Thomas Medicus: „Klaus Mann. Ein Leben“
© Rowohlt Verlag
Dandy auf Messers Schneide
19:52 Minuten
Medicus, Thomas
Klaus Mann. Ein LebenRowohlt, Berlin 2024544 Seiten
28,00 Euro
Ein „Kind seiner Zeit“, an dem sich der Kern einer ganzen Epoche festmachen lässt: Thomas Medicus schildert in seiner Biografie den Schriftsteller, und Dandy Klaus Mann, in dessen Schicksal sich die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts spiegelt.
„Die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war eine Epoche auf Messers Schneide. Es gibt Menschen, die ein Zeitalter deshalb verkörpern, weil sie dessen Höhen und Tiefen, Irrungen und Wirrungen, vor allem Gefährdungen bis in die letzte Faser durchleben wie durchleiden. Klaus Mann ist solch eine Symbolfigur.“
Aufgewachsen in der intellektuell-bürgerlichen Aura des berühmten Vaters Thomas Mann; als Jugendlicher geprägt vom Ersten Weltkrieg; als sinnenfreudiger Lebemann unterwegs in den emanzipatorischen 20er-Jahren - bevor der Nationalsozialismus die Welt ins Chaos stürzte. In der Folge wurde Klaus Mann zu einem der engagiertesten Autoren, die aus dem Exil heraus publizierten, zum Teil in englischer Sprache.
Drogenabhängig, exzessiv, ruhelos
Klaus Mann, so die These der Biografie, war jemand, der in seinem Inneren nie Ruhe finden konnte. Einer, der den Kick, den Exzess suchte. Der mitunter geniale Momente hatte, aber stets am Rande einer fundamentalen Verzweiflung balancierte.
„Die andere Ebene ist die, dass man ja feststellen kann oder weiß, dass Klaus Mann ein sehr drogenabhängiger Mensch gewesen ist und dass er sich sein Leben lang eigentlich mit vielen Dämonen herumgeschlagen hat, er auch ein depressiver Mann gewesen ist, der sich immer wieder retten konnte.“
Konsequenterweise beginnt der Biograf sein Buch mit dem Sterben des Schriftstellers: dem „Tod in Cannes“, so der Titel des Prologs:
„Im Mai 1949 zeigt sich die Côte d’Azur ungewohnt düster. Kein gleißendes Firmament über einem silbrig schimmernden Mittelmeer, der berühmte Boulevard de la Croisette in Cannes ist menschenleer, die Strände liegen öde und verlassen. Der Himmel grau, das Meer wogt bleiern, die Höhenzüge des Esterel sind nebelverhangen. Oleander, Bougainvillea und Lavendel zeigen im matten Licht kaum Farbe. Sie triefen vor Nässe wie die Palmen, Lorbeerbäume, Pinien, Dachziegel, Bootsdecks, Autodächer, wie der ganze Küstenabschnitt zwischen Marseille und Menton. Von früh bis spät fällt nicht enden wollender Regen. Solch eine Tristesse hat Klaus Mann bei seinen zahllosen Besuchen seit Mitte der zwanziger Jahre noch nie erlebt.“
Außenseiter im bayerischen Landidyll
Leicht romanhaft klingt das. Aber der Biograf Thomas Medicus setzt diesen feuilletonistischen, bilderreichen Ton zum Glück nur sehr dosiert ein. So wie bei diesem szenischen Auftakt zum existentiellen Drama eines Menschen, der sich lange Zeit nur mit Rauschmitteln aufrecht halten konnte. Diesmal hilft dem 42jährigen auch kein Aufputschmittel mehr:
„Am 21. Mai 1949 ist Klaus Mann tot, gestorben an einer Überdosis Schlaftabletten.“ Es ist der Tod eines „Außenseiters“, so beschreibt es der Biograf. Klaus Mann, der schon in der Volksschule aufgefallen war, weil er den bayerischen Dialekt nicht sprach.
Andererseits waren seine ersten Jahre unbeschwert, im Kreise der Familie, vor allem in der heiteren Land-Idylle des Anwesens in Bad Tölz, wo Thomas Mann ein standesgemäßes Feriendomizil für seine Familie hatte bauen lassen. Später schickten die Eltern ihren ältesten Sprössling auf die Odenwaldschule in Südhessen - heute wegen sexueller Übergriffe berüchtigt, damals Speerspitze des Fortschritts, der sogenannten „Reformpädagogik“, bei der die individuelle Entfaltung der Jugendlichen höchste Priorität genoss.
„Kaum hatte er die Odenwaldschule verlassen, besuchte er im Sommer 1923 mit seiner Schwester Erika Berlin, ohne Wissen der Eltern. Dort gaben sich Bruder und Schwester ausgiebig dem unerschöpflichen Nachtleben der Metropole hin. Verkommen sei die Stadt gewesen, aber auch verführerisch mit ihrem Heer grell aufgeputzter Prostituierter auf der Tauentzienstraße. Klaus Mann war fasziniert, betört, geblendet oder, so rückblickend im ,Wendepunkt’: ,Die Romantik der Unterwelt war unwiderstehlich.’“
„Der Wendepunkt“ ist - neben „Kind dieser Zeit“ - der zweite autobiografische Text von Klaus Mann. Er hat sich in seinen Schriften immer wieder selbst als Person befragt, poetologisch ein höchst modernes Konzept.
Vorbild für die Emanzipation von Homosexuellen
Das Verruchte, das Unkonventionelle, das Andere. Klaus Mann fing früh an, seine Homosexualität zu begreifen und auszuleben. Die Liebe zu Männern war bereits Thema in seiner ersten größeren Veröffentlichung: „Der fromme Tanz“ von 1926. Damals war Klaus Mann 20 Jahre alt. Heute gilt das Buch als einer der ersten „Schwulenromane“ der deutschsprachigen Literatur und Klaus Mann als Vorbild für die Emanzipation von Homosexuellen.
Aus heutiger Sicht ist es erstaunlich: Im Hause Mann, in der prächtigen Villa in München-Bogenhausen, war die Liebe zum eigenen Geschlecht kein Tabu:
„Erika, Klaus, im Übrigen auch, wie sich herausstellte, Golo – die drei Mann-Kinder mit gleichgeschlechtlicher Orientierung, konnten ihre jeweiligen Freunde und Freundinnen den Eltern problemlos vorstellen, die Familie empfing sie, sie nahmen am Familienleben teil. Auch gegenüber dem Freundeskreis der Eltern gab es kein Versteckspiel.“
Eher Künstler und Dandy als Widerstandskämpfer
Der Biograf Thomas Medicus sieht Klaus Mann in erster Linie als Menschen und Künstler, als Charakter und Selbstdarsteller, und erst in zweiter Linie als den „Aktivisten“ gegen das Hitler-Regime. Er wurde damit zum Angriffsziel der politischen Linken. Zu der zählte sich zwar auch Klaus Mann. Aber Schriftsteller wie Erich Mühsam und Bertolt Brecht lehnten den so sorgfältig auf sein äußeres Erscheinungsbild bedachten Beau als ideologisch wenig gefestigt ab.
„Der Verfall, den er angeblich repräsentierte, galt als antirevolutionär und fortschrittsfeindlich, unmännlich und knäbisch, reklamesüchtig und exhibitionistisch. […] Ihm schlug Feindschaft entgegen, obwohl der junge Mann kaum einundzwanzig Jahre alt war, ein zarter Jüngling. Allerdings war er ein freischwebender Intellektueller, der sich keiner politischen Ideologie zuordnen ließ, zudem und insbesondere aber ein homosexueller Intellektueller, der, für die Zeit ein Novum, seine Orientierung öffentlich zur Schau stellte. Klaus Mann inszenierte unverhohlen narzisstische und exhibitionistische Auftritte in vollendeter Künstlichkeit. Das machte ihn auch für Linke und Linksliberale verdächtig. Willy Haas, der Herausgeber der Literarischen Welt, konnte ihn nicht leiden, ,wenn er weiß gepudert und parfümiert in die Tür hereinkam’.“
Klaus Mann war, so arbeitet Thomas Medicus es auch durch die Interpretation von historischen Fotoaufnahmen heraus, ein Schauspieler, ein Komödiant.
„Und mit diesem Habitus, aber also auch mit seiner Gestik, mit seinem Aussehen, mit seiner Kleidung protestiert er gegen alles Normative. Im Fall von Klaus Mann ist klar: Er protestierte ästhetisch, nicht politisch, aber ästhetisch durch seine Körperlichkeit, wenn man so will, gegen das, was wir heute Heteronormativität nennen. Es war also ein früher Protest gegen binäre Geschlechter-Modelle.“
“Es war mehr als „nur“ seine politische Überzeugung, die Klaus Mann dazu brachte, als einer der ersten Intellektuellen Deutschland zu verlassen, als Hitler die Macht übernahm.
Rettende Flucht nach Paris
„Klaus Mann ist schon Mitte März 1933 nach Paris emigriert, ist von München, wo seine Eltern lebten, mit dem Zug nach Paris gefahren. Das war lebensnotwendig, denn es war ihm klar, und er hatte auch die entsprechenden Nachrichten, dass er als schwuler Mann im nationalsozialistischen Berlin keine Chance hatte. Also man kann durchaus sagen, hätten ihn, das gilt auch für seine Schwester Erika, hätten ihn die Nazis gegriffen, dann wäre er mit Sicherheit im Konzentrationslager gelandet.“
Klaus Mann wurde zu einer maßgeblichen und produktiven Stimme der deutschen Literaten im Exil. Im Amsterdamer Querido-Verlag veröffentlichte er „Der Vulkan, Roman unter Emigranten“, „Flucht in den Norden“ und „Symphonie pathétique“, das Buch über Peter Tschaikowsky.
„Mephisto“: Abrechnung mit Gustaf Gründgens
1936 erschien in dem Exil-Verlag der berühmt-berüchtigte „Mephisto“-Roman, dessen Hauptfigur Hendrik Höfgen den Typus des gewissenlosen Opportunisten verkörpert. Einer, der sich aus Karrieregründen den Nationalsozialisten an den Hals wirft. Eine knallharte Abrechnung mit einem einstmals guten Freund und Verwandten: Gustaf Gründgens, berühmter Schauspieler und Theaterintendant vor und nach 1945, war eine Zeit lang mit Erika Mann verheiratet - obwohl homosexuell.
In der Emigration wandte sich Klaus Mann immer mehr von den sozialistischen Überzeugungen seiner Jugend ab. Ähnlich wie sein Vorbild André Gide, über den er 1943 seinen berühmten Essay „Die Krise des modernen Denkens“ veröffentlichte, fühlte er sich abgestoßen von den ideologischen und gewalttätigen Exzessen des real existierenden Sozialismus in der Sowjetunion unter Stalin. Sehr genau arbeitet der Biograf diesen Wandel in Klaus Manns weltanschaulichen Auffassungen heraus.
Emigration in die USA
Nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich musste Klaus Mann weiter in die USA emigrieren, wie so viele andere deutsche Intellektuelle. Er war jung genug, um sich das Englische als seine zweite Literatursprache anzueignen. Und er genoss die Freuden des freien Lebens in New York, wo in Greenwich Village bereits in den 1940er-Jahren eine recht lebhafte schwule Subkultur existierte.
1943 meldete sich Klaus Mann als Soldat bei der US-Army, obwohl auch die amerikanischen Behörden ihn mit Argwohn betrachteten. Links und schwul - das war hochgradig subversiv.
Klaus Mann war in der Invasionsarmee Mitglied der „1st Mobile Broadcasting Company“, zuständig für die Abteilung „psychologische Kriegsführung“. Er fuhr durch das zerstörte Deutschland, in seine Heimatstadt München, auch nach Berlin, wo es - vermutlich - zu einer Begegnung mit dem verachteten Opportunisten Gustaf Gründgens kam:
„Während Klaus Mann verborgen im Dunkel des Zuschauerraums saß, stand Gründgens oben auf der Bühne im hellen Rampenlicht. Über Gründgens Auftritt hatte Klaus Mann im Abstand von einem Jahr zwei Artikel geschrieben. Den zweiten ergänzte er um ein bemerkenswertes Detail. Während des Schlussapplauses, hieß es dort, sei er, in amerikanischer Soldatenuniform in der ersten Reihe sitzend, von Gründgens erkannt worden. ,Er sah mich an, stutzte und schaute weg. Das Lächeln, mit dem er die Ovationen der Menge entgegennahm, war verzerrt, wie durch einen plötzlichen stechenden Schmerz.’ Ob es diesen Augenblick tatsächlich gegeben hat?“
Der kritische Biograf schenkt der Selbstauskunft des stets pointiert formulierenden Selbstdarstellers offensichtlich nicht immer uneingeschränkt Glauben. Thomas Medicus nimmt nicht nur eine gesunde Distanz zu seinem Sujet ein. Er erzählt auch in einem flüssigen, gut lesbaren Duktus und steuert viele interessante Details bei, denn er hat umfangreich recherchiert:
„Zum Beispiel waren mir die Tagebücher unbekannt, die ich natürlich als Biograf sehr gut verwenden konnte.“
Das Bild eines Einsamen, der sich stets „fremd“ fühlte, auch an seinen Lieblingsorten wie der Côte d’Azur, trotz vieler Bekanntschaften innerhalb und außerhalb der Familie, trotz vieler Liebhaber und Freunde zeichnet der Biograf von Klaus Mann sehr schlüssig heraus. Lebensüberdruss und Todessehnsucht, Depressionen verbunden mit Drogenkonsum führten dazu, dass einer der zahlreichen Suizidversuche letztlich „glückte“: am 21. Mai 1949 in Cannes.
Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen: Wenn Sie das Gefühl haben, an einer psychischen Krankheit zu leiden, oder Suizidgedanken Sie beschäftigen, wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Lebenssituation befinden: Zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen. Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 (gebührenfrei) und im Internet unter telefonseelsorge.de.
Was etwas überrascht, ist, wie stark der Biograf immer wieder den berühmten Vater ins Spiel bringt. Wäre es nicht an der Zeit, Klaus Mann ohne die ständige Fixierung auf Thomas Mann zu würdigen?
„Dass man Klaus Mann ohne seinen Vater vorstellen könnte oder beschreiben könnte, ist völlig unmöglich. Tatsächlich hatte ich denselben Gedanken, als ich mit meiner Arbeit begann. Ich lasse den Vater mal weg, und dann stellte ich fest: es geht einfach nicht.“
Rivalität mit Thomas Mann
Für Thomas Medicus sind Verehrung und Rivalität zwischen den beiden Schriftstellern zentral für das Verständnis von Klaus Manns Leben.
„Und zwar unter anderem auch deshalb, weil ja zumindest in den 20er-Jahren ein literarisches Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden bestand; und Klaus Mann öffentlich zum Beispiel in seiner ersten Autobiografie „Kind dieser Zeit“ klargemacht hat, wie hart es für ihn ist, sich von seinem Vater literarisch zu trennen und sich zu unterscheiden und auch entsprechende Oppositionen aufgemacht hat. Also, das Rauschhafte, Exzessive, Extravagante, was Klaus Mann in den 20er-Jahren hatte und auch praktizieren konnte, ist in direkter Ablehnung, in indirektem Kontrast zu seinem Vater entstanden. Das war einfach das Fluidum, sozusagen, der Referenzraum, in dem er sich von Kindheit auf bewegt hatte.“
Klaus Mann, der ewige Sohn. Man muss diese Sichtweise nicht in vollem Umfang teilen, um die Biografie eines außergewöhnlichen Charakters, Schriftstellers und Zeitgenossen einer tragischen Epoche, die er „durchlebt“, „durchlitten“ und literarisch begleitet hat, mit Begeisterung zu lesen.
Die Biografie „Klaus Mann. Ein Leben“ von Thomas Medicus hat 544 Seiten, ist im Rowohlt Verlag erschienen und kostet 28 Euro.