Bile, Srour, Herz: "Schamlos"

Freiheit statt Scham

05:39 Minuten
Im Vordergrund das Buchcover des Buchs "Schamlos", im Hintergrund eine junge Frau mit blauen Kopftuch, die am Wasser sitzt und auf das Meer schaut.
"Schamlos" erzählt den Alltag junger Muslima in Norwegen, die ein selbstbestimmtes Leben führen wollen. © Gabriel Verlag / Unsplash / Ifrah Akhter
Von Kim Kindermann · 14.05.2019
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Junge Muslima sind nicht selten innerlich zerrissen: Die Familie will sie in alten Rollenbildern gefangen halten - und gleichzeitig gibt es diese große Sehnsucht nach Freiheit. Über einen täglichen Kampf berichten drei junge Frauen in "Schamlos".
Dieses Buch rockt! Drei junge Frauen – Muslima, Bloggerinnen, Feministinnen – erzählen von der ersten bis zur letzten Seite aufrüttelnd ehrlich von ihrem Alltag in Norwegen und davon, wie schwierig es ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, wenn die kulturelle Identität der Familien und die des westlichen Landes aufeinanderprallen. Wenn die Erwartungen der Eltern, die Festlegung, was eine ehrbare Muslima alles erfüllen muss, und die Sehnsucht nach einem freien Leben als junger Mensch in einem demokratischen Land in einer Art Doppelleben enden.

Jede hat ein Recht auf Freiheit

Amina Bile, Sofia Nesrine Srour und Nancy Herz sagen Scham und negativer sozialer Kontrolle den Kampf an! Denn jede Muslima habe ein Recht darauf, frei zu leben und zu entscheiden, so ihr starkes Plädoyer. Die Schamkultur, mit denen junge Mädchen in muslimischen Familien groß werden, diene vor allem dem Kleinhalten von Frauen.
Die Begriffe "Ehre" und "Schande" würden systematisch missbraucht, um Mädchen und Frauen zu unterdrücken. "Schamlosigkeit" sei ein grober Vorwurf, "bei dem sowohl deine persönliche wie auch die Ehre der gesamten Familie auf dem Spiel steht". Wer schamlos ist, mit dem stimme etwas nicht. Falsch, sagen die drei und fordern, die Scham abzulegen – solange sie dem Eingrenzen der Freiheit dient.

Jungs dürfen alles, Mädchen nicht

In Gesprächen, kleinen Texten und Tagebuchnotizen nehmen sie junge Menschen ab zwölf Jahren mit auf ihren Weg. Eindringlich erzählen sie, wie sie selbst aufbegehrt haben (und es noch immer tun) und von anderen Mädchen, die soziale Kontrolle am eigenen Leib erfahren haben: Wie es ist, nicht mit zum Schwimmunterricht gehen zu dürfen; wegen des Hidschab beleidigt und angegriffen zu werden oder weil sie in einen Nicht-Muslim verliebt sind, in Discos gehen oder sich schminken. Und das alles gilt nur für Mädchen: "Jungs nehmen, Mädchen verlieren, Jungs werden gelobt, Mädchen niedergemacht."
Immer mehr versteht man so, wie dieses enge Geflecht aus Regeln, Überwachung, Klatsch und Gerüchten funktioniert. Wie die Mädchen immer enger eingewoben werden - von ihren Familien, ihren Freunden, aber auch von Fremden.

Ein absolutes Lese-Muss

Ja, auch davon erzählt dieses Buch. Wie die oftmals vermeintlich liberale Gesellschaft auf islamische Mädchen reagiert, die ein Kopftuch tragen (oder auch nicht) und wie deren Unwissenheit, Vorurteile und vorgefasste Meinungen den Mädchen noch mehr Druck macht.
"Schamlos" sensibilisiert rundum und ist alleine deshalb ein Muss für alle, nicht nur für Mädchen. Auch wenn es in erster Linie für sie geschrieben wurde. Aber eigentlich geht das alle an, die in einer freien Welt leben wollen. Amina, Sofia und Nancy: Danke, dass ihr so grandios schamlos seid!

"Schamlos" von Amina Bile, Sofia Nesrine Srour und Nancy Herz
Mit Illustrationen von Esra Roise, übersetzt von Maike Dörries
Gabriel Verlag, Berlin 2019
168 Seiten, 15 Euro

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