich effektiv ist, wie abwechslungsreicher, differenzierender und lehrergelenkter Klassenunterricht.
Der Bergius-Schule ist also zum Verhängnis geworden, dass sie den Mut hatte, den Inspektoren keine Potemkinschen Dörfer – äh Lernszenen – zu zeigen, sondern einen Unterricht, der mit realen Schülern tagtäglich gut funktioniert. Deshalb sollen Lehrerschaft und Leitung nun nachsitzen – sprich: in senatskonformer Methodik fortgebildet werden.

Maßgeblich muss sein, wie gut Schüler lernen

Das könnte man als Bürokratieposse abtun – aber es geht um mehr. Hier pfuscht die Politik der Pädagogik ins Handwerk, und derlei geschieht nicht nur in Berlin. Kritik hört man indes kaum: Der gemeine Lehrer lässt vieles murrend über sich ergehen, Schulleiter legen sich ungern mit ihren Vorgesetzten an, Wissenschaftler mögen ihren Beratungsruf nicht gefährden.
Damit kein Missverständnis entsteht: Externes Feedback an Schulen ist keineswegs prinzipiell des Teufels, es kann wichtige Korrekturen und Impulse liefern. Aber dabei müsste – Beispiel Hamburg – maßgeblich sein, wie gut die Schüler nun tatsächlich gelernt haben. Wo Schulinspektion aber ideologisch einengt und unsinnig straft, da gehört sie eigentlich abgeschafft.
Dann doch lieber jedem Lehrer mehr Zeit einräumen – fürs verbindliche kollegiale Hospitieren und Reflektieren. In Japan etwa ist dergleichen selbstverständlich. Nur wohin mit allzu ideologischen Inspektoren? Vielleicht einfach wieder in die Produktion schicken, zum Unterrichten? Dort könnten sie dem unglaublichen Lehrermangel ein wenig abhelfen, diesem einzigartigen Fauxpas unserer Bildungsaufsicht.

Michael Felten, geboren 1951, arbeitet seit über 30 Jahren als Gymnasiallehrer für Mathematik und Kunst in Köln. Er ist Sachbuchautor, Dozent in der Lehrerausbildung und berät Schulen bei ihrer Entwicklung. Ihm geht es darum, den Praxiserfahrungen der Lehrer und den Befunden der Unterrichtsforschung mehr Gehör in der Bildungsdebatte zu verschaffen. Er ist Mitbegründer der "Initiative Unterrichtsqualität" (IUQ).

Michael Felten
© privat
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