Die Schattenseiten des Aufschwungs
Portugal hat längst den EU-Rettungsschirm verlassen, zahlt die Hilfskredite vorzeitig zurück und freut sich über neue Arbeitsplätze im Tourismusgeschäft. Die Kehrseite des Booms ist in Porto zu sehen: Normalverdiener können sich Wohnungen in der renovierten Innenstadt oft nicht mehr leisten.
"Die Unterstadt hier am Fluss lag immer jenseits der Wahrnehmung der Menschen in der Stadt. Arbeit musste man woanders suchen. Hier gab es nichts. Niemand wollte jemanden aus der Unterstadt einstellen, nicht mal als Kellner oder Arbeiter. Die Leute hier waren extrem arm, dafür aber sehr solidarisch. Sie haben sich gegenseitig immer geholfen."
Rentner Cândido Venceslao erinnert sich gerne an seine Jugend in Portos ältestem Stadtteil: die Ribeira am Ufer des Douro-Flusses. Besucher führt der 66-Jährige hier herum – auf den "Percursos das Memórias", den Stadtrundgängen der Erinnerung.
Steil steigen die engen Gassen vom Fluss an. Die Anwohner können sich aus den gegenüberliegenden Fenstern fast die Hand reichen. An den dunklen Fassaden aus Granit flattert Wäsche im Wind. Durch die kleinen Fenster fällt kaum Licht in die feuchten Wohnungen. Cândido ist in der Ribereia aufgewachsen. Bis zum Ende der Diktatur 1974 herrschte hier in der Ribeira die blanke Not.
"Wir hatten kein Wasser, kein Licht, keine Küche, kein Bad. Ein Zimmer mit vier mal zwei Meter für die ganze Familie mit acht Personen. Es ist schwer, so in Würde zu leben. Unser Bett stand unter der Treppe. Das habe ich mir mit zwei meiner Bruder geteilt, die anderen drei mussten sich das zweite Bett teilen."
Porto erlebte nach dem Ende der Diktatur und der Nelkenrevolution 1974 eine Aufwertung. Die UNESCO erklärt die Altstadt 1996 zum Weltkulturerbe. Aber dieser Ehrung folgte der Verfall. Es fehlten Arbeitsplätze und Geld zum Erhalt der Häuser. Bis zu 40 Prozent der aus Granit gemauerten Altbauten standen 2011 leer. Aus den roten Ziegeldächern wuchsen Farne und ganze Bäume. Dann die Wende.
Billigflieger brachten Aufschwung
Seit Billigflieger 2013 Porto als Reiseziel aufnahmen, kommen immer mehr Touristen. Seitdem wird gebummelt, gegessen und saniert. Das Stadtzentrum und das Flussufer sind wieder weitgehend hergestellt – die Restaurants voll. Nur für die einfachen Portuenser gibt es kaum noch Lokale jenseits der Zeitgeist-Restaurants, beklagt Hobby-Stadtführer Cândido.
"Sieben Kneipen und Cafés gab es hier am Platz. Alle waren immer voll. Dann hatten wir hier vier Lebensmittelgeschäfte. Die sind alle weg."
In den Altstadtgassen eröffnen laufend neue Boutiquen, Concept-Stores, Hotels, Cafés und Restaurants. Am Meer hat die Stadt mit Fördergeldern der Europäischen Union ein neues Terminal für Kreuzfahrtschiffe gebaut. Die Zahl der Gästeankünfte steigt jedes Jahr um 15 Prozent. So entstehen immer mehr neue Jobs im Tourismus. Junge Leute gründen Reise-Agenturen, die neue Gäste empfangen, Stadtführungen und andere touristische Dienstleistungen anbieten.
Und auch die Stadtverwaltung reagiert: Aus der einst finsteren Blumenstraße "Rua das Flores" ist eine schicke Fußgängerzone entstanden: neues Pflaster, renovierte Fassaden. Ein verfallender Adelspalast aus dem 16. Jahrhundert wird gerade zum nächsten Luxushotel umgebaut. Direkt gegenüber wohnt Matilde Lindberg.
"In der ‚Rua das Flores‘ gab es viele alte Läden und 40, 50 Jahre alte Cafés im Familienbesitz. Dann haben die Hausbesitzer angefangen, die Gebäude zu renovieren und die Mieten erhöht. Wer das nicht bezahlen kann, musste an den Stadtrand ziehen."
Matilde Lindberg schildert die Kehrseiten des Tourismusbooms, von dem sie selbst auch profitiert hat. Die junge Frau hat eine Anstellung bei der europaweit bekannten Jugendstil-Buchhandlung "Lello" gefunden.
Sie führt Besucher durch das eindrucksvolle Innere, organisiert den Verkauf der Eintrittskarten und kümmert sich um das Marketing. Um den Touristenansturm zu bewältigen, verlangt die Buchhandlung drei Euro Eintritt, den sie den Gästen bei einem Einkauf gutschreibt. Mit den Einnahmen hat der Buchladen inzwischen seine Fassade von 1906 renoviert. Auch das Haus von Matilde Lindberg in zentraler Altstadt-Lage wurde erneuert und die Mieten erhöht. Jetzt sind alle Mieter gegangen und auch Mathilde muss bald raus. Zu teuer für ihr Gehalt von 1100 Euro pro Monat.
"Mein Vermieter hat alle fünf Wohnungen im Haus renoviert. Inzwischen bin ich noch die einzige, die hier ständig wohnt. Die anderen Wohnungen hat er in Ferienapartments für Touristen umgewandelt. Die obere, die nur etwas größer ist als meine, vermietet er jetzt für 950 Euro pro Monat. Vorher hat sie nur 400 Euro gekostet. Als ich eingezogen bin, war es hier ziemlich ungemütlich, laut, dunkel, nachts bedrohlich, hier ist meine Wohnung. Pass auf die Katzen auf, ich habe zwei Katzen."
Matilde Lindberg weiß noch, wie es zu Zeiten der Finanzkrise in Portugal war. Das Land rutschte in eine Rezession. 250.000 Portugiesen, meist jung und gut ausgebildet, gingen ins Ausland. Ein herber Verlust für den kleinen Küstenstaat. Die Regierung leitete Reformen ein. Nun wächst die Wirtschaft wieder leicht um ein Prozent. Die Hilfskredite werden zurückgezahlt. Die Jugendarbeitslosigkeit sinkt auf derzeit 30 Prozent – insgesamt liegt sie bei zehn Prozent.
Tourismus wächst schneller als Portugals Gesamtswirtschaft
Die neuen Jobs in Portugal entstehen in der Informationstechnologie, der Zulieferindustrie, der Textilwirtschaft und im Tourismus. Allein im vergangenen Jahr entstanden im Fremdenverkehrsgewerbe nach offiziellen Angaben 45.000 neue Arbeitsplätze.
Und die Einnahmen aus dem Tourismus wachsen schneller als die Gesamtwirtschaft. Etwa jeder achte Euro, der in Portugal erwirtschaftet wird, kommt aus dem Tourismus - Tendenz weiter steigend.
Allein in der Region Nordportugal stieg die Zahl der Gäste in den vergangenen fünf Jahren von einer Million auf 1,7 Millionen. Und fast alle besuchen auch Porto.
Der Hafen, den die Römer hier am Unterlauf des Douro gründeten, gab dem Land einst seinen Namen. Entsprechend stolz sind die Menschen auf die Geschichte ihrer Stadt.
Heinrich der Seefahrer brach in Porto zu seiner ersten Entdeckungsreise auf. Heute erinnert ein hypermodernes Museum an die Eroberungen, die hier ihren Ausgang nahmen. Im 20. Jahrhundert verfiel das einst reiche Porto in eine Art Dornröschenschlaf. Diktator António de Olivera Salazar ließ alle wichtigen Einrichtungen in Lissabon konzentrieren. Banken, Versicherungen und andere große Unternehmen verließen die einstige Wirtschaftsmetropole Porto. Bis heute erinnern prächtige Gründerzeit-, Jugendstil- und Art Déco-Bauten am Freiheitsplatz, der "Praça Liberdade", an Portos goldene Zeiten.
Nun sorgen Touristen für neues Leben in der 300.000-Einwohnerstadt. Überall wird gebaut und renoviert.
Auch die bald 170 Jahre alte Markhalle Bolhao mit ihren ausgetretenen Treppen, den schmiedeeisernen Geländern an der Galerie und den holzverkleideten Häuschen im Innenhof wird demnächst modernisiert. Noch kaufen hier vor allem Einheimische Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse zu erschwinglichen Preisen.
Im Osten Portos sind typische Arbeitersiedlungen
Östlich von hier beginnt in den ehemaligen Arbeiterquartieren "Bonfim" und "Campanha" das Porto, das die Touristen noch nicht entdeckt haben.
Eine knapp zwei Meter schmale Gasse trennt winzige, verfallende Reihenhäuschen voneinander. Die feuchte, modrige Luft steht zwischen den flachen Bauten. Ilhas, also Inseln, heißen die für den armen Osten Portos typischen Arbeitersiedlungen. Einst haben Fabrikanten diese möglichst billig für ihre Arbeiter auf dem eigenen Werksgelände gebaut.
Die Leder-, Textil- und Metallindustrie im Norden Portugals zog in den 80er Jahren an noch billigere Standorte. Die Fabriken schlossen. Die Ilhas blieben.
"Wenn du vor die Tür gehst, stehst Du praktisch schon in der Wohnung des Nachbarn gegenüber. Deshalb kommt in viele der Häuschen kaum Tageslicht."
Erklärt Liliana Teixeira. Die 41-jährige Sozialarbeiterin arbeitet für den Verein "Habitar Porto". Der hilft den Bewohnern der heruntergekommenen Ilhas bei der Sanierung ihrer Häuser.
"Die Häuser sind feucht. Hier hast Du zum Beispiel Wohnzimmer, Schlafzimmer und Esszimmer in einem Raum und dazu nur die kleine Küche. Im schlimmsten Fall haben sechsköpfige Familien in so einem Raum gelebt. Fenster gibt es nur eines hier zum Gang. Deshalb ist die Luft so stickig."
Die meisten Bewohner der Ilhas haben ebenso wie ihre Eigentümer nicht das Geld, um die Häuschen zu sanieren. Deshalb will der Verein "Habitar Porto" Mieter, Hausbesitzer und Vertreter der Stadtverwaltung zusammenbringen, damit sie gemeinsam die verfallenden Bauten retten.
"Eine Durchschnittsfamilie kann sich die Mieten und Kaufpreise in der Innenstadt - aber auch immer öfter hier im ärmeren Osten - nicht mehr leisten. Unsere Idee ist, dass sich Nachbarn Kosten teilen, zum Beispiel einen Hinterhof, einen Garten oder die Waschmaschine. Vielleicht können Sie ein Objekt auch gemeinsam kaufen und so umbauen, dass zwei Familien darin leben und ein weiteres Gebäude vermietet werden kann. Mit den Einnahmen finanzieren sie dann einen Teil des Umbaus. Gemeinsam können sie auch die Kosten für einen Architekten, Handwerker und Baumaterial stemmen. Uns geht es um bezahlbare Wohnungen für alle, nicht nur für die ganz Armen."
"Jetzt, wo es interessant wird, müssen wir weg"
Sozialarbeiterin Liliana ist Jahrgang 1976. Sie ist in der Innenstadt aufgewachsen. Wie viele in Porto sieht sie den Touristenansturm mit gemischten Gefühlen.
"Der Tourismus hat die Innenstadt sehr verändert. Sobald ein Haus in einem einigermaßen brauchbaren Zustand ist, wird es an zahlungskräftige Kunden vermietet. Da fragen sich natürlich alle anderen, warum sie nicht in der Innenstadt wohnen dürfen. Es ist doch unsere Heimat. Wir haben hier ausgehalten, als niemand hier bleiben wollte. Und jetzt, wo es interessant wird, müssen wir weg. Das Leben in der Altstadt wird immer teurer. Die Läden, wo wir früher günstiges Obst gekauft haben, gibt es nicht mehr. Das sind jetzt Gourmet Shops, die ihre Produkte besonders schön herrichten und dafür das doppelte verlangen."
Nun sucht die 41-Jährige mit dem "Verein Habitar" Porto einen Ausgleich zwischen nötiger Modernisierung und den Interessen der alteingesessenen Bürger.
"Mir ist klar, dass die Arbeitslosigkeit in der Stadt ohne die Touristen noch höher wäre. Aber wenn die Politik nicht eingreift, überlässt man die Entwicklung dem Markt. Dann hast Du einen extremen Gegensatz zwischen denen, die sich die hohen Preise leisten können und denen, die da nicht mithalten können. Wohnungspolitik muss Wohnraum zu fairen Preisen schaffen."
Die Stadt scheint das Problem zumindest erkannt zu haben. Sie kauft vereinzelt Häuser in der Altstadt, lässt sie renovieren und vermietet sie an Einheimische. Für mehr reicht das Geld in der klammen Stadtkasse Portos angeblich nicht.