Der originelle Querdenker
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Weil seine Musik so zugänglich ist wie nie zuvor, hat Bill Callahan seine neue Platte einfach "Golden Record" genannt. Der Folk-Musiker geht – mit einem Augenzwinkern – davon aus, dass er dafür eine goldene Schallplatte bekommt. Hat er Recht?
Bill Callahan ist der Intellektuelle unter den Folkmusikern. 30 Jahre dauert seine Karriere schon. Mehr als 20 Alben sind bis jetzt entstanden. Zunächst brachte der Singer-Songwriter seine Platten als "Smog" raus, ab 1991 dann unter seinem eigenen Namen. Von Anfang an stand Callahan in dem Ruf, Texte von poetischer Qualität zu verfassen und alles andere als konventionell bei den Songarrangements zu verfahren.
Erst im vergangenen Jahr erschien nach fünf Jahren Unterbrechung das Doppelalbum "Shepherd in a Sheepskin Vest". Von den Kritikern wurde das Album hochgelobt. Nun veröffentlicht Callahan kaum ein Jahr später die nächste Platte "Golden Record". Doch wie ein Schnellschuss erscheint, ist keiner.
Poetisch grüblerische Songtexte
"Diese Songs sind die zugänglichsten, die ich seit langer Zeit geschrieben habe. Deshalb denke ich, dass es auf eine goldene Schallplatte hinausläuft" – so beschreibt Callahan den Titel des Albums.
Seinen lakonischen Witz hat Bill Callahan nicht verlernt. "Golden Record" heißt das neue Werk des 54-Jährigen, dem es in seiner Arbeit nie um Kommerzialität ging. Lieber schilderte er seine Weltsicht in poetisch grüblerischen Songtexten oder veröffentlichte – wie es unzeitgemäßer nicht sein konnte – 2010 einen Roman in Briefform.
So jemandem nennt man einen "Sturkopf". Einen, der es nicht nötig hat, sich anzubiedern. Callahan hatte damit schließlich auch jenseits der Indie-Nische Erfolg. Er möchte sein Publikum fordern und schwimmt damit gegen den Strom:
"Ich bin fasziniert von Dingen, die bei anderen Leuten beliebt sind. Ich verstehe das oft nicht oder empfinde es als "cheesy" und schlechtgemacht. Ich weiß nicht, ob der Fehler bei mir oder bei den Leuten liegt, die das mögen. Es ist halb eins in der Nacht, Du schaltest den Fernseher ein und die Leute wollen anscheinend nichts, was sie fordert. Jedenfalls denken die Programmmacher das anscheinend."
Callahan mit "Protest Song"
Genau darum geht es zum Beispiel in dem Stück "Protest Song" auf Callahans neuem Album. Ein Mann schaltet den Fernseher ein und möchte vor Wut über den dargebotenen Mist den Bildschirm zertrümmern.
Callahan nennt den Song humorvoll "seine Rachephantasie". Wie immer sind auch auf diesem Album die Sujets für das Genre Folk ungewöhnlich. Da gibt es etwa einen Hochzeitslimousinen-Chauffeur, der still im Rückspiegel die Paare auf der Rückbank beobachtet. Oder einen Mann, der bei einem Autounfall erste Hilfe von einem älteren Ehepaar bekommt, das selbst seinen Sohn verloren hat.
Callahans Charaktere sind zutiefst menschlich. Outsider und Normalos, die von den Absurditäten und Eigenheiten des Alltags aus großer Distanz erzählen und damit gleichzeitig einen anderen, intimeren, Einblick in die USA der Gegenwart gewähren.
Callahan erzählt die Songgeschichten beiläufig und nüchtern - ohne den geringsten Anflug von Pathos. Gerade seine Gelassenheit berührt. Das Album ist sorgfältig instrumentiert. Neben Gitarre, Schlagzeug und Bass hört man manchmal sparsam eingesetzt die Trompete oder ein Keyboard, alles gut gespielt und zurückgenommen. Die Musik steht vollkommen im Dienst der Geschichte – noch mehr als sie das auf dem Vorgängeralbum " Shepherd in a Sheepskin Vest" tat.
Ein Album, für das man sich Zeit nehmen muss
"Ich habe das Album aufgenommen, bevor ich anfing, auf Tour zu gehen für ‚Shepherd in a Sheepskin Vest‘. Einige der Songs für Golden Record spuckten mir schon seit acht Jahren im Kopf herum. Ich stand ungefähr zwölf Wochen vor der Shepherd-Tour und habe mir jede Woche einen Song vorgenommen, den ich fertigstellen wollte. Irgendwie habe ich es geschafft. Innerhalb von einer Woche habe ich die Platte dann aufgenommen und gemixt.", sagt Callahan.
"Golden Record" ist ein Album, für das man sich Zeit nehmen muss. Callahans Geschichten zuzuhören, bedeutet Entschleunigung und hat etwas Tröstliches - er zeigt, dass es jenseits der Aufregung, der Empörung und der inneren Zerrissenheit noch ein anderes Amerika voller Wärme und Menschlichkeit gibt. Was Callahan als Singer-Songwriter auszeichnet, ist vor allem, dass er neue Geschichten erzählt.
Das typische Klischee des Folksängers, der über sein gebrochenes Herz weint und singt, bemüht er nicht. Das macht ihn in der aktuellen Folk- und Americana-Szene ziemlich einzigartig. Damit ist dieser Unzeitgemäße auf dem besten Weg selbst ein Klassiker zu werden, wie seine Vorbilder Johnny Cash und Leonard Cohen.