Riesige Produktion können wir nicht machen. Oder man müsste wirklich endlich gute Leute finden, die mitmachen, damit man auf die nächste Stufe kommt. Aber das ist gerade relativ schwierig, weil man sich nicht unbedingt eine goldene Nase verdient.
Billigpreise und Dumpinglöhne
Catharina Saffier bietet in ihrem Modeatelier alles von Schnitten bis zu fertigen Verkaufsstücken an. Mode ohne Ausbeutung sei machbar, betont sie. © Deutschlandradio / Constantin Hühn
Die Philosophie globaler Ausbeutung
05:28 Minuten
Wie lässt sich globale Ausbeutung angemessen verstehen? Und was kann man dagegen tun? Zum Welttag der Philosophie suchen wir Antworten auf diese Fragen mit der Philosophin Mirjam Müller in einem Berliner Modeatelier.
Ein Hinterhof im Norden von Berlin, nahe der Prenzlauer Allee. Durch eine unscheinbare Tür betreten wir das Atelier Saffier: ein großer, hoher Raum mit einigen Nähmaschinen und einem Bügeltisch; im Eingangsbereich eine Ecke mit zahlreichen, gut behängten Kleiderständern.
„Das sind die Sachen, die ich, wenn ich Zeit und Kraft und Lust übrig habe, dann von mir aus mache. Man kann es sich nicht verkneifen als Schnittmacher, wenn Stoffe rumliegen, doch noch eine Jacke zu machen“, erzählt Catharina Saffier, die den Zwei-Personen-Betrieb gegründet hat.
Ausbeutung ist ein strukturelles Problem
Saffier ist gelernte Schneiderin, Schnittmacherin und, wie sie selbst sagt, „Architektin für Kleidung“. Zusammen mit nur einer weiteren Kollegin bietet Saffier alles von Schnitten und Prototypen bis zur Fertigung der Verkaufsstücke an – wenn auch nur in kleiner Zahl:
Ich bin mit der Philosophin Mirjam Müller hierhergekommen, um mit eigenen Augen zu sehen, inwieweit sich Kleidung lokal produzieren lässt, diesseits der großen Marken und globalen Sweatshops – und ohne Ausbeutung. Müller ist Juniorprofessorin für feministische Philosophie an der Humboldt Universität Berlin und forscht insbesondere zu Arbeit und Kapitalismus. Ausbeutung versteht sie als strukturelles Problem – also eines, das nicht allein von individuellen Akteuren abhängt:
„Strukturen, die hier eine Rolle spielen, sind sehr laxe Arbeits-Regulierungen, aber auch einfach fehlende internationale Regulierung, zum Beispiel von grenzüberschreitenden Kapitalflüssen. Globaler Wettbewerb, dass es eben total schwierig ist, überhaupt rentabel zu sein, wenn einen andere Unternehmen unterbieten können.“
Hiesige Niedriglöhne durch globale Ausbeutung
Das macht es für Betriebe wie den von Saffier, die nicht in sogenannten Billiglohnländern produzieren oder fair entlohnen möchten, deutlich schwieriger, konkurrenzfähig zu sein. Und es prägt die Preiserwartung vieler ihrer Kundinnen und Kunden:
„Ich möchte hier produzieren – dann gucke ich mir aber wirklich die Preise an, rechne alles zusammen und merke, bei welchen Preisen ich dann im Verkauf landen muss, um das rechtfertigen zu können. Und da schlucken die meisten dann schon wieder und merken: Die Idee ist gut, aber an Marge fällt für mich wirklich kaum noch etwas ab.“
Wenn man Ausbeutung als strukturelles Problem begreift, dann gerät auch in den Blick, wie der hiesige Niedriglohnsektor und die Ausbeutung in anderen Ländern zusammenhängen – denn sie ermöglichen sich gegenseitig:
Die Tatsache, dass Löhne hier niedrig sein können, wird finanziert über Löhne, die anderswo noch niedriger sind. Weil dadurch möglich wird, dass Produkte billig produziert werden, die hier dann billig verkauft werden können, die es dann erlauben, dass Arbeiterinnen und Arbeiter hier wenig Geld bekommen für die Arbeit.
Nähen gilt immer noch als Frauenarbeit
Dass die Löhne für Näher*innen so niedrig sind, hat auch damit zu tun, dass Nähen nach wie vor als typisch weibliche Arbeit gilt. Daran zeigt sich: Ausbeutung richtet sich nicht nur nach Klassenzugehörigkeit oder Herkunftsland, sondern auch nach Geschlecht und Gender, wie Müller betont:
„Näher*innen in Bangladesch haben oft gar nicht so viele verschiedene Optionen, wenn sie Arbeit suchen, um ihr Leben zu finanzieren, als Sweatshop-Arbeit oder die Arbeit in Textilfabriken.“
Auch Saffier bekommt diese weibliche Kodierung des Nähens immer wieder zu spüren: Ihre Expertise werde tendenziell geringer geschätzt als die anderer Branchen, erzählt sie: „Bei ganz vielen Anfragen gibt es immer Missverständnisse, wo ich mich dann frage: Mit welchem Recht wird jetzt hier die Arbeit in Frage gestellt und vor allem auch der Preis?“
Mode ohne Ausbeutung ist machbar
Wenn aber Ausbeutung so stark durch globale wie hiesige Strukturen bedingt wird – lässt sich ihr dann überhaupt entkommen? „Es ist absolut machbar“, betont Saffier: „Man muss das eben kommunizieren und erklären, wie sich gewisse Preise und Staffelungen zusammensetzen.“ Schöne Sachen herzustellen, ohne dass irgendwer irgendwie dadurch in Bedrängnis kommen muss sei möglich, sagt die Schneiderin.
Und auch die Philosophin Müller betont: Auch wenn es strukturelle Zwänge gibt, bleibt immer ein Handlungsspielraum für die einzelnen Akteurinnen.
Um aber im großen Maßstab etwas zu ändern, müssen wir aber über individuelle Entscheidungen hinausgehen und stattdessen politischen Druck ausüben: „Wenn ich jetzt aufhöre, bei H&M zu kaufen, ich alleine, dann macht es erst mal keinen Unterschied.“ Schließen wir uns aber mit anderen zusammen – dann bestehe tatsächlich die Möglichkeit, etwas an den Strukturen zu ändern.