Bill François: "Die Eloquenz der Sardine"
Aus dem Französischen von Frank Sievers
C. H. Beck, München 2021
240 Seiten, 22 Euro
Über die Liebe zum Meer
05:42 Minuten
Seit er als Kind silbrig glitzernde Sardinen beobachtete, beschäftigt sich der französische Meeresforscher Bill François mit der See. In seinem neuen Buch berichtet er mit Bewunderung und Besorgnis vom Leben in den Ozeanen.
Wurde der Mensch zum Menschen, weil er ins Wasser gegangen ist? Einige Anthropologen behaupten das. Auch Bill François findet das nicht abwegig. Der aufrechte Gang entstand, weil unsere Vorfahren im Wasser nach Nahrung suchten.
Beim Tauchen lernten sie, die Atmung zu kontrollieren, die Haut veränderte sich und besitzt seither nur wenig Haare, aber Fettdrüsen. Die Atemkontrolle bewirkte, dass der Kehlkopf absank und sich die Stimmbänder herausbildeten.
Wunderwesen Fisch
Trotzdem ist der Mensch kein Meeresbewohner, denn seine Sinnesorgane sind nicht für das Leben im Wasser geeignet. Fische können unter Wasser noch Nuancen im Geruch unterscheiden. Sie riechen die Angst eines Artgenossen und werden so vor Gefahren gewarnt. Sie können Geräusche ihren Artgenossen zuordnen und sehen auch in Tiefen jenseits von 400 Metern, wo für Menschen nur undurchdringliche Schwärze herrscht.
Mit leichter Hand vermittelt François Wissen. Er berichtet von Plattfischen wie der Seezunge oder Scholle, die wie "normal" geformte Fische auf die Welt kommen und bei denen ein Auge im Laufe des Wachstums langsam auf die andere Seite wandert, bis beide schließlich auf einer Körperseite liegen und der Fisch nur noch platt im Sediment gründelt.
Seine Sehnsucht zum Meer ist auf jeder Buchseite spürbar. Das betrifft auch seine Bewunderung für die Vielfalt von Fischen, Schalen- und Krustentieren und deren Lebensweisen.
Unbekannte Welt des Wassers
Kraken, die voneinander lernen, aber ihr Wissen nicht an die nächste Generation weitergeben können. Denn das Männchen verlässt nach der Befruchtung der Eier das Weibchen, welches stirbt, bevor die Larven geschlüpft sind.
Buckelwale unterrichten hingegen ihre Artgenossen. Als im Golf vom Maine die Heringe wegen der Überfischung verschwanden, begannen Buckelwale dort Sandaale zu jagen. Sie wühlten mit ihren Schwänzen die Wasseroberfläche auf und brachten die Aale dazu, tiefer zu tauchen, wo die Wale sie fressen konnten. Die Wale zeigten ihrem Nachwuchs diese Jagdtechnik, aber auch Artgenossen aus anderen Regionen.
Die Welt des Wassers ist weitgehend unbekannt. Von den etwa 2,2 Millionen Arten im Meer hat der Mensch bislang etwa zehn Prozent erfasst – und einige zum Aussterben gebracht.
Gelungene Natur- und Kulturgeschichte
François oft unterhaltsames Buch wird stellenweise sehr ernst: Wenn er von der Schleppnetzfischerei berichtet, der der Kabeljau oder auch der Rote Thunfisch fast zum Opfer gefallen sind.
Eindringlich mischt François die Naturgeschichte der Meeresbewohner und die Kulturgeschichte des Menschen mit ihnen: So entsteht eine unterhaltsame und ernste Reise in Wasserwelten. Eine Aufforderung, das Leben im Meer wahrzunehmen und seine Schönheit und Einzigartigkeit zu schätzen und zu erhalten.