Bildungsforscher Wolfgang Edelstein

"Eine Odenwaldschule fehlt uns"

Der Bildungsforscher Wolfgang Edelstein
Der Bildungsforscher Wolfgang Edelstein © David Ausserhofer
Wolfgang Edelstein im Gespräch mit Katrin Heise |
Als jüdisches Kind wurde Wolfgang Edelstein an einer Freiburger Grundschule ausgegrenzt und verprügelt, diese Erfahrung prägte ihn. Jahrzehntelang setzte er sich deshalb für eine Erziehung zu demokratischer Teilhabe ein - unter anderem an der Odenwaldschule.
"Demokratie fällt nicht vom Himmel", davon ist Wolfgang Edelstein überzeugt. Der frühere Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung ist ein leidenschaftlicher Verfechter der Demokratiepädagogik. Sein Engagement wurzelt in seiner traumatischen Erfahrung während der NS-Zeit: Als jüdisches Kind wurde er an seiner Grundschule in Freiburg ausgegrenzt und verprügelt. "Der Jud war´s", das klingt bis heute in ihm nach.
Von Anfang an kritisch gegenüber Gerold Becker eingestellt
Die Familie emigrierte nach Island, wo Edelstein einem Schulsystem begegnete, in dem Kinder möglichst lange gemeinsam lernen. Zwischen 1949 und 1963 war er zunächst Lehrer, später Studienleiter an der Odenwaldschule in Hessen.
"Die Odenwaldschule muss man sich denken, vollkommen anders als die jetzt unglücklich verlaufende Geschichte der 70er-, 80er-Jahre, in denen Gerold Becker die Schule zerstört hat", sagt Edelstein. "Es war eine außerordentlich aktive Schulreformschule, wahrscheinlich sogar die am stärksten reformorientierte Schule im Lande."
Er habe von Anfang an große Vorbehalte gegen Gerold Becker gehabt, betont Edelstein. Becker sei in "hohen Maße egozentrisch, narzisstisch orientiert und problematisch" gewesen.
"Aber er war ungeheuer sozusagen attraktiv für viele Menschen: Er lächelte viel, er war freundlich, er hat also viele Menschen, die er getroffen hat, von sich überzeugt. Und deswegen konnte ich meine Vorbehalte gegen ihn nicht so deutlich werden lassen oder durchsetzen anderen gegenüber."
Ein Freund der Odenwaldschule - trotz allem
Er habe sich viele Gedanken gemacht, wie es unter Gerold Becker an der Odenwaldschule zu den Missbrauchsfällen habe kommen können, sagt Edelstein.
"Was ich gesehen habe, ist, dass ziemlich viele Lehrer gegangen sind und er selber sicher ziemlich viele seinesgleichen rekrutiert hat, so dass auf der einen Seite natürlich sozialpsychologisch gesehen so eine Art Gruppenloyalität entstanden ist, auf der anderen Seite von denen, die Einsicht in die Sache hatten, auch Angst."
Trotz allem wünscht sich Edelstein, dass die Odenwaldschule nicht zerstört wird:
"Eine Odenwaldschule fehlt uns, eine Odenwaldschule, die eine Schulreform weiterentwickelt über PISA hinaus, und sich nicht von PISA ins Bockshorn jagen lässt und nur auf Leistung geht. Eine Schule, die Leben und Lernen in der Demokratie wirklich zur Selbstverständlichkeit macht."
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