Das Quartett war sich schnell einig, dass David Simons Verständnis von Serien als moderner Erzählform weiterhin das Maß aller Dinge ist. Die Bewertung: 4 x Top
Die Serien-Highlights in Zeiten des Virus
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Seriengucken erhält gerade während der Coronapandemie eine neue Bedeutung. Zeit also für vier Empfehlungen, darunter "Sex" aus Dänemark. Gemeinsames Thema ist die Angst in allen möglichen Färbungen. Wie können wir sie überwinden und wann müssen wir sie akzeptieren?
Die Kontaktsperre trifft das Team vom Serienquartett besonders hart. Wie streiten, wenn man nicht in einem Studio sitzen kann? Dennoch war dem Team klar: Gerade jetzt muss man über Serien debattieren, gerade weil die Serienschwemme ungeahnte Ausmaße annimmt. Deshalb muss sortiert und bewertet werden.
Unsere Vollbild-Redakteure Susanne Burg und Patrick Wellinski haben sich gemeinsam mit Anna Wollner, Filmredakteurin bei "Radio Fritz", und Hendrik Efert vom Podcast "Viertausendhertz" durch gut 20 Stunden Serien geguckt und sind bereit: in häuslicher Quarantäne und mit nötigem digitalen Sicherheitsabstand.
Die Angst der USA vorm Faschismus: "Verschwörung gegen Amerika" (HBO / Sky Atlantic)
David Simon gilt mit Serien wie "The Wire" und "The Duce" zu den führenden und wichtigsten Serienautoren der Vereinigten Staaten. Umso gespannter konnte man sein, was er aus Philip Roths Roman "Verschwörung gegen Amerika" machen würde. Entstanden ist eine sechsteilige Miniserie, die von einer alternativen Weltgeschichte erzählt: Nicht Franklin D. Roosevelt wird 1940 zum US-Präsidenten gewählt, sondern sein republikanischer Konkurrent Charles Lindbergh. Dessen Slogan "America First" bedeutet für eine jüdische Familie in New Jersey nichts Gutes. Werden die USA sogar mit den Nationalsozialisten in Europa paktieren? Düstere Zeiten für die Menschheit brechen an.
Exorzismus der Vergangenheit: "Hunters" (Amazon)
Als im Februar die ersten Folgen der Serie "Hunters" zum Streamen zur Verfügung gestellt wurden, sorgten sie für einen Streit, der die Feuilletons in Amerika und Europa beschäftigte. "Hunters" erzählt von einer Gruppe von jüdischen Rächern, die es sich als Aufgabe gemacht haben, in den USA lebende Nazis zu jagen und umzubringen. Mit seinen sehr expliziten Rückblenden in die Gräuel der Konzentrationslager muss sich die Serie den Vorwurf des Gewaltpornos gefallen lassen. Wie weit geht die popkulturelle Aneignung des Holocaust? Kann man so eine Serie auch gerne sehen? Oder wurden hier Tabus gebrochen, die unantastbar sind?
Das Quartett lehnt "Hunters" fast durchgehend ab. Wie gesagt, fast: 1 x Top, 3 x Flop.
Die Angst vorm eigenen Ich: "I’m not Okay with this" (Netflix)
Wenn sich die Macher von "Stranger Things" und "The End of the f*** world" zusammentun, dann kündigt sich ein vielversprechendes Serienerlebnis an. In "I’m not okay with this" geht es um eine Teenagerin, die um ihren toten Vater trauert. Dabei lösen ihre Wutausbrüche geheimnisvolle Dinge aus. Plötzlich fliegen Bowlingkugeln und andere Objekte durch die Luft. Die Serie spielt mit bekannten Motiven der Film- und Comicgeschichte, will aber immer das möglichst große Publikum erreichen. Die Frage ist, ob der Serie dadurch auch ein gewisser Anspruch abhandenkommt.
Das Quartett findet die Serie überwiegend gut: 3 x Top, 1 x Flop.
Die Angst vor der Einsamkeit in der Beziehung: "Sex" (TV2)
Für Aufmerksamkeit sorgte die dänische Webserie "Sex", die im Auftrag des dänischen TV-Senders TV2 produziert wurde, bereits auf der diesjährigen Berlinale. In kurzen Episoden schildern die Macherinnen das Leben der dänischen Studentin Cathrine, die mit ihrem Freund Simon zusammen lebt. Tagsüber arbeitet sie bei einer Sexhotline, abends versucht sie vergeblich, mit Simon Sex zu haben. Aus dieser Ablehnung heraus richtet sich Cathrines begehren auf ihre Kollegin Selma. In "Sex" geht es um die Zerrissenheit junger Menschen, die nicht wissen, ob sie ihren Gefühlen trauen können, und die Ratlosigkeit, die die eigene Begierde produziert.
Das Quartett ist – fast - überzeugt: 3 x Top; 1 Flop
Außerdem gibt es noch einschlägige Quarantäne-Tipps vom Quartett:
- Hendrik Efert empfiehlt alle Staffeln der Dan Harmon Serie "Community", die derzeit auf Netflix zu sehen ist.
- Anna Wollner zeigt sich fasziniert vom Netflix-Hit "Tiger King".
- Susanne Burg empfiehlt hingen die Apple-TV-Plus-Anthologieserie "Little America" über die Identifikationsprobleme amerikanischer Minderheiten.
- Patrick Wellinski hebt seinen Daumen für die Stephen King Adaption "The Outsider", die bei HBO/Sky Atlantic läuft und von der düsteren Seite des Menschseins handelt.