Biografie

Bewunderte, verklärte, mythisierte Autorin

Rezensiert von Helmut Böttiger |
Für ihre Gedichte wurde Ingeborg Bachmann genauso geschätzt wie für ihre Prosa. Dennoch gab es bisher noch keine umfassende Biografie über Bachmann. Die Publizistin und Dramaturgin Andrea Stoll hat das jetzt auf 380 Seiten nachgeholt.
Dass sich bisher niemand an eine umfassende Biografie Ingeborg Bachmanns gewagt hat, ist nachvollziehbar: Wichtige persönliche Aufzeichnungen sind der Öffentlichkeit immer noch nicht zugänglich, etwa der Briefwechsel mit ihrem zeitweiligen Lebensgefährten Max Frisch. Andrea Stoll jedoch hatte Zugang zu einigen neuen Quellen und einen sehr guten Überblick über die Forschungslage. Ein Vorzug ihres Buches ist, dass sie Einblick in die Briefe der Autorin an deren Eltern und Geschwister nehmen konnte, die noch in Privatbesitz sind. Ihre Biografie ist damit allerdings über weite Strecken auch so etwas wie eine offizielle Darstellung, die die Sichtweise der Erben und Nachlassverwalter nachvollzieht.
Andrea Stolls Bild Ingeborg Bachmanns steht grundsätzlich von Anfang an fest. Schon in den reichlich backfischhaften Tagebuchblättern vom Kriegsende, von denen einige wenige überliefert sind, sieht Andrea Stoll eine eindeutig feministische, antifaschistische, unbeirrbare Persönlichkeit walten. „Nein, mit den Erwachsenen kann man nicht mehr reden“, schrieb die achtzehnjährige Bachmann, sie wollte sich trotz der kommenden Bombenangriffe in den Garten setzen und lesen. Hier liegt für die Biografin „die literarische wie biografische Urszene der Schriftstellerin“, das Zentrum von deren Vorstellung der Dichtung als „letzter Statthalterschaft des Humanen“.
Ästhetische Unterschiede zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch
Nicht nur diese Formulierungen wirken reichlich überinstrumentiert. Auch die imaginäre Beziehung der jungen Maturantin Bachmann zu dem Deutschlehrer Josef Friedrich Perkonig wird nicht allzu sehr problematisiert: Immerhin war Perkonig ein bekannter Kärntner Heimatdichter und gehörte dort zu den Kulturgrößen während der Nazi-Zeit.
Das Widersprüchliche an der Gestalt Bachmanns wird von Stoll eher zugunsten einer Eindeutigkeit überdeckt. Auch, welch entscheidender Einschnitt in der künstlerischen Entwicklung der Dichterin ihre Beziehung zu Paul Celan war, wird kaum thematisiert. Dagegen wird kein Zweifel an den grundsätzlichen ästhetischen Unterschieden zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch gelassen. Warum die Dichterin nach der vierjährigen Liaison mit Frisch einen derartigen Zusammenbruch erlitt, wirkt in dieser Biografie ziemlich überraschend – zu überlegen wurde Bachmann vorher geschildert.
Dennoch hat dieses Buch seine Berechtigung. Es liefert vor allem über die sechziger Jahre und die Umstände des Unfalltodes von Bachmann 1973 zum ersten Mal eine ausführlichere und differenzierte Darstellung. Die vorhandenen Materialien erscheinen jedoch zuverlässig ausgewertet, und auch die Erinnerungen aus Bachmanns familiärem Umfeld tragen zu einer Entmystifizierung des Todes der Dichterin bei. In der Affäre mit Adolf Opel, der als wichtige Bezugsperson ernst genommen wird, oder in den letzten Jahren mit Tabletten- und Alkoholsucht, werden die Haltlosigkeiten benannt. Bis auf weiteres ist dies auf jeden Fall ein Buch, das Bachmann-Interessierte zur Hand nehmen müssen.

Andrea Stoll: Ingeborg Bachmann - Der dunkle Glanz der Freiheit. Biografie.
Verlag C. Bertelsmann, München 2013
381 Seiten, 22,99 Euro

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