Alan Bennett: Leben wie andere Leute
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2014
163 Seiten, 16,90 Euro
Ein Buch über die Liebe zu den Eltern
Der Brite Alan Bennett ist bekannt für seinen trockenen Humor, etwa aus "Die souveräne Leserin". Doch sein Familienleben war gar nicht lustig. Nun schreibt er über die depressive Mutter und den pflichterfüllten Vater. Und zeigt darin doch wieder seinen Witz.
Das Buch ist eine Überraschung. Dass sich Ernst hinter der Komik versteckt, wissen wir. Das haben uns Buster Keaton und Charly Chaplin längst gelehrt. Doch Alan Bennett? Der britische Dramatiker, TV-Comedy Autor und vor allem der Schriftsteller des unvergleichlich amüsanten ( sehr britischen) Welterfolgs über die englische Queen: "Die souveräne Leserin"? Was steckt hinter seiner Spottlust, diesem beneidenswerten und charmanten Witz?
Ein Sohn aus dem armen England, 1934 in Leeds geboren, der Vater war Metzger, wenn auch ein widerwilliger, die Mutter Hausfrau. In dem Band: "Leben wie andere Leute" beschreibt Bennett durch sein Verhältnis zu seinen Eltern sich selbst. Er zeigt sich als sorgender, aber auch störrischer Sohn. Gleichzeitig offenbart er, dass viele seiner urkomischen Witze in der tieftraurigen eigenen Familienerfahrung ihren Ursprung haben und öffnet damit den Hintergrund vieler seiner TV-Komödien und Bücher, die er erst als 60-Jähriger zu schreiben begonnen hat.
Die Geschichten von Großvater, Tanten und Eltern ist sein wichtigstes schriftstellerisches Depot. "Leben wie andere Leute" ist ein warnendes Buch. Es warnt vor dem Familiengeheimnis und damit vor der Lüge. Vor den Lügen aus Angst davor, "was die Leute sagen". Alan Bennett war schon ein erwachsener Mann, als er erfuhr, dass der Vater seiner Mutter nicht an Herzversagen - wie jeder dem anderen erzählte - gestorben ist, sondern durch Selbstmord.
Er erzählt, wie lange er selbst gebraucht hat, die Stelle am Kanal zu suchen, wo der Großvater ins Wasser ging. Aber eigentlich ist es ein Buch über die Jahrzehnte währenden Depressionen der Mutter und über die Figur seines tadellos korrekten Vaters. Die Mutter balancierte zwischen den Phasen schöner Fröhlich- und Freundlichkeit und Monaten schwerster Depressionen, die der Vater einen "verflixten Schlamassel" nennt.
"Dad" ist das Muster eines seine Pflicht minutengenau erfüllenden und liebevollen Ehemanns, der Geselligkeiten aus dem Weg geht ("man kommt aus der Übung"), während die Mutter Lust auf Vergnügungen wie eine Cocktailparty mit Tonic, Alkohol tranken die Bennets nicht, gehabt hätte. Bennett beschreibt dieses herzzerreißende, in bescheidensten Routinen lebende Paar, und damit das normale Leben einer armen Bevölkerung.
Der Vater wird von seiner Fürsorge aufgerieben und stirbt früh, die leidende Mutter wird uralt, auch die kraftvolle Tante Kathleen stirbt in geistiger Verwirrung. Alan Bennett, der so gerne das Komische und Absurde im Leben der Anderen herausstellt, wollte nichts verschweigen. Auch nicht, dass er seit 30 Jahren gemeinsam mit seinem viel jüngeren Freund und einem Schwein, das er an einer Leine spazieren führt, meistens in dem gleichen Dorf wie seine Eltern lebt. Bennetts Buch ist auch eine Klage gegen Freuds "sozialen Snobismus" und gegen familiäre Enge aus Angst vor dem Gerede.
Dieses anrührende und ernste Buch ist ein Plädoyer für die Würde einfacher und in dieser Einfachheit auch skurrilen Verhältnisse. Es ist ein Buch über die Liebe und den Respekt zu den Eltern eines mittlerweile 80-jährigen Sohnes.