"Billige Abspeisung"

Monika Tschapek-Güntner im Gespräch mit Nana Brink |
Der Verein ehemaliger Heimkinder will gegen die Ergebnisse des Runden Tisches Heimerziehung klagen. Die Vereinsvorsitzende Monika Tschapek-Güntner nannte die vorgeschlagene Höhe der Entschädigungen für die Opfer von Missbrauch eine "Demütigung".
Nana Brink: Es ist eines der dunkelsten pädagogischen Kapitel der Bundesrepublik, der Missbrauch von Heimkindern. Noch bis Mitte der 70er-Jahre wurden unehelich geborene oder angeblich schwer erziehbare Kinder in Heime abgeschoben. Seit Februar 2009 nun versucht ein Runder Tisch unter der Leitung der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, dieses dunkle Kapitel aufzuarbeiten. Heute stellt das Gremium seinen Abschlussbericht vor. Claudia van Laak berichtet.
Ich spreche jetzt mit Monika Tschapek-Güntner, Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder. Einen schönen guten Morgen, Frau Tschapek-Güntner!

Monika Tschapek-Güntner: Schönen guten Morgen!

Brink: Sie sind gegen die Lösung der Bundesstiftung zur Entschädigung für frühere Heimkinder. Warum?

Tschapek-Güntner: Wir sehen das als eine Minimallösung an. Wenn darüber diskutiert worden wäre anfänglich, um dann aufzustocken, um dem Leid der Betroffenen tatsächlich gerecht zu werden, dann wäre es eine wirkliche Entschädigung. Aber so ist es eine billige Abspeisung und eigentlich noch mal eine Demütigung der Betroffenen selber.

Brink: Immerhin ist diese Bundesstiftung ja mit 120 Millionen Euro ausgestattet. Was kritisieren Sie daran?

Tschapek-Güntner: Ja, dem gegenüber stehen immerhin 30.000 Betroffene, wie Wissenschaftler es ganz klar benannt haben, die sich melden werden. Und dann wird runtergerechnet und dann bekommt man zwischen 2000 bis 3000 Euro, der Einzelne. Und das kann es nicht sein, dass die Betroffenen für einen derart schlechten Start mit Misshandlungen bis hin zur Folter mit wirklich auch sexuellem Missbrauch derartig abgefertigt werden sollen. Eigentlich müssten alle, die am Runden Tisch sitzen, sich dafür schämen.

Brink: Nun sitzen am Runden Tisch ja auch Betroffene, drei Betroffene waren am Tisch, und die haben dem ja zugestimmt.

Tschapek-Güntner: Das ist richtig, das ist uns auch von den Betroffenen rübergebracht worden. Es ist ganz klar dort zur Nötigung der drei Betroffenen auch gekommen ...

Brink: Woher wissen Sie das?

Tschapek-Güntner: Das haben die uns mitgeteilt. Da ist ein derartiger Druck aufgebaut worden und immer wieder gesagt worden, wenn ihr jetzt hier rausgeht und dem nicht zustimmt, dann bekommen alle anderen draußen überhaupt nichts, das können wir Ihnen jetzt garantieren! Und man ist dann auf die Forderung eingegangen, weil der Druck zu hoch gewesen ist.

Brink: Aber die Stiftung ist ja nach oben offen, das heißt, es wird garantiert, dass jeder, der einen Anspruch stellt, auch entschädigt wird. Was Sie kritisieren, ist die Höhe?

Tschapek-Güntner: Was ich kritisiere, ist die Höhe. Dass ein Fonds nach oben hin offen ist, das versteht sich, falls da tatsächlich Nachmeldungen kommen, weil nicht jeder heute von unseren Betroffenen mit Fernsehen oder Internet ausgerüstet ist. Da gibt es wirklich derartige Armutsgrenzen und die kriegen diese Informationen nicht mit, die können sich nicht mal eine Zeitung kaufen!

Brink: Was wäre für Sie dann das richtige Entschädigungsmodell gewesen?

Tschapek-Güntner: Wir haben vergleichbar eine niedrigere Forderung angesetzt gehabt, wenn man nur mal nach Irland herüberguckt, wo mit 76.000 pro Kopf entschädigt wurde. Und haben hier für jeden Betroffenen eine entweder Einmalzahlung von 50.000 oder eben eine zusätzliche monatliche Rente von 300 Euro gefordert. Und genau das werden wir auch versuchen, weiterhin durchzusetzen.

Brink: Wie wollen Sie das versuchen?

Tschapek-Güntner: Wir werden dieses Ergebnis am Runden Tisch nicht anerkennen, denn wir haben dem Runden Tisch die Chance gegeben und haben zugewartet, weil wir es gewesen sind, die diesen Runden Tisch ans Arbeiten gebracht haben. Aber nach diesem Ergebnis ist klar, wir gehen den Klageweg, auch wenn er wirklich länger dauert und leider viele Betroffene es dann einfach vom Lebensalter her nicht mehr erreichen können, was denn dann da wirklich dabei herauskommt.

Brink: War denn das Modell des Runden Tisches, wenn ich Ihre Kritik jetzt höre, für Sie überhaupt das richtige Modell, um zu einer adäquaten Lösung zu kommen?

Tschapek-Güntner: Der Runde Tisch hat dazu beigetragen, dass eine öffentliche Diskussion in einen geschlossenen Raum getragen wurde. Das Gleiche spielt sich ja auch jetzt bei den Runden Tischen sexueller Missbrauch ab, auch da war die Öffentlichkeit sehr aufgebracht. Und der Runde Tisch ist gegründet worden und die Diskussion ist aus der Öffentlichkeit verschwunden.

Brink: Jetzt mal abgesehen auch von der finanziellen Entschädigung: Sie haben gesagt, das Leid der Opfer wurde bagatellisiert. Sie selbst sind eine Betroffene. Fühlen Sie sich dann auch mit Ihrer Geschichte nicht angenommen?

Tschapek-Güntner: Das auf jeden Fall. Ich habe das vorhin schon einmal gesagt: Wir fühlen uns noch mal von denjenigen – jetzt sind es die Folgeträger von den damaligen Institutionen – noch einmal im Grunde genommen gedemütigt mit dem Ergebnis, was da jetzt herausgekommen ist. Vergleichbar verdient jeder von denen jeden Monat mehr als das, was sie jetzt den Opfern für einen derartiges Geschehen in der Vergangenheit abspeisen möchten.

Brink: Monika Tschapek-Güntner, die Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder. Schönen Dank für das Gespräch!

Tschapek-Güntner: Bitte schön!