Mit Händen und Füßen
Wie erleben Jugendliche den Betriebsalltag im Nachbarland? Ein deutsch-französisches Austauschprogramm bringt Auszubildende beider Länder zusammen. Johannes Kulms hat in Düsseldorf angehende Konditoren, Bäcker und Fleischer getroffen.
Es ist noch dunkel, als die Lieferung mit dem halben Dutzend Schweinehälften im Düsseldorfer Stadtbezirk Pempelfort eintrifft. Auf den Schultern trägt der Lieferant die Hälften einzeln in die Metzgerei Brosi - jede von ihnen wiegt 50 Kilo. Hinten im Laden steht ein eher etwas hagerer Jugendlicher vor einem Metallgestell.
"Ich hänge hier die Würste auf, die dann in die Räucherkammer kommen. Ich kenne die bisher nur aus Frankreich, hier in Deutschland habe ich die noch nicht probiert."
Was ist der Unterschied zwischen deutschen und französischen Würsten? Das ist eine der Fragen, wegen der Clément Levêque aus Frankreich nach Düsseldorf gekommen ist.
"Ich glaube, die Füllung der Wurst ist eine andere. Ich glaube, die Deutschen sind besser bei den Würsten und die Franzosen bei den Blutwürsten, den Pasteten, den rillettes."
Die Zukunft des Lernens
Clément ist 16 Jahre alt und macht in Tours eine Ausbildung zum Metzger. Für drei Wochen ist er nun in Düsseldorf mit einem deutsch-französischem Austauschprogramm für Azubis. Zwei Wochen davon verbringt er in der Metzgerei Brosi: einem deutschen Handwerksbetrieb mit fast 50-jähriger Tradition. Jürgen Brosi, der Eigentümer, ist gerade dabei, Fleisch klein zuschneiden.
"Sie sind mehr zum Lernen hier - zum Gucken und zum Lernen! Ja, mitarbeiten ist ein bisschen hochgegriffen. Sie dürfen nicht vergessen: Das sind ja auch noch Lehrlinge, ja?"
Im letzten Jahr war einer von Brosis Gesellen mit dem Austauschprogramm in Tours. Dieses Jahr hat der Betrieb keinen deutschen Azubi geschickt, aber kurzfristig Clément aufgenommen. In Brosis Betrieb bekommt Clément auch einen Eindruck vom dualen Ausbildungssystem in Deutschland, das in vielen europäischen Krisenstaaten als Modell gehandelt wird.
"Ich weiß nicht viel über das deutsche Ausbildungssystem."
In Frankreich beträgt die Jugendarbeitslosigkeit fast 25 Prozent. In Deutschland sind es etwa acht Prozent. Doch Angst vor Arbeitslosigkeit sei weder für ihn noch seine Freunde ein Thema, sagt Clément.
"Wir sprechen nicht so viel über die Zukunft, wir sind jung und derzeit noch in der Ausbildung. Ich denke, ich werde schnell was finden, es gibt viel Arbeit im Metzgereibereich."
Seit 1980 haben 90.000 Azubis an dem Programm teilgenommen
Auch die EU bietet Austauschprogramme für Azubis an. Diese sind aber noch nicht so gut und so lange erprobt wie die deutsch-französische Begegnungen. Das Austauschprogramm für berufliche Bildung gibt es seit 1980. Seitdem haben über 90.000 Azubis aus beiden Ländern teilgenommen. Allein im letzten Jahr waren es rund 2.600 Jugendliche aus 50 verschiedenen Berufsgruppen.
Die Handwerkskammer Düsseldorf und ihrer Partnerkammer in Tours zum Beispiel kooperieren und laden nicht nur angehende Metzger ein, sondern auch Bäcker und Konditoren. Viele der Jugendlichen haben ihre Probleme mit der Sprache des Nachbarlandes - auch Clément. Sein Chef Jürgen Brosi sieht darin aber kein Problem.
"Ja, das ist natürlich das Interessante an der ganzen Geschichte. Aber bis… es klappt immer, es klappt immer! Also, auch mal mit Händen und Füßen oder irgendwas, aber es klappt immer!"
Und so ist Clément an diesem Morgen oft schüchterner Beobachter. Immer wieder versuchen seine deutschen Kollegen ihn einzubinden.
"Das ist Griebenschmalz. Müssen wir mal probieren! Wollen wir mal probieren? Musst mal probieren!"
Cléments deutscher Kollege Uli verschwindet kurz. Dann kommt er mit zwei Dosen in der Hand zurück.
Uli: "Weißt du, was das ist? Äpfel, Zwiebel und Gewürz."
Clément: "Danke."
Uli: "Probier mal."
Clément: "Mhmm."
Theorie und Praxis
Früh aufgestanden sind an diesem Morgen auch Lilian und Maxence. Beide machen eine Ausbildung zum Konditor und kennen sich bereits. Lilian war im Herbst in Tours und hat bei Maxences Familie gewohnt. Nun ist der 16-jährige Maxence zum Gegen-Besuch in Deutschland in der Konditorei „Pure Freude" in der Düsseldorfer Carlstadt. Maxence gefällt es, wie seine deutschen Azubi-Kollegen lernen:
"Sie haben nicht so viel Unterricht wie wir, es ist vor allem Praxis und der Umgang mit den Geräten. Deutsche Azubis verbringen mehr Zeit im Betrieb, das ist schon mal besser zum Lernen."
Ideal für Maxence, der sich als eher „praktisch veranlagt" bezeichnet. Er hat den Eindruck, dass die Ausbildung zum Handwerker in Deutschland einen höheren Stellenwert hat als in seinem Heimatland.
"In Frankreich gilt das Bild: Wer eine Lehre macht, hat entweder keinen Bock mehr auf Schule oder hat sie verhauen - und weiß nicht, was er sonst machen soll."
Deutsch-französische Schokodeko
Maxences Austauschpartnerin Lilian ist 24 Jahre alt, eine selbstbewusste junge Frau. An ihren Austausch in Frankreich denkt sie gerne zurück. Und sie hat einen ganz anderen Eindruck vom französischen Ausbildungssystem als ihr Austauschpartner. Besonders die spezialisierten Schulen mit kompetenten Lehren haben ihr gefallen.
"Weil auf meiner Schule sind meine Lehrer, die haben keine Ausbildung dazu gemacht. Das sind quasi Hausfrauen, die uns dann, wenn wir praktischen Unterricht haben und wir etwas kritisieren und sagen, wie geht das denn, können Sie mir das zeigen und dann sagen, nee, kann ich nicht. Und da war das so, der Meister hat sich wirklich hingestellt und Sachen gezeigt, da ist mir echt die Kinnlade offen stehen geblieben, der war so zackig und hatte es so drauf!"
Und so ist Lilian mit vielen neuen Eindrücken aus Frankreich zurückgekommen, die sie nun auch in ihrer Ausbildung anwenden kann.
"In der deutschen Konditorei streicht man Sahnetorten ein. Und da macht man wirklich, weiß ich nicht, ganz filigrane Schokodeko oder so was. Dass man auch mal sieht, aha, das ist auch möglich, das kann ich auch. Dann nehme ich doch das auch für meine Prüfung, weil ich finde das total schön und das kannte ich gar nicht!"
Nicht nur die Azubis profitieren vom Austausch, sondern am Ende auch deren Kunden. So könnte sich die „filigrane Schokodeko" schon bald auf den Torten der Konditorei „Pure Freude" finden, in der Lilian lernt.