Bildungsurlaub

Die unterschätzte Mini-Auszeit

03:37 Minuten
Das Wort Bildungsurlaub steht in einem Kalender.
Immer noch nehmen nur wenige Menschen ihren Anspruch auf Bildungsurlaub wahr. © picture alliance / Andrea Warnecke
Ein Standpunkt von Marius Hasenheit |
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Viele können Bildungsurlaub beantragen, aber nur sehr wenige nutzen ihn. Dabei haben die Seminare einiges zu bieten, sagt Zukunftsforscher Marius Hasenheit. Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen tauschen sich aus und lernen voneinander.
In unserer individualisierten Zeit sucht sich penibel jedes Milieu das "passende" Hobby aus, während Massenorganisationen, wie Kirchen oder Gewerkschaften an Attraktivität verlieren. Nun ist bei weitem "früher" – wann auch immer das war – nicht alles besser gewesen: Die Kirchenrhetorik oft gestrig bis lebensfeindlich, die soziale Kontrolle in den Vereinen erdrückend, und auch gingen manche in den Rotary-Club und andere in den Angelverein. Dennoch scheinen sie heute zu fehlen, die Orte, an denen sich Menschen unterschiedlicher Lebensrealitäten treffen und austauschen.
Aufwändig werden nun diese Orte aufgebaut – und sei es nur für einen kurzen Moment: Die Bundeszentrale für politische Bildung zum Beispiel fördert zahlreiche, entsprechende Projekte in dem Format "Miteinander reden". Die Wochenzeitung Die Zeit lässt in ihrem Projekt "Deutschland spricht" Menschen unterschiedlicher politischer Meinungen aufeinanderprallen.

Miteinander ins Gespräch kommen

Doch es gibt einen Ort, an dem sich seit Jahrzehnten unterschiedlichste Menschen treffen und austauschen: im Bildungsurlaub. Als Co-Seminarleiter zur Energiewende am DGB-Bildungswerk wurde ich Zeuge, wie Fach- und Hilfsarbeiter, promovierte Pressesprecher und Metallarbeiter miteinander ins Gespräch kommen, voneinander lernen und ihren Seminarleitenden etwas lehren können. Der Kohleausstieg oder die Elektromobilität betraf viele der Teilnehmenden direkt im Betrieb. Die Stimmung war aufgeladen. Die ersten Vorträge und vor allem die Exkursionen in den Tagebau und die Gespräche mit Umweltbewegten brachten eine Menge Konfliktpotenzial mit sich.
Dennoch geschah etwas, was vielerorts nur gefordert wurde: Man begegnete sich in den Diskussionen mit Respekt und Geduld. Das Wissen über die Energiewende war sehr unterschiedlich, doch kaum jemand wurde ungeduldig oder fühlte sich überfordert. Der Großteil wollte voneinander lernen und hörte bei Meinungsverschiedenheiten zumindest zu. Die Frontlinien verliefen dabei alles andere als gerade: Manche der Metallarbeiter haben schon längst eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und belehrten wiederum andere darüber, dass Hundertausende im Bereich der erneuerbaren Energien arbeiten, während es in der Braunkohleindustrie nur 20.000 sind.

Lange Tradition, zu wenig wahrgenommen

Deutschland verpflichtete sich bereits 1974 in einem Übereinkommen mit der Internationalen Arbeitsorganisation, einen bezahlten Bildungsurlaub einzuführen. Die entsprechenden Umsetzungen variieren zwischen den Bundesländern. In der Regel können fünf Tage jährlich für ein Seminar aufgebracht werden, dass als Bildungsurlaub anerkannt ist. Ein Excel- oder Sprachkurs mag beim Arbeitgeber vielleicht besser ankommen, es kann aber auch etwas Fachfremdes sein.
Oft ist es gar nicht die behandelte Thematik selber, sondern es sind die Nebeneffekte der Seminare, die zu Selbstbefähigung führen: Da sind diejenigen, die nie oder nur selten einen Vortrag halten und in der Gruppenarbeit Selbstbewusstsein entwickeln, da ist der Praxischeck verschiedenster Ideen, da kommen plötzlich Vorschläge von Menschen, die sich deren Umsetzung im Betrieb vorstellen können. Da sind Eindrücke verschiedener Lebensrealitäten: von dem unverhofften Glück, einen lang ersehnten Job zu bekommen bis hin zum Vorhaben, sich gesünder zu ernähren, aber in der begrenzten Zeit der Mittagspause am langen Weg zur Kantine und der noch längeren Schlage zu scheitern. Und im besten Fall wird sogar offen und ehrlich über Gehälter, Chancen und Mitbestimmung geredet. Hier kommen sie alle zusammen und sprechen miteinander.
Allerdings: Weniger als zwei Prozent der Arbeitnehmenden nehmen ihr Recht auf einen Bildungsurlaub wahr. Viele Träger wiederum scheuen die Kosten und bauen das Seminarangebot ab. Wer Orte des gesellschaftlichen Austauschs fördern will, muss nicht unbedingt neue Formate entwickeln, es würde reichen, diejenigen, die sich als wirkungsvoll erweisen, so zu erhalten.

Marius Hasenheit ist Mitherausgeber des transform Magazins, Mitarbeiter des Think Tanks Ecologic Institut und Mitglied der genossenschaftlichen Unternehmensberatung sustainable natives eG.

© Nils Schwarz
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