Henrik Eberle: Hitlers Weltkriege. Wie der Gefreite zum Feldherrn wurde
Hoffmann und Campe Verlag Hamburg, Februar 2014
352 Seiten, 22,99 Euro, auch als ebook
Ergänzendes Werk
Biografien Adolf Hitlers gibt es zuhauf. Für ein neues Standardwerk kommt Henrik Eberle zu spät, die enge Verknüpfung von Hitlers Biografie mit dem Zweiten Weltkrieg macht das Buch aber zu einem Gewinn.
Henrik Eberle beginnt mit einer Anekdote: Er blendet sich ein in eine Besprechung im Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte in Smolensk am 13. März 1943. Adolf Hitler tobt, weil der Vormarsch an der Ostfront stockt. Den Generalen mangele es an Fronterfahrung. Sie hätten im Ersten Weltkrieg weit hinten bei den Stäben gehockt. Er hingegen kenne den Krieg aus den Schützengräben und wisse, was eine Truppe auch bei widrigen Wetterbedingungen leisten könne.
"Generaloberst Rudolf Schmidt kommentiert die Suada kühl. 'Ihre Kriegserfahrung trägt ein Spatz auf dem Schwanz weg.'"
Ein Karriereoffizier, der es wagt, Hitler mit offener Verachtung vor den versammelten Kommandeuren zu widersprechen. Ein starker Auftakt. Doch dann folgt die Pointe: Die Begebenheit stimmt gar nicht, schreibt Eberle. Sie sei von den Militärs nachträglich erfunden worden, um einen ständig schwelenden Konflikt zwischen Hitler und seinen Generälen nachzuweisen. Er deutet die erfundene Szene als einen Mosaikstein einer Großerzählung, die die Oberbefehlshaber von Verantwortung und Schuld reinwaschen sollte.
"Der minderqualifizierte Gefreite des Ersten Weltkrieges riss zuerst die Macht im Staate an sich, enthauptete dann die Führung der Wehrmacht und maßte sich schließlich die Befehlsgewalt im Zweiten Weltkrieg an. Deshalb wurde der Krieg verloren.
Die Generalität trug daran keine Schuld, denn sie war nur ausführendes Organ, das den Entscheidungen Hitlers ohnmächtig Folge leisten musste."
Die Generalität trug daran keine Schuld, denn sie war nur ausführendes Organ, das den Entscheidungen Hitlers ohnmächtig Folge leisten musste."
Legende der sauberen Wehrmacht
In den ersten Nachkriegsjahrzehnten wurde diese Legende immer wieder kolportiert. Doch spätestens mit der sogenannten "Wehrmachtausstellung" Mitte der Neunziger Jahre hat sich nicht nur unter Historikern die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Führung der Wehrmacht - ebenso wie die von Partei und NS-Staat - das Projekt Weltkrieg Zwei gemeinsam vorangetrieben hatte. Mit allen Übereinstimmungen, Meinungsverschiedenheiten, Kontroversen und Kompetenzstreitigkeiten, die bei einem derart monströsen Vorhaben unvermeidlich sind.
Insofern ist das Buch von Henrik Eberle von Grund auf schief angelegt. Rennt er doch Türen ein, die längst offen stehen. Zwar findet sich die erfundene Anekdote mit Generaloberst Rudolf Schmidt beispielsweise bei Wikipedia, aber in seriösen Darstellungen wie der Hitlerbiografie von Ian Kershaw aus dem Jahr 2000 spielt sie nicht die geringste Rolle.
Tatsächlich beschäftigt sich auch Eberle nur noch am Rand mit dem anfangs konstruierten Widerspruch zwischen Hitler und der Generalität. Etwa wenn er in der Mitte des Buches auf die Aufrüstungspolitik eingeht:
"Die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgezeigten Rüstungsfehler – unzureichende Unterstützung der Panzerwaffe, Verzicht auf Langstreckenbomber, Forcierung des Baus von Großkampfschiffen anstelle der U-Boote – wurden häufig Hitler angelastet.
Aber tatsächlich ließ er den Waffengattungen freie Hand bei der Aufrüstung, der Gestaltung der Taktik und sogar der künftigen Strategie seiner Streitmacht. Er mischte sich in Detailplanungen nicht ein. Trotzdem konnten sich die Militärs bei allen technischen Innovationen auf seine volle Unterstützung verlassen."
Aber tatsächlich ließ er den Waffengattungen freie Hand bei der Aufrüstung, der Gestaltung der Taktik und sogar der künftigen Strategie seiner Streitmacht. Er mischte sich in Detailplanungen nicht ein. Trotzdem konnten sich die Militärs bei allen technischen Innovationen auf seine volle Unterstützung verlassen."
Ist das Buch über Hitlers Weltkriege also misslungen und überflüssig? Keineswegs! Denn der Autor versucht, eine kurze Biografie Hitlers mit der Geschichte des Krieges - vor allem an der Ostfront - zu verknüpfen. Und das gelingt ihm auf 350 Seiten gar nicht mal so schlecht:
Wurde Hitler durch Senfgas verletzt?
Zu der häufig diskutierten Frage, ob der Gefreite Hitler im Ersten Weltkrieg tatsächlich in Flandern durch Senfgas vergiftet wurde, oder aus Hysterie kurzfristig erblindete, kommt er nach der Diskussion zahlreicher medizinischer Details zu dem Schluss, dass Hitler tatsächlich eine leichte, aber schnell abheilende Giftgasverletzung erlitten habe.
Nach dem Krieg absolvierte er dann mehrere Lehrgänge als Propagandaredner der Reichswehr:
"Die Reichswehr hatte sein rhetorisches Talent entdeckt und durch ihr Training einen Massenredner geschaffen, der die Münchener Bierkeller füllt. (...) Die Münchener Post konstatierte im August, dass er wohl der 'gerissenste Hetzer' sei, der derzeit (...) sein Unwesen treibe."
Als kriegsentscheidende Niederlage des Feldherrn Hitler wertet der Autor dann weniger den erbitterten und verlustreichen Kampf um Stalingrad als die Schlacht um Moskau, wo die Wehrmacht die gut ausgebauten Stellungen bis zum März 1943 halten konnte.
"Aus dem deutschen Bewusstsein wurden die dort geführten Schlachten verdrängt, weil der Ostfeldzug als Bewegungskrieg in Erinnerung blieb. Erst ging es vorwärts, dann zurück. Im russischen Gedächtnis sind die ständig ergebnislosen Angriffe als 'Fleischwolf von Rshew' präsent."
Die Sowjetunion verlor allein bei diesen Kämpfen mutmaßlich bis zu 2,5 Millionen Soldaten. Die Deutschen etwa Vierhunderttausend, bilanziert der Autor.
Gut zum Einstieg geeignet
"Hitlers Weltkriege – Wie der Gefreite zum Feldherrn wurde" ist ein leicht zu lesendes und gut verständliches Buch. Teils eine Biografie von Adolf Hitler, teils ein Abriss des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion. Mit dem zweibändigen Standardwerk von Ian Kershaw, das mehr als 2000 Seiten umfasst, kann es sich natürlich nicht messen.
Für Fachleute und Historiker mag der Ertrag deshalb sehr begrenzt sein, aber für Leser, die sich mit Hitler und dem 2. Weltkrieg erstmals genauer beschäftigen wollen, ist das Buch ein empfehlenswerter Einstieg.